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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Grete stichelt unbeirrt weiter. Ditscha sieht sich im Geist auf Wandersleben – ja, wenn’s so sein könnte! Das Herrenhaus kennt sie genau aus Hansens Beschreibung, es liegt im schattigen Garten und von seiner Terrasse aus sieht man die blauen Harzberge. Und auf dieser Terrasse sitzt Mama Perthien mit dem Strickzeug, Mama Perthien, der Hans so ähnlich sein soll; daneben im Lehnstuhl Papa Perthien, und beide lächeln, denn die Last des Lebens ist von ihren Schultern genommen, und Ditscha schenkt ihnen Kaffee ein und meint, Hans, ihr Mann, muß gleich zurückkommen vom Felde, und Papa Perthien streichelt Ditschas Hand und sagt: „Daß der wilde Bursche so ein prächtiger, braver, tüchtiger Mann geworden ist, das danken wir Dir, Töchterchen!“ – –O, wie schön, wie schön könnt’ es so sein!

„Es ist Zeit,“ sagt Grete endlich, „im Herrenhause schlägt’s sechs Uhr vom Turm.“

Ditscha fährt empor – Grete ist aufgesprungen und hinausgegangen.

„Adieu, Hans!“ flüstert Ditscha.

„Adieu! – Und vom Wiedersehen sprichst Du kein Wort, Ditscha?“

„Ich weiß keinen Rat, Hans.“

In diesem Augenblick fliegt die Thür auf, Grete springt mit ein paar katzenartigen Sätzen ins Zimmer und verlöscht die Lampe. „Das gnädige Fräulein Anna!“ flüstert sie – dann ist sie wieder fort und Ditscha hört, wie Grete die Thür verschließt und den Schlüssel abzieht, und nun das harte Organ der gestrengen, um das Wohl und Wehe der Gutsangehörigen so besorgten Tante Anna.

„Guten Abend, mein lieber Vater Busch, wie geht’s mit Ihrer Frau? Was macht die Grete? Pflegt sie ihr oll Mutter gut, lieber Busch?“

Oll Vater Busch stammelt ’was von Ehr’ und Freud’, „ob gnä’ Fröln nich unterthänigst ’n bit’n einkommen wulln.“ Und dabei drückt er auf die Klinke der guten Stube.

Ditscha ist ans Fenster geflüchtet und dort auf einen Stuhl gesunken; ihre Hände aus Angst und Entsetzen gegen das Gesicht pressend, zittert sie vor der nächsten Minute. Hans von Perthien ist mitten im Zimmer stehen geblieben und stößt einen leisen Fluch aus. Aber sie kennen beide nicht die Verschlagenheit ihrer Beschützerin.

„O, Vater,“ sagt Grete, „was machst Du da? Ist denn nicht offen? Laß mich hin – nee, wahrhaftig – zugeschlossen, und der Schlüssel nicht in! Ach Gott, gnä’ Fräulein, jetzt besinn’ ich mich, ich hab’ ihn schon gestern verlegt. – O, wenn gnä’ Fräulein möchten auf einen Augenblick ins Wohnzimmer treten, ich such’ gleich – –“

„Mädchen, die ihre Gedanken beisammen haben, verlegen nie Schlüssel,“ sagt Tante Anna streng. „Laß das Gesuche jetzt und komm in die Wohnstube, ich will etwas mit Dir reden wegen Deiner Mutter, und Sie, Vater Busch, kommen auch mit, ich habe da ein neues Mittel, das soll Mutter probieren.“

Das Letzte klingt schon undeutlich. sie sind in die Wohnstube getreten und die Thür hat sich hinter Vater Buschs schlürfenden Tritten geschlossen.

Ditschas überreizte Nerven veranlassen jetzt ein krampfhaftes Weinen. „Ich ertrag’s nicht! Ich ertrag’s nicht!“ stößt sie hervor, „ich will hinaus, ich will fort, ich ersticke hier! Mach’ die Thür auf!“

„Sei vernünftig, Ditscha,“ sagt er ruhig und hält ihre Hände fest am Drücker, an dem sie heftig zu rütteln versucht, „ich ertrage es auch nicht länger, aber momentan kann ich nichts thun. Um Gotteswillen, laß die Thür!“

Sie läßt los und schleicht zum Fenster zurück; er nimmt seinen Platz am Ofen wieder ein. „Ditscha,“' fragt er, „Ditscha, wir wollen ein Ende machen; es ist Deiner und meiner unwürdig – wir wollen heiraten ohne den Segen Deiner Verwandten!“

Sie hört jetzt auf zu weinen. „O, das ist so schwer,“ stottert sie.

„Ja gewiß! Aber schwerer noch ist’s, wenn sie uns unglücklich machen, indem sie uns trennen. – Oder glaubst Du noch, daß sie es je zugeben werden?“ schaltet er ein.

„Nein!“ flüstert sie.


Die Musik.
Nach dem Gemälde von R. Rößler.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_296.jpg&oldid=- (Version vom 18.7.2023)