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Blätter und Blüten.



Das Porträt des Fürsten Bismarck, welches unsere heutige Kunstbeilage den Lesern darbietet, ist die Nachbildung eines der neuesten Gemälde von Franz von Lenbach. Seit die „Gartenlaube“ den „eisernen Kanzler“ zum erstenmal abgebildet hat – es war im Jahre 1870 auf jenem Bild von Camphausen, das die erste Begegnung des Kanzlers mit dem gefangenen Franzosenkaiser auf der Straße von Sedan nach Donchery darstellt – hat das Alter und das Schicksal in Bismarcks Erscheinung gar manche Veränderung hervorgebracht. Aber noch leuchtet unter der buschigen Braue das Auge, in dessen Ausdruck sich so energisch der tiefblickende und weitschauende Geist ausprägt, der an der Gründung des Deutschen Reichs und seiner Ausgestaltung zu Macht und Ansehen einen so gewaltigen und maßgebenden Anteil gehabt hat. Von allen Malern, welche die Erscheinung des Fürsten Bismarck unmittelbar nach dem Leben in Bildnissen festgehalten haben, ist Lenbach derjenige, der den Charakter des willensgewaltigen Staatsmanns am lebenswahrsten zur Darstellung gebracht hat. Es ist ihm auch wie keinem anderen vergönnt gewesen, das Wesen des Fürsten im persönlichen Umgang eingehend zu studieren, was der Lebenswahrheit seiner vielen Bismarckporträts natürlich zum Vorteil gereichen mußte. Vor allem aber ist es doch die Lenbach innewohnende geniale Begabung für die Darstellung bedeutender Charakterköpfe, sein künstlerischer Trieb, historische Persönlichkeiten in ihrem innersten Wesen und ihrer bleibenden Bedeutung zu erfassen und im Bilde wiederzugeben, welche ihn wieder und wieder antreibt, in der Darstellung des von ihm mit Begeisterung Verehrten seinem Talente das Höchste abzuringen, und die seinen Bismarckporträts wiederum einen Wert von historischer Bedeutung verliehen hat.

Für die hilfsbedürftigen Weber im Glatzer- und Eulengebirge, deren Schicksal wir in Nr. 42 des vorigen Jahrg. aufs neue zur Sprache gebracht haben, hat sich im Kreise Waldenburg in Schlesien und mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse dieses Kreises erfreulicherweise ein Frauenverein gebildet, der, wie uns mitgeteilt wird, in verhältnismäßig kurzer Zeit recht günstige Resultate aufweisen kann. Dieser unter der Bezeichnung „Arbeitsvermittelung für hilfsbedürftige Weber zu Michelsdorf, Kreis Waldenburg in Schlesien“ bestehende Damenverein verfolgt sein Ziel nach verschiedenen Richtungen. Wir entnehmen einem uns aus der Mitte dieses Vereines zugegangenen Schreiben das Nähere. Zunächst suchen sie bessere Erwerbsverhältnisse für diejenigen Weber zu schaffen, welche infolge ihrer geschwächten Körperkonstitution schlechterdings irgend etwas anderes als das von Kindheit an Geübte zu thun nicht mehr imstande sind. Das geschieht dadurch, daß die Rohmaterialien im ganzen eingekauft und die armen Handweber und Spuler nicht allein mit regelmäßiger Arbeit versehen werden, sondern auch für die Ausführung der Arbeiten noch um 20 bis 40 % erhöhte Arbeitslöhne erhalten. So gelangen sie zu einem sicheren und besseren Verdienst, so daß sie sich auch besser ernähren können, was langsame Hebung der Kräfte des Einzelnen zur Folge hat. Dies haben die Damen in einigen Bezirken erreicht und dieses Liebeswerk verdient thatkräftige Unterstützung. Um nun die fertig abgelieferten Waren sofort verkaufen zu können, ist in Michelsdorf eine Verkaufsstelle – Hauptniederlage – errichtet, wo die gewebten Stoffe verkauft werden, und dadurch ist dem Publikum Gelegenheit gegeben worden, beste, haltbarste Stoffe jeder Art zu billigem Preise zu erwerben. Auch das Warenhaus des Offiziervereins in Berlin, Dorotheenstraße, hat den Verkauf dieser Webereien übernommen, ohne Gebühren dafür zu berechnen, so daß die Stoffe durch den Vertrieb und Zwischenhandel nicht verteuert werden. Hierdurch – also durch den Wegfall des Zwischenhandels – ist es möglich, der Weberhilfskasse von jeder Bestellung noch einige Prozent Gewinnanteil zuzuführen. Auf diesem Wege hat der Damenverein in den letzten beiden Jahren eine besondere Einnahme von rund 5000 Mark erzielt, welche zur Gewährung von fortlaufenden oder einmaligen Unterstützungen verwandt worden ist. Die letzten Rechenschaftsberichte des Vereins ergeben das Nähere, dieselben sind von der „Arbeitsvermittelung“ in Michelsdorf zu erhalten. Wenn aus weiteren Kreisen des Publikums durch umfangreiche Einkäufe ihres Bedarfs, die dem eigenen Vorteil entsprechen würden, das hochherzige Streben der Damen unterstützt würde, könnten diese ihr wirklich praktisches Liebeswerk noch mehr erweitern.

