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verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

wohl von einigen Verschworenen unterstützt, sein grausiges Vorhaben, die Ermordung Philipps, ausführte.

Der König weilte im bischöflichen Palast. Nachdem am Vormittag die Vermählung seiner Nichte Beatrix, der einzigen Tochter und Erbin seines längst verstorbenen Bruders, des Pfalzgrafen Otto von Burgund, mit dem ihm immer getreuen Otto von Meran stattgefunden hatte und sich Philipp, wie dies in alten Zeiten auch ohne besonderen Krankheitsanlaß geschah, mit vielen seiner Leute zur Ader gelassen, pflegte er, etwas ermüdet, in einem einsamen stillen Zimmer der Ruhe. Nur der greise Bischof von Speyer, Konrad von Scharfenberg, und der treue Truchseß Heinrich von Waldburg waren bei ihm.

Die Uhr zeigte 3 Uhr nachmittags. Eine Schachpartie sollte eben ihren Anfang nehmen, als es an die Thür klopfte. Auf den frohgemuten Hereinruf des Königs erschien Otto von Wittelsbach im Gemache. Der König empfing ihn mit freundlich scherzenden Worten. Das bloße Schwert, das Otto in den Händen trug, erregte keinen Verdacht; denn der Pfalzgraf hatte schon oft durch gauklerisches Waffenspiel dem König Vergnügen bereitet. Aber der unheimliche Blick seiner Augen machte den Harmlosen stutzen. Er verbat sich für diesmal das Spiel. Mit dem Rufe: „Jetzt soll es auch kein Spiel sein!“ stürzte der Pfalzgraf auf den wehrlosen, an Körperkraft weit schwächern König zu. Und noch ehe die anderen es hindern konnten, fuhr das Schwert nieder. Mit durchschnittenem Halse taumelte Philipp noch einige Schritte vorwärts und stürzte dann leblos zu Boden. Der Bischof richtete den Entseelten ein wenig empor, versteckte sich aber, zu Tode erschrocken, beizeiten. Der Truchseß scheute keine Lebensgefahr, drang gegen den Mörder mit dem Schwerte ein, wollte die Thür versperren, ihm die Flucht zu wehren, empfing aber im entscheidenden Augenblicke von dem sich bahnbrechenden Frevler eine schwere Verwundung im Gesicht, und so entkam Otto unaufgehalten aus dem Gemach. Unten schwang sich der Pfalzgraf flugs aufs Pferd und jagte mit den Seinen davon.

Die Kunde von des Königs Ermordung verbreitete sich schnell und rief beim Volk die tiefste Trauer hervor. Hatten auch die Regierungsjahre Philipps großes Leid über Deutschland gebracht, der Fürst persönlich war wegen seiner vielen Tugenden jederzeit geliebt und geehrt. Die als Folge des Ereignisses befürchteten Wirren, die das Reich von neuem in schwere Gefahren hätten stürzen können, blieben zum Glück aus. Gegenkönig Otto von Braunschweig erhielt bald die allgemeine Anerkennung, Ruhe und Ordnung traten ein. Auch dem Verbrechen folgte bald die Sühne. Otto von Wittelsbach wurde, nachdem bereits auf dem Reichstage im November 1208 zu Frankfurt über ihn die Acht gesprochen worden war, unweit Regensburg in einem Hofe der Mönche von Ebrach, wo er einen Schlupfwinkel gefunden hatte, von einem seiner langjährigen Feinde, dem Reichsmarschall Heinrich von Kalindin, erschlagen. Dl.     

Nach dem Titelkupfer der „Gedichte“ Günthers, Ausgabe v. J. 1764.

