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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

früher und sah gar nicht übel aus in seinem neuen Münchener Anzug mit der dunkelblauen Krawatte, wenn er auch freilich zum Elegant noch weit hin hatte! Ach – da gab’s schon wieder einen Stich ins Herz! …

„Sie haben’s gut, daß Sie so in die Welt hinaus können,“ sagte sie nachdenklich. „Die Männer sind halt immer besser dran als unsereins.“

Von da ab wandte sich das Gespräch ganz unbefangen andern Dingen zu, sogar dem Münchener Fest, dessen Einzelheiten – mit alleiniger Ausnahme des Phantasiewagens! – nun ohne Bitterkeit besprochen werden konnten. So flogen die nächsten zwei Stunden hin, und ehe man sich’s versah, rollte der Zug über die Salzachbrücke und in den Bahnhof ein.

Von Ferne schon sah Toni den Papa, mit Taschentuch und Regenschirm winkend, auf dem Perron stehen, sie fiel ihm buchstäblich aus der geöffneten Coupéthüre herunter um den Hals und küßte ihn zärtlich auf beide Wangen.

Der kleine Herr warf einen ausdrucksvollen, fragenden und hoffenden Blick über sie hinweg auf den jetzt gleichfalls heraussteigenden Lorenz, der die Gepäckstücke aus dem Coupé herunter beförderte, aber nur ein unmerkliches Achselzucken zur Antwort gab; dann verabschiedete er sich mit ein paar kurzen Worten und ging den Droschken zu.

Die beiden folgten zu Fuß, den Träger hinter sich, aber kaum waren sie auf der Straße, so fragte der Papa, nach der Richtung weisend, die Lorenz genommen hatte:

„Nun? … Was ist’s mit dem?! …“

„Wir haben uns unterwegs ausgesprochen, Papa. Ich erzähle Dir alles nachher. Geheiratet wird nicht, aber gute Freunde bleiben wir doch!“




Beinahe fünf Jahre waren über die Welt hingezogen, seit Toni Burghofer von dem Münchener Künstlerfest nach Salzburg zurückkehrte. In unveränderter Schöne ruhte diese heitere Stadt inmitten ihres Bergkranzes und der Fülle von Grün, das sich ringsumher von den Wäldern abwärts als blumenreiche Matte zu Thale zieht. Drüben, wo das Schloß Aigen auf geringer Höhe über dem weiten Rundbilde thront, wiegen mächtige Buchen ihre Wipfel im tiefen Blau des Sommerhimmels und legen einen breiten Schattenrand über die ansteigenden Wiesenhalden. Ueberall rauscht es unter den Bäumen der Bergfalten von kleinen Wasserstürzen, und am heißesten Nachmittag, wenn drinnen am Residenzplatz die Pflastersteine glühen, ist hier köstliche Waldfrische und leis bewegte Luft zu finden. Deshalb wird der Aigener Aufenthalt vorzugsweise von Einheimischen aufgesucht, die hierher nach des Tages Last und Hitze herausfahren, um den Abend mit ihrer Familie im Genuß der freien Natur zu verleben. Große und kleine Landhäuser umgeben den herrlichen Schloßpark, meist wenden sie ihre Aussichtsterrassen dem Untersberg zu, dessen steile Wände hinter der thalbeherrschenden Feste Hohen-Salzburg majestätisch emporsteigen.

Auf solchen von wildem Wein umzogenen Veranden sitzt es sich herrlich im Schatten, wenn an einem wolkenlosen Augustnachmittag die warme Sonnenluft über die Gartenwipfel streicht und die fernen Bergwände silberhell mit blauen Schatten über das gesättigte Grün hereinschauen. Wer dieses selige Ausruhen nur ein paar Wochen lang genießen kann, nimmt eine unverlöschbare Erinnerung daran mit heim; wem es aber so gut wird, ein Landhaus mit solchem Ausblick sein eigen zu nennen, der pflegt genau zu wissen, welche ungeheure Gunst ihm das Geschick hiermit erwiesen hat.

In diesem angenehmen Fall schien sich eine kleine Gesellschaft zu befinden, deren Schattenbalkon jedenfalls zu den schönstgelegenen des Aigener Berghanges gehörte, obwohl das Haus selbst keine prächtige Villa war, sondern sich in bürgerlicher Behaglichkeit mit seinen weißen Wänden und grünen Holzläden inmitten eines großen Blumengartens erhob. Jeder Windhauch trug die warmen Heliotrop- und Resedadüfte in leichten Wellen durch die drei großen Bogenöffnungen der Altane herein, deren dichter Kranz von wilden Weinranken die weite Rundsicht als einzelne Bilder mit seinem Rahmen einfaßte.

