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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Das weibliche Schönheitsideal der Germanen ist allbekannt. Schlank, blauäugig und blond, von lichtrosiger Hautfarbe, sanft, lieblich und stark zugleich, weder verzärtelt noch heroinenhaft, mehr Chriemhild und Gudrun als Brunhild: so steht das Urbild des deutschen Mädchens – trotz all der vielen dunkeläugigen Schönen, die unserm Vaterland zur Zier gereichen – uns allen rein und klar im Bewußtsein. Dieses Schönheitsideal findet jedoch seine Verehrer nicht nur in germanischen Landen, sondern fast ebenso sehr bei den Romanen, vorab in Italien, wo es dem Typus der schwarzhaarigen, dunkeläugigen Südländerin von vielen als das „noch idealere“ gegenübergestellt wird.

Man lese zum Beispiel den nachstehenden Abschnitt aus dem „Blonden Knaben“ („Fanciullo biondo“) der sehr beliebten italienischen Dichterin Mathilde Serao:

„Alle Verkörperungen der Anmut und Güte stellen wir uns notwendig blond vor. Venus, die Göttin der Schönheit, ist blond, Maria, die Jungfrau, ist blond; und wenn sich die Schlange in Eva verliebte, so muß auch Eva eine Blondine gewesen sein. Apollo, der erste Poet, hatte goldblondes Gelock; die kleinen Engel, der kleine Jesusknabe sind gleichfalls blond. Ary Scheffer, wenn er sein blondes Gretchen malt, gefällt uns darum so gut, weil er den Traum zahlreicher Künstler wiedergiebt. Seit Jahrhunderten sind die Poeten und Künstler in die Blondinen vernarrt, denn die Blondheit bedeutet die Freude, das Leben, die ewige Jugend!“

Im klassischen Altertum war die Blondschwärmerei der Nichtgermanen vielleicht noch ausgeprägter. Hätten die römischen Männer dies „leuchtende Gold“ nicht herrlich gefunden, so würden die römischen Damen der Kaiserzeit ihre Haare nicht künstlich gefärbt und nicht blonde Perücken sich aufgesetzt haben. Das Haar der Germaninnen war ja bekanntlich in Rom ein Handelsartikel ersten Ranges. Die erste begeisterte Schilderung des germanischen Schönheitsideals findet sich denn auch in den Werken eines lateinischen Dichters, bei dem verliebten Ausonius. Die entzückende Allemannin Vissula, die unter dem Kaiser Valentinian I. gefangen und dem Ausonius geschenkt wurde, ist in jedem Zug ihres Wesens das holdselige, süße germanische Blondchen, die Anmut und Weiblichkeit selbst, ohne den leisesten Anflug jenes Brunhildentums, in welchem das heroische Element das eigentlich weibliche zurückdrängt. Diese Barbarin – sagt der Poet – übertrifft all die verzärtelten und verschniegelten römischen Puppen zehntausendmal an Wonnigkeit und Natürlichkeit! Ach, und ihr bezauberndes Blondhaar! Und die himmlischen blauen Augen! Und ihre unvergleichliche Gesichtsfarbe! Er singt wörtlich wie folgt:

„Vissula, die nicht in Wachs nachahmbar oder in Farben,
Schmückte mit Reizen Natur, wie nimmer der Kunst sie gelingen.
Ja, mit Mennig und Weiß malt Bilder euch anderer Mädchen!
Doch dies Farbengemisch des Gesichts – nicht malen es Hände!
Mische doch, Maler, wohlan, die Ros’ und die schneeige Lilie,
Und was dann du erhältst, das nimm zu Vissulas Antlitz!“

Die schneeige, mit Rosenglut überhauchte Gesichtsfarbe ist überhaupt ein wesentlicher Zug im germanischen Schönheitsideal – weit wesentlicher als die lichtblaue Färbung des Augapfels und die ausgesprochen helle Farbe des Haars. Wiederholt findet man den überschwenglichen Ausdruck – zuletzt wohl bei den Schilderungen, die man uns von der lieblichen Philippine Welser entworfen hat –, der Teint sei so blumenhaft zart gewesen, daß man durch die lichtweiße Haut den roten Wein habe hinabgleiten sehen. Frau von Staël in ihrem berühmten Buch über Deutschland rühmt an den deutschen Frauen vor allem dreierlei: den süßen Klang ihrer Stimme, das blonde Haar und die schneeige Farbe der Haut.

Und wie dieses weibliche Schönheitsideal des Germanentums auch den Italienern der Gegenwart zur Verkörperung der höchsten Anmut und Weiblichkeit passend erscheint, so hat es überraschenderweise sogar Modell gesessen für das erste ausführliche Bildnis, das uns die frommgläubige Phantasie der Kirchenväter von der Mutter des Heilands entwirft.