Christian Günther. Am 8. April vor zweihundert Jahren wurde in Striegau in Schlesien ein Dichter geboren, dessen kurzer Lebenslauf ein Wirrsal von Verirrungen und Bedrängnissen war und als ein Vorläufer vieler späteren zu Grunde gegangenen Talente betrachtet werden kann, der aber auch, zuerst den toten Formelkram anspruchsvoller Nachahmungen abstreitend, heraussang aus seinem innersten Empfinden, alles was ihn bewegte, Leid und Lust, glühende Leidenschaft und auch wüsten Taumel, und gerade dadurch zuerst die Töne der modernen Lyrik anschlug. Johann Christian Günther dichtete schon auf der Schule, wo ihm für seine gewandte Beherrschung des Verses manches Lob zu teil wurde; nur sein Vater wünschte, daß er den „Bettel“ liegen lassen und seinen ganzen Fleiß einem Brotstudium und zwar der Medizin zuwenden möchte; doch er dichtete überall, im Gehölz, im Garten, im Winkel und auch eine Philindrene hatte er gefunden, der er seine Gesänge widmete. Wer weiß, ob diese erste Jugendliebe nicht vielleicht seinem späteren Leben ein Schutzgeist geworden wäre; doch sie starb früh und bald erfüllte eine andere Liebe sein Herz. Leonore, die Tochter eines Dr. Jachmann in Schweidnitz, hatte es ihm angethan; doch sie ward ihm untreu und gehorchte dem Willen ihrer Eltern, die sie zu einer andern Heirat bestimmten. Im zwanzigsten Jahre hatte Günther die Schule von Schweidnitz verlassen und die Universität in Wittenberg bezogen, wo er sich einem flotten Leben ergab. Gerade aus seinen Gedichten kann man die Roheit des damaligen studentischen Lebens und Treibens erkennen; nicht selten dichtete Günther im Rausche, und der Branntwein war damals ein Lieblingsgetränk der Studenten. In Liebessachen huldigte er der „Freigeisterei der Leidenschaft“; hatte er eine Herzenskönigin gefunden, so übte diese eine Zeit lang einen bessernden Einfluß auf ihn aus, er begann sein verwahrlostes Aeußere mehr zu pflegen, er vertauschte sein abgeschabtes Kleid mit einem besseren und gewöhnte sich ab, „mit sechs Löchern in den Strümpfen und sechs Federn in den Haaren“ zu gehen. Doch nicht lange dauerte die Herrschaft der Einen und eine Alleinherrschaft war es nie gewesen. Das Studium der Medizin vernachlässigte er gänzlich; eher zog die Philosophie eines Wolf und Leibniz ihn an. Dadurch überwarf er sich mit seinem Vater, der streng und unversöhnlich blieb und ihn auch dann nicht sehen und sprechen wollte, als er einmal nach Striegau zurückgekehrt war, um womöglich diesen Zwiespalt auszugleichen, der zu den Hauptschmerzen seines Lebens gehörte. Der Leipziger Professor Mencke, Verfasser einiger schwülstigen Gedichte, interessierte sich für Günthers Talent und empfahl ihn an den Dresdener Hof, wo indes seine Manieren bei den Hofleuten Anstoß erregten und wo er sich durch seine Offenherzigkeiten und seine satirische Bitterkeit Feinde machte. Solcher Feindschaft schrieb man es zu, daß er bei einer Audienz, die ihm König August bewilligt hatte, vollständig betrunken erschien; er sei böswillig von seinen Neidern in diesen Zustand versetzt worden. Natürlich fiel er alsbald in Ungnade und seitdem geißelte er in seinen Dichtungen das Hofwesen. Eine Stellung in Breslau als Hofmeister beim Grafen Schaffgotsch verscherzte er in gleicher Weise. Ein anderer seiner Gönner, Herr von Nimptsch, wollte ihn durch eine Heirat zur Vernunft bringen. Des Pfarrers Töchterlein von Bischwitz, die er in seinen Gedichten Phyllis nennt, der er wohl seine Liebe zu Philindrene und Leonore, aber nicht seine andern Liebschaften gebeichtet, hatte den Mut, sich mit ihm zu verloben; aber er schenkte ihr einen Verlobungsring, auf dem ein Totenkopf angebracht war; er fühlte sich bereits dem Tode verfallen und starb auch nicht lange darauf im Jahre 1723.

Dies sein Leben kann man zum großen Teil aus seinen Gedichten beranslesen, und zwar aus seinen besten, wo dann die Unmittelbarkeit der Empfindung und die Offenherzigkeit der Beichte oft einen ergreifenden Eindruck macht. In sehr vielen Gedichten schwingt er die satirische Geißel, sowohl über schlechte Gelehrte und Poeten als auch über das ganze „Philisterpack“; doch es ist weniger die Ueberzeugung von der Schlechtigkeit der Welt, weniger die Absicht, sie zu bessern und zu bekehren, als die innere Verbitterung, die ihm diese Satiren eingab. Besonders seinen persönlichen Gegnern setzte er aufs schonungsloseste zu. Daneben finden sich zahlreiche Gelegenheitsgedichte in dem damals üblichen Ton; auch politische, wie dasjenige auf Eugen und den Frieden von Passarowitz, das ihm bei seinen Zeitgenossen mehr als alles andere den dichterischen Lorbeer einbrachte. Viele Hochzeitscarmina und Begräbnislieder hat er gedichtet, ganz im Stil der damaligen Gelegenheitspoeten; er spottet indes selbst darüber, daß sein Gaul bei Hochzeiten und Begräbnissen bis Moskau um sechs Groschen traben müsse, der doch der Welt dienen könne, wenn ihm das Volk erlaube, auf eigener Bahn zu gehen. Wo der Dichter aber auf dieser eigenen Bahn ging, da überragte er durch markige Kraft der Sprache und Gefühlswahrheit seine Zeitgenossen. Seine Leonorenlieder besonders nehmen einen dauernden Wert in Anspruch. Jedenfalls ist Günther zu den Weltschmerzpoeten zu zählen und die neuesten Pessimisten mögen in ihm ihren dichterischen Ahnherrn erblicken. †     


Inhalt: Echt. Erzählung von R: Artaria (5. Fortsetzung). S. 201. – Allweil fidel! Bild. S. 201. – Formosa. Der mutmaßliche Siegespreis der Japaner. Von Dr. Adolf Fritze. S. 204. – Palmsonntag in Ragusa. Bild. S. 205. – Das Butteraroma. S. 206. – Die Ermordung Philipps von Schwaben durch Otto von Wittelsbach. Bild. S. 209. – Der Fähnrich als Erzieher. Eine Backfisch-Studie von Hans Arnold (Schluß). S. 210. – Ehelicher Zwist. Bild. S. 212. – Ehelicher Frieden. Bild. S. 213. – Erfinderlos. Konrad König und der Brunnen auf dem Königstein. Von Cornelius Gurlitt. S. 214. – Wer fängt? Bild. S. 217. – Blätter und Blüten: Vermißten-Liste. (Fortsetzung aus Nr. 46 des vor. Jahrgangs) S. 218. – Palmsonntag in Ragusa. S.219. (Zu dem Bilde S. 205.) – Der Ursprung des Spinats. S. 219. – Die Ermordung Philipps von Schwaben. S. 219. (Zu dem Bilde S. 209.) – Christian Günther. Mit Bildnis. S. 220.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_220.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)