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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


zuverlässige Kostenberechnungen sind noch abzuwarten, denn die vorläufigen Schätzungen scheinen jedem Kenner wesentlich zu niedrig gegriffen.

Von der Höhe der Bausumme wird aber in erster Linie die Rentabilität abhängen, und nach den bisherigen Erfahrungen läßt sich in Bergbahnangelegenheiten nicht vorsichtig genug sein.

Die Gesamtfahrzeit von der Scheidegg bis zum Jungfraugipfel soll ungefähr zwei Stunden betragen. Wie die wissenschaftliche Untersuchung ergab, erleidet bei passiver Beförderung der menschliche Organismus auch in der Höhe von 4000 Metern keine Störung, so daß jedermann, der eine längere Eisenbahnfahrt erträgt, auch diese Fahrt unbedenklich wagen darf. Nur hat in seinem Gutachten Professor Kronecker (Bern) allen „bergungewohnten“ Reisenden abgeraten, länger als zwei bis drei Stunden auf der Gipfelstation zu bleiben, um so jeder Gefahr, von der „Bergkrankheit“ befallen zu werden, vorzubeugen.

In etwa fünf Jahren soll der Bau durchgeführt werden und die erste Strecke, Scheidegg bis Eigergletscher, womöglich schon dieses Jahr gebaut werden. Damit würden den weitesten Touristenkreisen, selbst der zarten Damenwelt, die großartigsten Offenbarungen des Hochgebirges erschlossen.

Interlaken. S. Simon, Ingenieur.     


Hugo Vogels Geschichtsbilder im Berliner Rathaus.

Von Georg Buß.
Zu den Bildern S. 309, 313 und 321.


Im Berliner Rathause hat die Vorhalle zum Sitzungssaale des Magistrats, der sich auf dem Gebiete der Kunstpflege eines löblichen Eifers befleißigt, im Laufe des letzten Jahrzehntes einen umfangreichen malerischen Schmuck erhalten. Bedeutsame Vorgänge aus der Geschichte der Hauptstadt sind an den Wänden des langgestreckten, leider nur zu schmalen Raumes in Kaseinfarben zur Darstellung gebracht. Hugo Vogel, Scheurenberg, Bleibtreu und Simmler haben diese Gemälde ausgeführt. Zwei der ansprechendsten und auch ihrem Stoffe nach interessantesten dieser Bilder stellt heute die „Gartenlaube“ ihren Lesern vors Auge; das eine schildert den Empfang von Refugiés durch den Großen Kurfürsten, das andere die Besichtigung von Neubauten in der Berliner Friedrichstadt durch König Friedrich Wilhelm I.

Der eine wie der andere Vorgang weist auf Verdienste, welche sich frühere Hohenzollernfürsten um das Wachstum und Gedeihen ihrer Residenz erwarben, die später berufen sein sollte, die Hauptstadt des Deutschen Reiches zu werden. Die Flüchtlinge aus Frankreich, die um ihres Glaubens willen nach der Aufhebung des Edikts von Nantes im Jahre 1685 ihre Heimat verließen, vergalten die gastliche Aufnahme, welche ihnen der Große Kurfürst in seinen Landen gewährte, durch die Einführung und Pflege nützlicher Industriezweige, namentlich in Berlin, das von da an erst als Industriestadt zu Bedeutung gelangte. Unter dieses thatkräftigen Fürsten segensreicher Regierung erfolgte aber auch in jeder andern Beziehung ein großartiger Aufschwung der während des Dreißigjährigen Krieges arg in Verfall geratenen Stadt. Für den Anbau der Friedrichstadt entwarf sein Nachfolger Friedrich III., der als König der erste seines Namens auf preußischem Throne war, den Plan, aber erst Friedrich Wilhelm I. gab ihm die Erweiterung, die noch ihr heutiger Umfang erkennen läßt. War unter des ersteren Regierung namentlich die innere Stadt mit dem Zeughaus, dem Schloß, der Akademie, den Kirchen auf dem Gendarmenmarkt ausgebaut worden, so wurde von Friedrich Wilhelm I. vor allem der Ausbau der Friedrichstadt betrieben. Er nahm an diesen Bauten den lebhaftesten persönlichen Anteil, freilich mit jener Selbstherrlichkeit, die seinem Wesen und dem absoluten Königtum, das er vertrat, eigen war. So sehen wir ihn auf unserem Bild die Rolle des Bauherrn mit der des Baumeisters vertauschen. Die Stadt Berlin hat aber aus seinem ebenso eigenwilligen wie energischen Vorgehen großen Nutzen gezogen.

