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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

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Blätter und Blüten.



Ländliche Osterbräuche in deutschen Landen. (Zu den Bildern S. 221 und S. 233.) Nur in Weltwinkeln, die der fortstürmende Zeitgeist etwas seitab liegen läßt, erhalten sich heutzutage noch altertümliche Volksbräuche mit Vorliebe. Wo moderne Interessen, wo die Eisenbahnhast des Jahrhunderts das Volk ganz, in Anspruch nehmen, da verschwinden jene Gebräuche mehr und mehr. Man hat keine Zeit mehr für sie, auch nicht mehr die beschauliche gläubige Weltanschauung, die für sie Lebenslust ist. Einige von ihnen, seltsames Gemisch von Christentum und uraltem Heidenbrauch, kann man heute noch in reinen Ackerbaugegenden finden, wo bäuerliche wohlhabende Bevölkerung seßhaft ist; abseits der großen Verkehrsströmungen: abseits der Städte mit ihrem drängenden industriellen Leben. Ein solcher Landstrich ist das gesegnete Niederbayern mit seinen reichen Getreidefluren und dunklen Waldungen. Da haben sich noch, wie in den benachbarten bayerischen Provinzen, für jeden Hauptabschnitt des Bauernkalenderjahrs solche Bräuche erhalten. Besonders die Osterzeit, die auf dem Lande noch ganz anders wie in den Städten den Charakter des Anfangs von einem neuen hoffnungsfreudigen Jahresabschnitt trägt, ist reich an solchem alten Herkommen. Unsere Bildertafel auf S. 233 hat dasselbe zum Gegenstand. Vor allem ist da des Weihens von Holz am Karsamstag zu gedenken. Aus dem in der Dorfkirche durch den Pfarrer gesegneten Holze werden Kreuzchen geschnitzt, die von der bäuerlichen Familie nebst einer Handvoll Getreide in den Acker gesteckt werden zum Schutze gegen schadenbringende Unwetter. Mit den Kreuzchen werden auch kleine Ruten von blühenden Weidenzweigen – Palmweiden – in den Acker gepflanzt; auch sie wurden vorher in der Kirche geweiht. Der Stiel, an welchem diese Weidenzweige mit ihren sammetweichen grauen Blütenkätzchen angebunden werden, soll eigentlich ein Haselstab sein, weil in die Hasel – wie die Legende sagt – kein Blitzstrahl schlägt, seit einst ein Haselstrauch der Mutter Gottes Schutz gegen ein Unwetter lieh. Aber nicht bloß Holz und Weidenruten werden zur Osterzeit in der Kirche geweiht, auch Brot und Salz, Kalbsbraten, Eier und Schinken. Während geweihte Brezeln von den wohlhabenden Bäuerinnen an die Dorfkinder verschenkt werden, dienen die rotgefärbten Eier als Gastgeschenk der Mädchen an die Burschen, die für ein Plauderstündchen ans Fenster kommen; auch geben diese Eier Anlaß zu mancherlei Spielen zwischen halb und ganz erwachsener Jugend. Einem interessanteren Osterbrauche hat die Zeit, vielleicht auch die fürsorgliche Polizei, ein Ende gemacht: dem „Judasbrennen“, wobei eine Strohfigur – der Judas oder Ostermann – feierlich auf einem Scheiterhaufen verbrannt ward. Es mögen hierbei seitens der faustfrohen niederbayerischen Jünglingswelt wohl manchmal Kraftäußerungen vorgekommen sein, die das Verschwinden dieses Brauches nicht als beklagenswert erscheinen lassen.

Von derberem Humor ist auch der Osterbrauch, den unser Bild auf S. 221 veranschaulicht. Derselbe ist noch heute in Ostpreußen auf dem Lande heimisch. Am Ostermorgen lauern die Knechte den Mägden auf, bevor diese über den Hof zur Arbeit schreiten. In den Händen halten sie Eimer und Waschgefäße, die sie am Ziehbrunnen mit Wasser gefüllt haben. Die Mägde wissen, was ihnen bevorsteht; sie schleichen leise die Treppe hinab und stürzen dann in eiligem Lauf über den Platz zum Stall, wo ihr Tagesgeschäft mit dem Melken der Kühe beginnt. Aber die Eile nützt ihnen nichts. Die ihnen längst auflauernden Burschen brechen hervor und schütten mit sicherem Schwung den kühlen Inhalt ihrer Eimer und Schüsseln auf eines der davonspringenden Mädchen aus. Keine entgeht der Taufe. Auch die letzten, die sich zurückhielten, um abzuwarten, bis die Gefahr vorüber sei, bekommen ihr Teil. Aber die gute Laune wird den frischen Dirnen durch die vom Herkommen geheiligte Neckerei nicht verdorben. Im Gegenteil – für mehr als eine ist es Herzenssache, recht tüchtig durchnäßt zu werden. Denn welche von ihnen der ihr zugedachte Wasserguß gehörig getroffen hat, die bekommt – so geht der Glaube – noch im selben Jahr einen Mann!

