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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

die Fähigkeit zukommt, den Milchzucker in Milchsäure zu verwandeln, und sie unter dem Namen der Milchsäurebakterien zusammengefaßt. Als man sie rein züchtete und ihren Einfluß auf die Milch untersuchte, da fand man, daß sie außer der Milchsäure auch Nebenprodukte in winzigen Mengen erzeugen und daß einige dieser Nebenerzeugnisse aromatisch sind. Das Aroma der einen Art ist milder, das der anderen stärker.

Im gewöhnlichen Milchbetrieb wird die Einleitung der Gährung dem Zufall überlassen. Milchsäurebakterien sind in der Natur sehr verbreitet und sie fehlen niemals in Räumlichkeiten, in denen man Milchwirtschaft betreibt. So gelangen sie leicht in die Milch und machen sie sauer. Aber sie haben hier verschiedene Nebenbuhler, die sich gleichfalls von der Milch nähren wollen, Bakterien anderer Art, welche andere Gährungen einleiten und die Milch für unsere Zwecke ungünstig beeinflussen, sie nicht sauer, sondern bitter oder faulig machen. Gelingt es den Milchsäurebakterien, was zumeist der Fall ist, den entschiedenen Sieg davon zu tragen, dann ist die Gährung nach unserem Wunsche abgelaufen, kommen aber die unerwünschten Bakterien mehr zur Geltung, dann kann die Milch verderben oder nimmt Eigenschaften an, die ihren Wohlgeschmack und damit das Aroma der Butter beeinträchtigen. Dann kann es vorkommen, daß eine aus solchem unzweckmäßig gesäuerten Rahm gemachte Butter bitter, ölig oder thranig schmeckt. Beobachtungen haben ergeben, daß der schlechte Geschmack, den man oft dem Futter zuschrieb, nicht von diesem, sondern von einer fehlerhaften Gährung herrührte.

Bei der „wilden Gährung“, welche der Rahm durchmacht, spielt der Zufall eine wichtige Rolle, und der Landwirt erhält bei gleicher Vorsicht und gleichem Fleiße das eine Mal eine vorzügliche, das andere Mal eine minder gute oder gar schlechte Butter. Die Wissenschaft bietet ihm jedoch heute Mittel, den Zufall auszuschalten und die „wilde Gährung“ in eine bestimmt geregelte zu verwandeln. Er braucht nur die Milchsäurebacillen rein zu züchten und dann eine Reinkultur derselben in den Rahm zu gießen, dann sind die guten Bacillen in solcher Ueberzahl in dem Rahme vorhanden, daß sie alle feindlichen, den Rahm verderbenden Elemente aus dem Felde schlagen.

Im Verfolg dieses Gedankens hat H. Weigmann die verschiedenen Arten der Milchsäurebakterien gezüchtet und einige herausgefunden, die ein besonders angenehmes obstartiges Aroma erzeugen. Von diesen stellte er Reinkulturen her und bot sie Molkereien an.

Man machte damit bei der Butterbereitung Versuche, die günstig ausfielen. Einige Molkereien Schleswig-Holsteins haben bereits ein paar Jahre lang mit den Reinkulturen gearbeitet. Die Butter, die sie aus dem also angesäuerten Rahme erhielten, hatte allerdings ein weniger kräftiges Aroma als die Butter der „wilden Gährung“, aber die Molkereien brauchten sich nicht mehr über Butterfehler zu beklagen, die Butter wurde weder bitter, noch ölig, noch thranig.

Das ist ein neuer Triumph der Gährungstechnik, die immer weitere Gebiete erobert. Die Brauerei zieht ihren Nutzen aus der Reinkultur der Hefe, Centner pfälzischen Tabaks werden gegenwärtig durch eine geregelte Gährung veredelt, auch in dem Molkereiwesen soll die Macht des Zufalls vor dem zielbewußten menschlichen Willen weichen. Wir stehen allerdings erst am Anfang dieser Bewegung, und sicher wird das Verfahren mit den Reinkulturen der Milchsäurebacillen vervollkommnet werden. Vielleicht werden wir noch ein Butteraroma kosten, von dem unsere Vorfahren sich nicht träumen ließen.