Ein zierlich gedeckter Kaffeetisch mit bunter Decke trug die funkelnde „Wiener Maschine“, und ihr entströmte jenes starke Arom, das man auch jenseits der schwarzgelben Grenzpfähle zu schätzen weiß. Mit dieser Empfindung saß denn auch eine Dame, die von dorther stammte, als Gast vor der Mitte des bis hart zur Brüstung vorgerückten Tisches und betrachtete voll Wohlgefallen die flink und gewandt mit den Tassen hantierende junge Hausfrau im hellen Sommerkleid und gestickten Schürzchen. Die letztere hat eine ganz unverkennbare Aehnlichkeit mit unserer Freundin Toni Burghofer: dieselbe muntere Beweglichkeit in Blick und Wort, wie sie ihr vor jenen verhängnisvollen Tagen der Niedergeschlagenheit in München eigen war, derselbe glänzende Blick unter den braunen Kraushaaren hervor. Eine gewisse frauliche Fülle der Gestalt und der frischresolute Gesichtsausdruck deuten darauf hin, daß sich Frau Toni nicht nach der Phantasieseite hin weiter entwickelt hat. Sie überläßt das Träumen und Dichten andern Leuten und bewegt sich indessen vollbefriedigt in ihrer kleinen wirklichen Welt, die, seitdem der dicke Stammhalter seinen Platz daran ergriffen hat und voll Energie behauptet, alle ihre Gedanken und Kräfte vollauf in Anspruch nimmt.

Und der gegenüber sitzende Gatte, aus dessen behaglichem Gesicht eine vollkommene Zufriedenheit mit der Welt und sich selbst hervorschaut, er scheint solche Thätigkeit ihr nicht einmal auf den Knieen zu danken! Der schüchterne Lorenz Käsmeyer hat sich in einen völlig normalen Eheherrn verwandelt, der die an ihn gewandte Sorge und Mühe nur ganz natürlich findet und seine Zufriedenheit mehr schweigend als redend kund giebt. Der Aufenthalt in der Fremde hat ihm etwas größere Weltläufigkeit verliehen: seine Anzüge sind jetzt von einem guten Schneider ganz aus einem Stoff gearbeitet, und er trägt keine buntgestreiften Krawatten mehr. Aber – es giebt Elegantere in Salzburg, darüber kann kein Zweifel bestehen! … Das „gewisse Etwas“, einstens Tonis höchstes Ideal, ist ihm nicht verliehen, sie muß sich trösten mit dem Eindruck von gesunder Tüchtigkeit und ruhiger Thatkraft, den der jetzige Inhaber einer der solidesten Salzburger Handelsfirmen auf jeden Unbefangenen macht. Und, nach ihrem vergnügten Gesicht zu urteilen, wird ihr dies nicht einmal schwer.

Zwischen ihnen sitzt, etwas grauer und spitzer geworden, aber im übrigen in gewohnter Rüstigkeit und Untermehmungslust, die Verfasserin der bemerkenswerten „Streifzüge durchs Salzkammergut“, Fräulein Sophie Panke. Die damals in München mit Lorenz angeknüpfte Bekanntschaft war von der praktischen Reisenden nicht vergessen worden: zwei Jahre nach ihren gemeinsam erlebten Abenteuern stand sie eines schönen Tages in seinem Comptoir in Salzburg, voll Wünschen nach Auskunft und Beistand in den verschiedensten Angelegenheiten. Er hatte ihr alles besorgt und geordnet, sie auch noch des Abends zur Musik in den Mirabellgarten begleitet und sich dadurch ihren lebhaften Dank erworben. Aber es gelang ihr trotz aller freundschaftlichen Teilnahme nicht, nochmals einen Blick in sein früher so offen daliegendes Innere zu thun; er blieb einsilbig, sobald ihre Fragen ein gewisses Thema streiften, und alles, was sie erfuhr, war nur, daß Fräulein Toni schon beinahe ein Jahr von Salzburg weg sei. Es schien, er wollte weder an den Morgen nach dem Ball erinnert werden, wo sich seine ganze Bitterkeit in einem heftigen Ausbruch gegen Toni Luft gemacht hatte, noch an ihre Person überhaupt. Somit schwieg Fräulein Panke. Sie hatte sich ja auch damals, alles in allem, mehr über die „kleine Kröte“ geärgert als gefreut, und ihr flatteriges Persönchen schien ihr für einen so braven, grundehrlichen und – offenbar sehr vermöglichen Menschen wie diesen da noch lange nicht gut genug.

Den Frühling darauf – die Verlobungskarten! Toni Burghofer, Lorenz Käsmeyer schwarz auf weiß und nichts weiter! Der etwas kühl gehaltene Gratulationsbrief wurde nicht beantwortet, und Fräulein Panke kam zwei Sommer lang nicht nach Salzburg, weil sie ihre „Streifzüge“ nach dem Ortlergebiet und Grödnerthal richtete und dort Material für lange Artikelreihen fand. Nun aber, wo es sich für die nach immer höheren Zielen ausschauende Touristin um nichts Geringeres handelte als um eine Glocknerfahrt mit nachfolgendem Feuilleton „Ueber den Wolken!“ – nun hatte sie auf der Durchreise wieder im Comptoir vorgesprochen und man hatte sie hier heraus gewiesen.

Der herzliche Empfang von Tonis Seite übertraf ihre Erwartungen, sie mußte gleich zum Mittagessen bleiben und erfragte während desselben alles, was ihr zu wissen not that, denn Lorenz kannte als eifriges Alpenvereinsmitglied die ganze Tour aus eigener Erfahrung. Ihre Hoffnung auf „Adlersruhe“ schlug er

zwar durch die Schilderungen der dahin führenden Schaueranstiege

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_252.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)