Der Spielkamerad.
Nach einem Gemälde von Th. Kleehaas.

Ein zweites Ziel des Vereins ist, die neue Generation einer lohnenderen Berufsart zuzuführen. Sind die erwachsenen Weber in trostloser Lage, gegen die sie durch lange Gewöhnung freilich abgestumpft wurden, so ist das Elend der armen Kinder geradezu herzbrechend: schon vom fünften Jahre an, oft sogar noch früher, müssen sie vom frühen Morgen bis zum Abend spulen; Kinderlust und Freude sind ihnen unbekannte Begriffe, denn sie sind unablässig an die geisttötende Arbeit gefesselt, wobei sie durch das Staubschlucken in dumpfiger Stube, den sauren Kleistergeruch verkümmern. Da ist Hilfe nun schwer. Einmal können viele Eltern die paar Pfennige wirklich nicht entbehren, welche auch die noch nicht schulpflichtigen Kinder wöchentlich durch Spulen verdienen müssen, dann aber ist auch der Unverstand der Eltern, ihre stumpfe Gleichgültigkeit, durch lange physische Not und Entbehrung erzeugt, so groß, daß sie nicht einsehen wollen, was zum Wohl ihrer Kinder dient.

Manche freilich würden diesen auch gern eine bessere Zukunft sichern, wenn sie irgend dazu imstande wären. Dies wird vom Verein teilweise dadurch erreicht, daß Prämien bezw. Beihilfen teils in bar, teils in Naturalien an solche Weberkinder bewilligt werden, welche sich einem anderen Berufe als der Weberei zuwenden. Auf diese Weise ist schon eine ganze Anzahl Kinder, Knaben wie Mädchen, dem Weberelend entrissen und anderen Berufen zugeführt worden. Erfreulich ist es, zu sehen, wie sich diese Kinder unter anderen gesunden Lebensbedingungen überraschend schnell erholen; aus den bleichen, hohläugigen Jammergestalten werden frische, fröhliche Kinder, die fleißig und willig ihre kleinen Hände rühren und die auf sie verwendete Mühe reichlich lohnen. Leider ist es bisher nicht möglich gewesen, diese Wohlthat allen Kindern zu gewähren, für die sie Rettung aus lebenslänglichem Elend bedeutet. Hier die helfende Hand zu reichen, wird gewiß mancher Menschenfreund bereit sein, nun er davon erfahren.

Parsifal zeigt den Gral. (Zu dem Bilde S. 185.) Die großartige Dichtung Wolframs von Eschenbach, in welcher die idealen Elemente der ritterlichen Romantik und Mystik des Mittelalters sich zu der erhabensten poetischen Wirkung vereinigt haben, ist von Richard Wagner der Bühne erobert worden, freilich zunächst nur der Bayreuther Festbühne; denn man traute den Alltagsbühnen des Deutschen Reichs nicht zu, daß sie eine Stimmung hervorrufen könnten, welche der Hoheit und Feierlichkeit dieses Feststückes gerecht wurde. Nachdem verschiedene Konzertinstitute es neuerdings unternommen haben, einzelne Partien, namentlich die feierlichen Liebesmahls- und Gralscenen, ohne Bühnenapparat zum Vortrag zu bringen, ist das Interesse für das große „Bühnenweihfestspiel“ des Bayreuther Meisters noch im Wachsen begriffen. Die Dichtung Wolframs von Eschenbach ist von Richard Wagner, vielfach umgeschaffen, zur Grundlage seines Musikdramas gewählt worden. Parcival – Wagner schreibt „Parsifal“ – ist der Sohn Gahmurets und der Herzeloide; mit jenem Namen, der so viel bedeutet wie „reiner Thor“, begrüßte sein Vater den noch Ungeborenen – dieser starb vor der Geburt des Sohnes. Die Mutter aber, die durch des Gatten wilde Kriegsabenteuer und seinen Tod viel Leid erfahren, erzog den Sohn in der Einsamkeit, fern vom Lärm der Menschen und dem Geräusch der Waffen, damit er vor allen Gefahren behütet sei. Doch einmal verschwand der Knabe und seine Spur war verloren. Da brach das Leid der Mutter das Herz. Der Knabe aber war glänzenden Männern nachgeeilt; mit dem Bogen bewaffnet, hatte er sich zur Wehr gesetzt und des Lebens Unterhalt erworben. Im ersten Akt des Musikdramas, als er die Bühne betritt, hat er mit seinem Bogen einen Schwan erlegt, was im Reiche des heiligen Gral für eine Frevelthat gilt. Mit Reue hört er die Mahnungen des weisen Gurnemanz an und dieser geleitet ihn zum heiligen Gral, der ihn speisen und tränken wird, wenn er weise ist. Der Hüter des Grals,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_199.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)