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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

die Sonne warm aus unbewölktem Himmel. Die Nächte waren kühl, und ein Feuer im Ofen der großen Gaststube wurde abends sehr geschätzt. Bei einer Höhenlage von 1442 Metern über dem Meere setzte mich dies nicht in Erstaunen: auch bezweifle ich nicht, daß der Schnee, wie erzählt wird, hier im Winter mitunter 14 Fuß tief liegen soll. Nicht ein Tropfen Regen fiel während der sechswöchigen Dauer meines Aufenthaltes beim Calavéras-Hain; und doch prangte der Hochwald im saftigsten Grün.

Mitunter besuchten uns Sommerfrischler, die mit Roß und Wagen nach dem Yosemitethal zogen, in der Nähe des Calavéras-Haines wird diese Fahrt meist unterbrochen. Herren und Damen, denen ich mich mitunter anschloß, machten fast täglich Ausflüge auf Mustangs ins Gebirge, suchten die Bergströme auf, um die prächtigsten Forellen zu angeln, nahmen die 150 Fuß hohen Fälle des San Antonioflusses in Augenschein, oder ritten nach dem 6 englische Meilen entfernten Süd-Hain auf einem romantischen Saumpfad. 1380 Sequoias hat man dort gezählt, die in jenem größten Hain der Mammutbäume in ungestörter Urwildnis prangen. Sie sind ihren Brüdern im Calavéras-Hain vollkommen ebenbürtig. Junge Sequoias sind im Süd-Hain sehr zahlreich. Unter den uralten Sequoias hat der „New York“ einen Durchmesser von 35 Fuß und ist 340 Fuß hoch; der „Massachusetts“ mißt 98 Fuß, der „Ohio“ 104 Fuß im Umfang, und beide erreichen eine Höhe von über 300 Fuß etc. Ein durch Feuer ausgehöhlter Riesenbaum war 3 Jahre lang von einem alten Trapper mit Namen Smith bewohnt, der in der 21 Fuß tiefen und 16 Fuß breiten Höhlung ein Empfangszimmer, ein Schlafgemach, eine Küche und einen Stall eingerichtet hatte. Dicht dabei liegt der „Alte Goliath“, ein Baumkoloß von 105 Fuß im Umfang, den derselbe Sturm im Jahre 1862 entwurzelte, der seinen Genossen, den „Alten Herkules“ im Calavéras-Hain zu Boden warf. Smith war gerade zu Hause, als jenes Ereignis stattfand, und glaubte beim Donnerfall des „Alten Goliath“, daß die Erde entzwei bräche. Bei allen Ausflügen ins Gebirge bemühten wir uns, einiger Schneewurze (snow plantSarcodes sanguinea) habhaft zu werden. Dieses dem Fichtenspargel (monstropa) ähnliche Gewächs kommt nur auf der Sierra Nevada vor. Dasselbe hat ein blutrotes fleischiges Aussehen, mit knollenartigen Auswüchsen und es erreicht mitunter eine Höhe von 16 Zoll. Die Blumenpflanze, denn eine Blume kann man das merkwürdige Gewächs nicht nennen, streckt, sobald der Schnee verschwunden ist, ihr blutrotes Haupt aus dem Waldboden empor.

Herrlich waren die Abende vor Sonnenuntergang auf der breiten Veranda des Gasthauses, entfernt vom Lärm und Gewühl der Großstadt. Das dicht bewaldete Gebirge mit einer großen grünen Wiese davor, die freundlichen Anlagen mit den 200 Fuß hohen Fichten und Cedern und den rotbraunen Säulen der „Sentinels“ („Schildwachen“), zwischen deren Portal die Landstraße hinführt, der nur 150 Schritt entfernte Calavéras-Hain, aus welchem die rötlichen Baumgiganten hervorleuchteten und auf dessen grünen Vorhof die Bäume lange schwarze Schatten hinmalten, zwitschernde und fröhlich singende Vögel – dabei die lauen Abendlüfte, denn der Wind erstirbt regelmäßig vor Sonnenuntergang: es war ganz wundervoll, und nie werde ich die Stunden vergessen, die ich dort verbracht habe! Und dann eine Mondscheinnacht im Calavéras-Hain: ein Spaziergang durch den dämmernden und doch lichterfüllten Hain unter den silberumfluteten rötlichen Säulen der Riesenbäume, ganz allein, wie in einem Märchenwalde! Aehnliches giebt es wohl nirgend sonstwo in der Welt! –

Was ich auf einem solchen nächtlichen Spaziergange schaute und empfand, das will ich hier noch zum Schluß dieser Federzeichnungen aus dem Wunderland Kalifornien in poetischer Form zu schildern versuchen:


 Mondnacht im Calavéras-Hain.

Ich saß auf der Veranda spät,
Von kühler Bergluft sanft umweht,
Den Abend zu verträumen,
Und vor mir lag im Mondenschein
Der dunkle Calavéras-Hain
Mit seinen Riesenbäumen.