Dieses Gut, das uns die winzigen Lebewesen spenden, ist aber leichtbeschwingt und sehr empfindlich. Es will wohl gehütet werden: d. h. die gute Butter muß auch in fertigem Zustand gut behandelt werden, sonst geht das Aroma und mit ihm der Wohlgeschmack verloren.

Die Aufbewahrung der Butter ist Sache der Hausfrau, und einer erfahrenen Hausfrau können wir hierin nichts Neues sagen. Sie weiß, wie sie die Butter zu behandeln hat. Vielleicht macht es ihr aber Vergnügen, eine wissenschaftliche Erklärung ihrer bewährten Kunst kennenzulernen.

Die Butter hat zwei Feinde: Bakterien und physikalisch-chemische Einflüsse. In jeder frischen Butter ist noch etwas Milchwasser enthalten.

Nachdem die Milchsäurebakterien den Milchzucker aufgezehrt haben, können sie in der Milch nicht fortbestehen, ihre Herrschaft ist zu Ende. Dann kommen aber die Keime anderer Bakterien zur Geltung, die sich an das Eiweiß der Milch heranmachen und es zersetzen. Diese Zersetzung ist eine Art Fäulnis, sie wird durch Wärme begünstigt, durch Kälte hintangehalten, darum hält sich die Butter im kühlen Raume länger und darum gilt eine möglichst wasserarme Butter als besser. Wenn wir die Butter schmelzen, so bleibt das Wasser und mit ihm das Eiweiß unten im Gefäß und die abgeschöpfte Butter hält sich länger; allerdings ist sie dann keine Butter mehr, sondern nur Butterschmalz.

Das Fett, oder besser gesagt die Fette der Butter werden aber auch durch den Sauerstoff der Luft und durch das Licht angegriffen; unter Einwirkung dieser Faktoren werden sie ranzig, wenn auch gar keine Bakterien in der Butter sind. Aus diesen Gründen haben erfahrene Frauen seit jeher die Butter kühl aufbewahrt und sie vor dem Einfluß von Licht und Luft geschützt.

Ein eigenartiger Fehler ist noch das Talgigwerden der Butter, ein Fehler, der zumeist bei Buttersorten auftritt, die überarbeitet wurden und zu viel Luftporen enthalten. Jede Butter wird übrigens in kürzester Zeit talgig, wenn man die Einwirkung der Luft durch die des Lichtes unterstützt und sie direkten Sonnenstrahlen aussetzt.

Meine Leserinnen wissen auch, daß die Butter begierig allerlei Gerüche aufsaugt. Die alten Griechen und Römer verfertigten aus ihr wohlriechende Salben. Sie nimmt aber ebenso leicht auch Uebelgerüche an; der Stalldunst, der Moder des Kellers, ein übler Zimmergeruch werden von ihr schleunigst aufgesogen, und es ist bekannt, wie bei unzweckmäßiger Aufbewahrung binnen wenigen Stunden die duftendste Butter zu einer übelriechenden werden kann.

Die Fortschritte der Gährungstechnik fördern jedoch nicht nur den Wohlgeruch der Butter, sie sind geeignet, auch deren hygieinischen Wert zu erhöhen. Man liest zu Zeiten einer Epidemie wiederholt die Warnung, man solle keine „ungekochte Butter“ genießen, da Krankheitserreger auch in die Butter aus der Milch hineingelangen können. Der Menschheit, die gern Butterbrot ißt, erscheint diese Warnung als eine schreckliche Verordnung, die ihr eine harte Entbehrung auferlegt. In unseren Betrachtungen finden sich Andeutungen, wie diesen Gefahren gesteuert werden kann; es ist nicht unmöglich, den Rahm von schädlichen Mikroorganismen durch Erhitzen zu befreien und dann eine Gährung durch Reinkultur wohlthätiger Bakterien herbeizuführen. J.     