Frühlingsfeier im Tempel der Flora. (Zu dem Bilde S. 224 und 225.) Die römische Göttin Flora, schon früher von den Sabinern und im innern Italien viel verehrt, war die Göttin der Blumen und des Frühlings als der Zeit des ersten Erblühens. Der Dichter Ovid sagt von ihr, daß sie überall thätig sei, wo immer etwas blüht, auf dem Acker, im Weinberge, in der Olivenpflanzung und im Baumgarten, auch in der Blume des Weines, wenn er sich im Fasse regt, sowie im Honig, dem feinsten Stoffe der Blumen, endlich in der Blüte der Jugend und eines fröhlichen Lebensgenusses. In Rom gab es zwei Tempel der Flora, von denen der eine, vermutlich sabinischen Ursprungs, auf dem Quirinal lag, der andere, welcher mit den Spielen der Flora entstand, in der Nähe des Cerestempels am Cirkus Maximus. Schon in alten Zeiten feierte man die Göttin und opferte ihr sowohl auf dem Lande als in der Stadt gegen Ende April, zur Zeit, wo das Korn in der Blüte stand und der Kornbrand zu fürchten war. Später, nach dem ersten punischen Kriege, begannen die Spiele der Flora, welche zur Kaiserzeit ein pomphaftes und großartiges Gepräge annahmen. Auch ausgelassen ging es dabei zu, denn Flora war eine heitere Göttin.

Das Bild von A. de Reina-Manescau führt uns in einen Floratempel am Festtage der Göttin, wo römische Frauen und Jungfrauen das Bild derselben wie die Tempelhallen mit dem reichsten Blüten und Blattschmuck, hauptsächlich mit Rosen, zieren. Der ganze Tempel verwandelt sich in einen Garten – Sträuße und Guirlanden, wohin man blickt. Eine kundige Meisterin des Liedes trägt die Lyra in der Hand, denn auch der Gesang darf nicht fehlen in diesen Tagen der Freude, in denen die Frauen ihre einfarbigen Gewänder mit reichen bunten vertauschen. Von der Bildsäule der Göttin selbst auf ihrem mit Reliefs geschmückten Piedestal sehen wir nur einen Teil; aber wir wissen, daß die Künstler die Flora nach griechischem Vorbild als jugendschöne blumengeschmückte Frühlingsgöttin darzustellen pflegten. †     

In ernster Zeit. (Zu unserer Kunstbeilage.) Ein Stimmungsbild aus dem Beginn der Freiheitskriege giebt uns der Künstler mit dieser stillen Abendscene. Ueber den Rasenplatz her, der so oft die fröhlichen Spiele der Jugend aus dem Gutsherrn- und dem Pfarrershause mit angesehen hat, kommt der älteste Sohn des Pastors, der zum „Lützower“ umgewandelte Student, welcher morgen zum Sammelplatz eilen wird, um dem Ruf seines Königs zu folgen. Und dort an der Parkmauer erwartet ihn des Gutsherrn schlankes Töchterlein im kurzen Kleid, dessen Sinn bisher leicht war wie ihr hüpfender Gang, das den Jugendgespielen mit tausend übermütigen Neckereien quälte – und das nun plötzlich, von dem Weh des Abschieds berührt, zur Jungfrau verwandelt vor ihm steht. Der sonst so lachlustige Mund ist fest geschlossen, die Augen haben keinen Blick der Schelmerei mehr, sie sind unverwandt auf die dunkle Rose gerichtet, um zu verbergen, daß es feucht zwischen den Lidern schimmert. Und er? … Er ist ein braver Junge: mit keinem Wort will er den Frieden dieser unberührten Seele trüben, kein Versprechen verlangen, das ihre Treue vielleicht bald an einen Toten bände. Es sind nur kurze, karge Worte, die zwischen ihnen gewechselt werden, aber die beiden wissen, was für ein Sinn darin liegt, und daß diese Abschiedsstunde ihre Herzen fest vereinigt hat. Was wird die Zukunft bringen? Eine glückliche Heimkehr oder den Heldentod fürs Vaterland? … Daß auch dieser dem Jüngling kein zu hoher Preis für die Befreiung des Vaterlandes dünkt, das zeigen seine männlich ernsten Züge und der entschlossene Blick des Auges.


Inhalt: Haus Beetzen. Roman von W. Heimburg. S. 221. – Ostermorgen auf dem Lande in Ostpreußen. Bild. S. 221. – Frühlingsfeier im Tempel der Flora. Bild. S. 224 und 225. – Unter den kalifornischen Riesenbäumen. Von Theodor Kirchhoff. S. 227. Mit Abbildungen S. 228, 229 und 231. – Echt. Erzählung von R. Artaria (6. Fortsetzung). S. 232. – Osterbräuche in Niederbayern. Bild. S. 233. – Das weiblich Schönheitsideal. Von Ernst Eckstein. S. 236. – Vor dem Feste. Gedicht von A. Nicolai. Mit Umrahmung. S. 237. – Blätter und Blüten: Ländliche Osterbräuche in deutschen Landen. S. 240. (Zu den Bildern S. 221 und 233.) – Frühlingsfeier im Tempel der Flora. S. 240. (Zu dem Bilde S. 224 und 225.) – In ernster Zeit. S. 240. (Zu unserer Kunstbeilage.) – Osterhasen. Bild. S. 240.


manicula 0 Hierzu Kunstbeilage IV: „In ernster Zeit“. Von Adolf Hering.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_240.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)