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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Langsam schreiten wir aus dem sich durch den Wald schlängelnden Pfad weiter, heben mitunter einen grünen Sequoiazapfen auf oder halten ein Weilchen Rast auf einer Ruhebank. Nahe am Weg stehen ab und zu noch mehr Baumkolosse, um deren Wurzeln sich im Laufe der Jahrtausende durch abgefallene Zweige und Nadeln förmliche Hügel gebildet haben. In der Nähe einer halb ausgebrannten Sequoia, die den Namen „Onkel Toms Hütte“ führt und in welcher der alte Wollkopf recht gut hätte wohnen können, liegen zwei umgestürzte Mammutbäume nebeneinander mit unglaublich riesigen Wurzeln. Da das Erdreich über dem Lavabett nur eine geringe Tiefe hat, so sind die Wurzeln gezwungen, sich mehr in die Breite als in die Tiefe auszudehnen, und es ist erstaunlich, daß diese imstande sind, die ungeheure Last der Sequoias im Gleichgewicht zu halten.

Nun wir uns dem Ende unserer Wanderung von etwa einer englischen Meile (1 ½ km) Länge nähern, gewahren wir noch zwei 150 Fuß hohe junge Sequoias, deren Alter auf ungefähr 800 Jahre geschätzt wird. Wie es wohl in Kalifornien aussieht, wenn dieses stattliche Zwillingspaar ausgewachsen ist, wenn zwei Generationen von Riesen sequoias die ganze geschichtliche Entwicklungsperiode der Menschheit umfassen werden und diese 5000 oder 6000 nach Christo zählt? Was dann wohl aus Amerika, was aus Deutschland geworden ist? Solche und ähnliche Gedanken drängen sich uns beim Anschauen jener in erster Jugendkraft strotzenden Bäume unwillkürlich auf. Bald darauf treten wir aus denn dunklen Grün des Waldes wieder ins sonnige Freie. Hier müssen wir noch eine kurze Zeit bei dem Resten des Riesenbaumes verweilen, den der alte Bärenjäger Dowd im Jahre 1852 zuerst entdeckte, und der bereits im darauf folgenden Jahre im Auftrage eines Spekulanten gefällt wurde.

Das Mammoth Grove Hotel.

Und welch eine Arbeit war das Fällen dieses Baumkolosses, der einen Umfang von 96 Fuß hatte und 302 Fuß hoch war! Zuerst wurde die 15 bis 18 Zoll starke Rinde bis zu einer Höhe von 30 Fuß sorgfältig abgelöst, und dann ging’s an die Arbeit, den noch 25 Fuß dicken Baum 6 Fuß über dem Boden umzuhauen. Nachdem sich mehrere geübte Aexteschwinger eine geraume Zeit dabei abgemüht und lächerlich gemacht hatten, sah man ein, daß man so nie zum Ziele gelangen würde. Es wurde nun eine Anzahl 12 Fuß langer Pumpenbohrer herbeigeschafft, und 5 Mann bohrten 22 Tage lang von beiden Seiten ein Loch dicht neben das andere in den Stamm, bis dieser endlich ganz durchschnitten war. Dann wurden 2 ½ Tage lang an einer Seite Keile in die Bohrlöcher getrieben um den Baum umzustürzen. Alles vergeblich! Der jetzt beinahe lose auf seinem unteren Stamme stehende Baum rührte sich nicht. Da erhielten die Keilschläger eine ganz unerwartete Hilfe. Als sie nämlich in wenig rosiger Stimmung am 25. Tage ihrer mühseligen Arbeit ihr Mittagsmahl verzehrten, wurden sie plötzlich von einem furchtbare Gekrach aufgeschreckt, und es erzitterte die Erde wie von einem Erdbeben. Ein Windstoß hatte den Riesenbaum ohne sonderliche Mühe von seinem Piedestal herabgestürzt. So wurde dieser Prachtbaum, der den Stürme im Hochgebirge länger als 3000 Jahre erfolgreich getrotzt hatte, zu Fall gebracht. Die abgelöste Rinde beförderte man später nach England. Sie wurde im Krystallpalaste zu Kensington wieder zusammengesetzt, so daß sie ein 25 Fuß breites und 30 Fuß hohes rundes Zimmer bildete. Später fiel sie dort einem Brande zum Opfer.