Der Schöpfer dieser Bilder, Hugo Vogel, vertritt unter den genannten am Ausschmuck des Berliner Rathauses beteiligten Künstlern die jüngere Generation. Gerade in diesen Proben seines künstlerischen Schaffens offenbart sich das ihn beseelende Streben nach Wahrheit, nach scharfer Erfassung der Natur, nach überzeugender und eindrucksvoller Schilderung in bezeichnender Weise. Kein Pathos, nichts Komödiantenhaftes, keine Phrase, und gerade darum eine fesselnde Wirkung. So, wie sie hier geschildert sind, müssen sich die Vorgänge abgespielt haben. Gnädig empfängt der Große Kurfürst im Beisein seiner stolzen Gemahlin Dorothea von Holstein-Glücksburg und des Kurprinzen, sowie Grumbkows und verschiedener anderer Personen des Hofstaates, vor dem Portal des Potsdamer Stadtschlosses eine Deputation französischer Flüchtlinge, die voll Dankes ihm huldigen für die Gastfreundschaft und Förderung, die er ihnen gewährt hat. Und mit der ganzen Wucht seines Wesens erteilt König Friedrich Wilhelm I., der wie aus Erz gegossen dasteht, seinen Baumeistern und Werkleuten Befehle, wie sie in der Mauerstraße nahe bei der im Jahre 1738 vollendeten Dreifaltigkeitskirche die Häuser bauen sollen.

In Haltung und Ausdruck der Personen beider Bilder charakteristisches Leben! Man sehe nur die teutonisch monumentale Erscheinung des Kurfürsten und die geschmeidigen, von einer gewissen Eleganz umflossenen Figuren der Refugiés an. Mit treffenden Pinselstrichen ist der Unterschied zwischen germanischem und gallischem Wesen betont. Die Gestalten stehen auch wirklich im Raum, sie sind umflossen von dem hellen Licht des Tages, es sind wirkliche Menschen und keine Schemen. Und zudem klare satte Farben von wahrhaft erfrischender Kraft, denen auch im Schatten ihr ausgesprochener Charakter meisterlich bewahrt ist. Das alles eint sich zu Kompositionen von malerischer und großer Wirkung, die trotz des zum Genre neigenden Vorwurfes den vollwichtigen Anspruch auf monumentale Historienbilder erheben können.

Gleicher Vorzüge erfreuen sich die übrigen Wandbilder des Meisters in dieser Vorhalle: eine große Darstellung jenes bedeutungsvollen Momentes, da der Rat von Berlin und Cölln das Abendmahl in beiderlei Gestalt nimmt und sich hiermit dem protestantischen Bekenntnis zuwendet, sowie zwei Füllgemälde über den Thüren, deren herrliche, aus edelstem Schönheitsgefühl geborene Idealgestalten die Büsten Schlüters und Schinkels, der um Berlin so hochverdienten großen Baukünstler, mit Lorbeer schmücken. Der Karton zu dem erstgenannten Gemälde bildet den Hintergrund für das von uns wiedergegebene Bildnis des Malers.

Es war im Jahre 1885, als Hugo Vogel, damals dreißigjährig, in dem Wettbewerb, den der Berliner Magistrat um die Vergebung dieser Bilder ausgeschrieben hatte, den Preis errang. Für den „Verein für historische Kunst“ hatte er eben ein großes Gemälde vollendet, das ebenso wie das Bild im Rathause den Empfang der Refugiés durch den Großen Kurfürsten schildert, und zwei Jahre vorher war ihm in Berlin bereits die Kleine goldene Medaille für seine echt deutsch empfundene Schöpfung „Luther predigt auf der Wartburg“, die sofort in den Besitz der Hamburger Kunsthalle überging, verliehen worden. Der Sieg im Wettbewerb traf mithin einen an Jahren jungen, an Erfolgen jedoch schon reichen Meister. Seit diesem Siege im Jahre 1885 gehört Vogel der Künstlerschaft der deutschen Reichshauptstadt an, und in aufsteigender Linie hat er sich zu einem ihrer hervorragenden Mitglieder entwickelt.

Des Künstlers Vaterstadt ist Magdeburg. Hier ist er als Sohn eines Kaufmanns am 15. Februar 1855 geboren. Die feinsinnige Mutter, die alten und malerischen Bauten der Stadt, unter denen der Dom machtvoll und gebietend als vielhundertjähriger, schicksalsreicher Riese emporragt, Reisen nach Dresden zur Besichtigung der Schätze der Galerie weckten in dem jungen Realschüler frühzeitig künstlerische Neigungen. Seine Großmutter hatte Malerin werden wollen, und nun wurde der Enkel ein Maler. Hoffnungsfroh und thatendurstig zog der Neunzehnjährige gen Düsseldorf, um in den Aktsälen und Ateliers die Geheimnisse der Kunst zu ergründen. Unter seinen Lehrern fesselten ihn vornehmlich der urdeutsche Gebhardt und Wilhelm Sohn, der seit 1874 an der Akademie wirkte. Nach Beendigung des akademischen Studiums haben Verehrung und Freundschaft die Verbindung mit beiden Männern nur noch mehr gefestigt. Auf größeren Reisen, von denen eine im Jahre 1882 unternommene durch Spanien,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_318.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2023)