„Maria“ – so heißt es im 4. Jahrhundert unserer Zeitrechnung bei dem Bischof Epiphanius, der noch dazu von orientalischer Herkunft war und demgemäß dem Typus der orientalischen Frau näher stand – „Maria war das schönste weibliche Wesen, durchaus edel gestaltet und weder zu kurz noch zu lang. Ihr Leib war weiß und rosig und ohne Makel; ihr Haar lang, weich und goldfarben. Unter der wohlgebildeten Stirn leuchteten ihre mäßig großen Augen hervor, mit einem Lichte wie das des Saphirs. Das Weiße aber darin war milchfarben und glänzend wie Glas. Die gerade und regelrecht gestaltete Nase sowie der Mund mit den schön geschnittenen rosenfarbenen Lippen waren gar lieblich anzusehen. Die prächtig gereihten Zähne besiegten an Reinheit den Schnee. Jedes ihrer Wänglein glich einer Lilie, auf welcher ein Rosenblatt liegt. Ihr schön gerundetes Kinn trug ein Grübchen. Die Kehle war weiß und schlank, der Hals blank und von rechter Länge. Die weißen Hände zeigten gar lange und schmale Finger mit wohlgebildeten Nägeln. Schön war ihr Gang, anmutig ihr Mienenspiel, züchtig und jungfräulich all ihr Gebaren.“

Wir sehen also: der ehrwürdige Kirchenvater empfand genau so wie Mathilde Serao, wie hundert andere italienische Dichter, wie Raffael Sanzio, als er uns in seiner „Madonna del Granduca“ die blondeste aller Blonden schuf; wie die gesamte nord- und südländische Malerei, die ihren Muttergottesbildern fast durchweg das germanische Schönheitsideal zu Grunde legt.

Dem blondrosigen Typus, den uns der Kirchenvater Epiphanius von der „Königin aller Frauen“ gezeichnet hat, sei hier die Schilderung einer weltlichen Schönheit aus dem dreizehnten Jahrhundert gegenübergestellt. Dieselbe findet sich bei dem höfischen Sänger Dietrich von Glaz, in dem „Gürtel“-Gedicht. Die Verse lauten neuhochdeutsch unter Beibehaltung der rhythmischen Eigentümlichkeiten der Urschrift wie folgt:

„Man sah wohl nie ein schönres Weib!
Weh! wie stolz war ihr Leib –
Ihr Haupt mit seinem goldnen Haar!
Der Wänglein Farbe rosig war
Und lilienweiß darunter.
Ihr wohlgeschaffnes Nasenbein
War nicht zu groß und nicht zu klein.
Ihr Mund erstrahlte rosenrot:
Wie selig, wem er Küsse bot!
Ihr Kinn war weiß und ohne Fehle
Und zart und rein war ihre Kehle:
Dadurch sah man des Weines Schwank,
Wenn die edle Fraue trank.“

Im weiteren Verlauf dieser Schilderung – die zwar vom Standpunkt des Künstlers viel zu sehr ins Einzelne geht, für den Kulturhistoriker aber gerade mit Rücksicht auf unser Thema von großem Wert ist – rühmt der Poet die Zähne, die Zunge, die Achsel, die Hände, die Augen, die Arme. Dann schließt er mit den reizend naiven Versen:

„Ihre Güte war so süße,
Daß, wären ihre Füße
Gekommen in des Meeres Flut,
Das Meer, das wäre worden gut!“

Man sieht: ganz der nämliche Typus wie die Madonna des Kirchenvaters.

Neben dem blonden Schönheitsideal verherrlichten die Dichter des Mittelalters gelegentlich auch das brünette; im großen und ganzen aber behauptet die Blondheit ihr Uebergewicht bis in die Gegenwart. Dabei muß bemerkt werden, daß es Frauen mit schwarzem Haar und dunkelgefärbten Augäpfeln giebt, die gleichwohl vermöge der Lichtheit der Hautfarbe und der nicht näher bestimmbaren Blondheit des Wesens dem blonden Schönheitsideal näher stehen als dem brünetten. Das wesentliche Kennzeichen des letzteren ist ein dunkler, oft ins Olivenbraune vertiefter Ton der Haut und eine Gemütsart, die im Charakter der Spanierin am stärksten ausgeprägt ist. Starke Leidenschaftlichkeit des Empfindens denken wir Deutsche uns vorwiegend mit dem dunklen Schönheitstypus vereinigt. Auch scheint es, daß derselbe in manchen Zügen dem Wesen des Mannes verwandter ist; eben deshalb erscheint uns der blonde als der vorwiegend weibliche – womit natürlich durchaus nicht gesagt ist, daß es nicht blonde Frauen von heftigem, hartem, unsympathischem Temperament und dunkelbrünette Frauen von zartester und beglückendster Weiblichkeit geben könne.

Wir brechen hier ab, in dem Bewußtsein, unser Thema nur ganz flüchtig skizziert, bedeutsame Punkte unerörtert gelassen, Merkwürdigkeiten von großer kulturgeschichtlicher Bedeutung gerade nur eben gestreift zu haben. Unsere Studie wird trotz dieser Unvollständigkeit ihren Zweck erreichen, wenn sie den Leser zu eignem Nachdenken über das Rätsel der Schönheit angeregt hat.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_239.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)