Der Stumpf dieser so mühsam gefällten Sequoia wurde geglättet und ein hübscher Pavillon darüber erbaut. In demselben ist an Sonntagen öfters Gottesdienst abgehalten worden; bei festlichen Gelegenheiten wird dort getanzt. Sechzehn Paare bei einem Cotillon haben Platz auf dem Stumpf! In den fünfziger Jahren wurde eine Zeitung („The Big Tree Bulletin“) im Pavillon herausgegeben Der hingestürzte Stamm diente längere Zeit als Kegelbahn, und es stand auch eine Trinkhalle auf demselben. Beide sind jetzt nicht mehr vorhanden. Vom Stamm wurde ein 30 Fuß langes Stück abgesägt, das neben dem Pavillon liegt. Man ersteigt es auf einer 25 Fuß hohen Treppe. An der einen Seite dieses abgeschnittenen Stücks kann man noch genau die Bohrlöcher gewahren; am anderen Ende sitzt noch eine Menge kleiner Nägel, die Prof. Bradley dort einschlug, als er die 3300 Jahresringe zählte.

Herr Sperry hat weder mit dem Fällen jenes herrlichen Baumes, noch mit dem Abschälen der Rinde von der „Mutter des Waldes“ das Geringste zu thun gehabt, da er den Calavéras-Hain und ebenfalls den Süd-Hain erst einige Jahre später käuflich erwarb. Seitdem werden die Riesensequoias in beiden genannten Hainen von ihm wie Augäpfel bewahrt. Ob dies noch lange geschehen wird, kann niemand vorhersagen, denn Herr Sperry steht bereits in vorgerücktem Alter, und die zukünftigen Besitzer dieser herrlichen Haine lieben vielleicht die Dollars mehr als die Riesenbäume. Es ist der Bau einer Eisenbahn bis in diese Gebirgsgegend geplant worden, Spekulanten haben große mit Wald bestandene Bodenstrecken in der Nähe der Haine angekauft, und wenn erst die großen Dampfsägemühlen bis hierher dringen, so können ihnen die Sequoias ebensogut wie die wegen ihres vorzüglichen Bauholzes hochgeschätzte Zuckerfichten und Gelbfichten zum Opfer fallen. Große Sägen werden auch mit den Riesenbäumen fertig werden. Auf das fast unverwüstliche rosafarbene Holz derselben, das eine hohe Politur annimmt, hat schon mancher Holzspekulant ein gieriges Auge geworfen.

Um dem Untergang der Seguoias vorzubeugen, müßte der Staat California die Haine ankaufen, wie dies von der Regierung der Vereinigten Staaten schon vor längerer Zeit mit denn Mariposa-Hain geschah, der zum Yosemite-Park gehört und in jedem Sommer durch eine Truppenabteilung geschützt wird. Allen Kelly, der die Stellung eines Oberförsters in Kalifornien einnimmt, hat erst neuerdings auf die Notwendigkeit eines solchen Schutzes hingewiesen, da die Sägemühlen bereits arg unter den Sequoias in den Hainen von Fresno und am Kingsflusse gewütet haben. Der Ankauf von seiten des Staates muß aber bald erfolgen. Es wäre tief zu beklagen, wenn auch der herrliche Calavéras-Hain und der Süd-Hain der Habgier der Spekulanten zum Opfer fallen sollte.

Die Tage verrannen rasch in dem traulichen und sauber gehaltenen Gasthause, unter freundlichen und umgänglichen Menschen. Das Wetter war tagaus tagein wunderschön. Jeden Tag schien

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_231.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)