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verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

soll, und in Anbetracht, daß der Fähnrich die einzige Uniform an dem Abend war, lächelte denn auch huldvoll auf ihn hernieder und tanzte mit ihm davon. Für den Unparteiischen war es allerdings sehr komisch, zu beobachten, daß sich hier „das Starke“ und „das Zarte“ im umgekehrten Verhältnis präsentierte, ja es machte beinahe den Eindruck als tanze der Fähnrich in kindlicher Pietät mit seiner sehr gut konservierten Mama.

Für den Unparteiischen, wie gesagt, war die Sache und die ganze glühende Leidenschaft des Fähnrichs sehr belustigend. Aber unser Hänschen war nichts weniger denn eine Unparteiische, und ihr kleines Herz zog sich mit jeder Minute schmerzlicher zusammen. Anderseits suchte die durch die letzte Zeit gemäßigte, aber durchaus noch vorhandene Unbändigkeit angesichts der Situation nur nach einem Vorwand, um mit elementarer Gewalt wieder hervorzubrechen. Es darf nicht verschwiegen werden, daß Hänschen mehrmals in das andere Zimmer lief, wo sie sich unbeobachtet wußte, dort mit beiden Füßchen stampfte, als wollte sie sich direkt aus dem ersten Stock ins Parterre durchtrampeln, und sich bis zu der Anrede „Dummer Kerl!“ an die Adresse ihres Ideals hinreißen ließ.

Die Eltern warfen sich auch einige Blicke zu, die bei dem Vater allerdings einen etwas ironischen Beigeschmack hatten. Die Mutter aber nahm naturgemäß blind Partei für ihre Tochter und fand das Benehmen des Fähnrichs „einfach empörend“.

„Und daß die alte Schachtel sich so von dem Jungen die Cour machen läßt,“ setzte die Hausfrau mit schnöder Verletzung des Gastrechts giftig hinzu, „das ist doch zu arg!“ Der Vater zuckte die Achseln.

„Liebes Kind – ich dächte, wir hätten unsere Studien gemacht – so ein Fähnrich kann mehr wie Brot essen! Für Hänschen ist die Sache übrigens ganz heilsam,“ setzte der Hausherr hinzu, „sie übertrieb die Wirtschaft mit dem Jüngling schon. Laß sie nur abgekühlt werden, der kleine Hochmutsteufel, der in ihr steckt, wird ihr am besten darüber weghelfen.“

„Ja, ja,“ seufzte die Präsidentin halb überzeugt, „aber gerade an ihrem Geburtstage – sie hatte sich so darauf gefreut.“

Ehelicher Zwist.
Nach einer Zeichnung von Richard Strebel.


Der schmerzliche Abend war inzwischen fast bis zum Cotillon vorgerückt, und unser armes Hänschen, das sich, wie wir uns erinnern werden, diesen wichtigsten der Tänze für den Fähnrich aufgehoben hatte, stand alle Qualen einer Gerichteten aus. Wenn sie jetzt, um die Situation zu krönen, noch mit einem Obersekundaner tanzen mußte, dem Einzigen, der noch unversorgt war, weil er in blinder Verlegenheit nicht gewagt hatte, irgend eine Dame aufzufordern – „dann gehe ich zu Bette!“ sagte die kleine Heldin dieser wahren Geschichte dumpf vor sich hin und frug sich bitter, wozu denn eigentlich das ganze Leben wäre.

Um den Becher ihrer Leiden zum Ueberfließen zu füllen, frug eine niederträchtige Freundin, die etwas gemerkt hatte, alle Augenblicke: „Mit wem tanzest Du denn den Cotillon?“ eine perfide Erkundigung, die Hänschen, um der Wahrheit nicht ins Antlitz zu schlagen, mit einem unartikulierten Gemurmel zu beantworten sich genötigt sah. Kurz, „es war hübsch“, wie das arme Backfischchen mit grimmigem Hohn bei sich selbst bemerkte.

Wie verschieden die Menschenlose verteilt sind, das zeigte sich auch an diesem Abend wieder. So deprimiert und erzürnt Hänschen war, so wolkenlos beglückt fühlte sich der Fähnrich! In seiner Eigenschaft als Tanzordner wuchs er erstens vor sich selbst zu schwindelnder Größe empor – er stürzte, um sich von

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verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1895, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_212.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)