Im Bann der wunderschönen Nacht
Ist gleich der Drang in mir erwacht,
Dorthin den Schritt zu lenken,
Und, fern vom Zwiespalt unsrer Zeit,
In seine Pracht und Herrlichkeit
Mich sinnend zu versenken.

Ich kannte in dem Waldgeheg
Den langen, viel gewund’nen Weg
Ja schon seit manchen Tagen,
Wo zwischen prächt’ger Fichten Schar
Die roten Säulen wunderbar
Hoch in den Aether ragen.

Urplötzlich, wie das Sehnen kam,
Erhob ich mich, und bald schon nahm
Mich auf des Haines Mitte.
Kaum sichtbar war der braune Pfad,
Den ohne zögern ich betrat
Mit festem Mannesschritte.

Das Mondlicht spielte zauberhaft
Um Busch und Strauch, um Ast und Schaft
Der hehren Urwaldsriesen,
Und magisch flutete der Glanz
Um ihrer hohen Wipfel Kranz,
Die ernst zum Himmel wiesen.

Fern schwebte in dem Weltenraum
Hoch überm dunklen Waldessaum
Des Vollmonds milde Leuchte,
Die manchmal meinem Blick entschwand,
Dann wieder groß am Himmel stand
Und nie so schon mir däuchte.

Des „Urwalds Vater“ sah ich nun
Entwurzelt auf dem Boden ruh’n,
Was tief mein Mitleid weckte.
Einst ragt’ er hoch wie Erwins Turm,
Bis jählings ihn ein Wintersturm
Lautkrachend niederstreckte.

Viertausend Jahre sind’s und mehr,
Seit hier im Hochgebirge er
Aufwuchs, so stolz, so prächtig;
Es war zur Zeit, als Troja fiel,
Als Ramses’ Macht geherrscht am Nil,
Als Babel groß und mächtig.

Rings stehen noch zerstreut im Wald
Die Söhne, riesig an Gestalt,
Im rötlich-braunen Kleide,
Die „Mutter“ aber, starr und bleich,
Streckt ihre Arme, schemengleich,
Empor im Witwenleide.

Ernst schaut’ ich in den Wald hinein,
Wo Finsternis und Strahlenschein
Sich um die Herrschaft stritten.
Das ist so überall der Brauch!
So ist’s im Menschenherzen auch,
Bis einst es ausgelitten.

Dies sinnend, stand ich lange da,
Und durch die mächt’gen Wipfel sah
Der Mond, der silberreine.
Spät wandt’ ich heimwärts meinen Schritt,
Und dies Gedicht, das bracht’ ich mit
Aus Calavéras’ Haine.


Echt.

Erzählung von R. Artaria.

     (6. Fortsetzung.)}}

Du siehst so blaß aus, Tonerl, es ist mir gestern beim Nachtessen schon aufgefallen,“ sagte des andern Morgens beim Frühstück die Schwester, „wirst uns doch nicht am Ende krank werden?“

„Krank? O nein!“ erwiderte Toni mit raschem Erröten, „ich habe nur so ein dummes Kopfweh schon seit gestern, und ich meine fast – ich glaube, es wäre besser – wenn ich bald wieder nach Hause ginge! …“ Nun war’s heraus, was sie sich diese Nacht vor dem späten Einschlafen fest vorgenommen hatte, jetzt mußte es vollends durchgesetzt werden.

„Du? Wieder nach Hause?“ fragte Frau Resi überrascht. „Ja, warum denn? Bist ja gerade erst gekommen!“

„Nun, ich bin doch schon über acht Tage da,“ erwiderte Toni, „und der Papa hat nicht gemeint, daß ich überhaupt wochenlang bleiben soll. Ich hab’ keine rechte Ruh’ wegen der Mama, sie braucht doch immer viel Hilfe und – und – es ist wirklich besser, wenn ich meine Sachen heute packe und morgen gehe.“

„Nein – so ’was!“ rief jene im höchsten Erstaunen und richtete ihre Augen forschend auf das mit dem Theelöffel beschäftigte und verlegen in die Tasse niederblickende Mädchen. „Hör’ Du! Da steckt noch etwas anderes dahinter, bekenne es nur gleich!“ Sie hielt inne, betrachtete die Schwester nochmals, aber sie zögerte, das Wort auszusprechen, welches ihr auf den Lippen schwebte. Wenn’s wirklich so war, wie sie vermutete, wozu dann drüber reden? Besser, die Kleine verwand es allein …

„Nein, nein,“ versicherte diese mittlerweile mit ungewisser Stimme, „es steckt nichts weiter dahinter als – daß ich halt gern wieder heim ginge. Das Fest ist vorüber – es war ja so wunderschön – aber jetzt sollte ich wieder heim. Es ist mir wie eine Ahnung, daß mich die Mama braucht.“

„So, so!“ – Frau Resi überschlug in Gedanken schnell die Situation und fand, daß es allerdings vielleicht so am besten wäre. Schade! Sie könnte das Tonerl gut noch ein paar Wochen brauchen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_232.jpg&oldid=- (Version vom 16.7.2023)