Der Fähnrich als Erzieher.

Eine Backfisch-Studie von Hans Arnold.

     (Schluß.)

Hänschen stand eben an ihrem Geburtstagstisch und zählte die eingegangenen Briefe und Karten, als der Assessor mit einem „anständigen“ Bouquet erschien und seinen Glückwunsch aussprach – zugleich aber sein Bedauern, daß er heute abend nicht werde pünktlich erscheinen können, da ihn ein amtliches und nicht zu umgehendes Diner bis in die neunte Stunde fesseln werde.

„Sie könnten mir wohl einen Tanz aufheben, Fräulein Hänschen!“ bemerkte er dabei.

„Wenn es irgend möglich ist!“ erwiderte Hänschen herablassend.

„Nun, auf alle wird doch der Fähnrich nicht pränumeriert haben!“ fuhr der Assessor etwas gereizt heraus, „übrigens hat ja wohl die Freude bald ein Ende – wie ich höre, macht der junge Herr in drei Wochen sein Examen – dann heißt es: ‚Adieu, Fähnrich‘!“

Hänschen blitzte den herzlosen Sprecher mit einem Paar sehr zorniger Augen an, die sich zu ihrer eigenen peinlichen Ueberraschung im nächsten Augenblick mit Thränen füllten.

„Bitte – wenn Sie mir meinen Geburtstag verderben wollen, werde ich mich sehr freuen!“ brachte sie trotzig hervor und stürzte aus dem Zimmer.

Der Assessor stand einen Moment betroffen – dann wandte er sich an die Mutter.

„Sie hat geweint!“ sagte er mühsam und atemlos.

Die Präsidentin lachte.

„Jawohl!“ erwiderte sie mit großer Seelenruhe, „der Gedanke, daß der Fähnrich bald abreist, ist ohnehin eine wunde Stelle in ihrem Herzen – und heute ist sie geburtstäglich sentimental gestimmt, sechzehn Jahre – also der erste Schritt zum ‚furchtbar alt‘ werden – und da müssen Sie mit der Erinnerung an die demnächstige Trennung von dem himmelblauen Helden kommen! Natürlich hat sie geweint. Es wäre auch noch besser, wenn sie es nicht gethan hätte. Kommen Sie einmal her, wenn der Fähnrich wirklich abreist, da sollen Sie erst merken, was Weinen heißt, oder ich müßte noch nie einen Backfisch gesehen haben!“

Der Assessor empfahl sich vernichtet – die Mutter schien die Sache auch noch zu begünstigen – recht hübsch, das mußte man sagen!

Es ist eine durch zahllose Erfahrungen bestätigte, wenn auch keineswegs angenehme Thatsache, daß Luftschlösser und Pläne eine gewisse Entfernung verlangen – daß sie, in die Nähe rückend und zur Wirklichkeit geworden, aus schimmernden, farbenprächtigen Gebilden zu kleinen, verkümmerten Früchten werden – greifbar, aber nicht so hübsch. Der Mensch sollte daher schon so klug geworden sein, sich nie im voraus zu sehr auf bestimmte Ereignisse zu freuen, aber er wird – leider oder zum Glück! – nicht klug. Und ein Mensch von sechzehn Jahren, der schon so verständig wäre, keine Luftschlösser mehr zu bauen, der möglichen Enttäuschung halber – mit dem möchte ich für meine Person wenigstens nichts zu thun haben.

Nun, unser Hänschen gehörte nicht zu dieser verpönten Menschenklasse! Die Geburtstagsfeier, die Tanzgesellschaft, die „erste Violine“, die sie bei dieser Gelegenheit naturgemäß zu

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