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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

später eines Amtmannes und im 15. Jahrhundert ein Lieblingsaufenthalt der Salzburger Erzbischöfe. Heute hat sich hier eine gastliche Herberge aufgethan und vom rosen- und wildrebenumrankten Sitz auf der Terrasse schweift der Blick hinaus auf die blauduftige Bergkette des gesegneten Salzburger Landes.

Durch das nördliche Thor, welches in seinen bunten Farben eine anziehende, ungemein malerische Wirkung ausübt, verlassen wir die anheimelnde Stadt und wandern gen Norden steil aufwärts unter hohen Bäumen dem Dörflein Nunreuth mit seinem stattlichen Wirtshause zu. Von hier aus hat der Stift des Malers die Rundschau aufgenommen, die sich ganz plötzlich und dem Wanderer völlig unerwartet an der einzigen Stelle, wo ein freier Rückblick möglich ist, über das weite Salzachthal mit dem freundlichen Tittmoning im Mittelgrunde bietet, während im Süden der blauende Gebirgszug sich dehnt, in welchem der Stock des Untersberges und die schroffen Rücken des Tännengebirges dominieren.

Abtei Raitinhaslach.

Tief unten in der Schlucht braust die Salzach; wir wandern mit den Wellen weiter nach Norden, bis der Fluß mit einer plötzlichen Wendung nach Osten abbiegt und für ein in mehreren Terrassen sich abstufendes Knie der Uferwand Raum giebt. Türme und Giebel eines stattlichen Baues streben empor, malerisch gehoben durch den Hintergrund des Hadermarkter Berges, stattlich immer noch, obwohl sie nur die Ueberbleibsel einer prachtvollen Abtei bilden. Auch Raitinhaselach („die Rodung im Haselwalde“) wird bereits im 8. Jahrhunderte unter den Besitzungen des Salzburger Hochstiftes genannt und die Anfänge eines dort bestandenen Chorherrenstiftes reichen in unbekannte Zeiten zurück. Hierher verlegten 1146 auf Betreiben des Salzburger Erzbischofs Konrad der Edle Wolfger von Tegerwang und seine Gattin Hanna das zuerst in Schützing an der Rott gegründete Cisterzienserkloster. Durch viele Begabungen gediehen die „grawen Müniche“ zu beträchtlichem Reichtume, wenn auch Kriege und Brände dem Stifte wiederholt großen Schaden zufügten. Als im vorigen Jahrhunderte die Bauwut in den Klöstern Süddeutschlands einriß und die alten Stifte dem neuen Geschmacke gemäß „modernisiert“ wurden, bauten auch die Cisterzienser ihren Konvent in luxuriösem Rokokostil um, aber nach der Säkularisation (1803) und dem Uebergang in Privathände wurden mehrere Flügel niedergelegt, sodaß jetzt nur noch der Prunksaal und die Prälatenwohnung nebst der kleinen Hauskapelle sehenswert sind. Die prächtige Stiftskirche (1756-1759 erbaut) dient nun als Pfarrkirche; ihr Inneres zeigt den krausen phantastischen Schmuck, mit dem das Rokoko seine Bauwerke zierte, insbesondere reiche, sorgsam ausgeführte Stuccaturen und Fresken in leuchtenden Farben. Die Pfeiler tragen die Wappen von 136 Adeligen, welche entweder Wohlthäter des Stiftes waren oder in der Kirche ihrer seligen Urständ entgegenschlafen. Außer den Geschlechtern der Umgebung wählten auch die Herzöge der Landshuter Linie, die häufig im nahen Burghausen residierten, das Kloster gern zur Begräbnisstätte ihrer Angehörigen. Inmitten der Kirche steht ein großer roter Marmorblock; auf ihm stand ehedem der Sarkophag, der die sterbliche Hülle des ruhelosen, nach stürmischem Lebenslaufe heimgegangenen Herzogs Ludwig mit dem Beinamen „der Gebartete“ barg.

Weiter führt uns die Straße. Hart an ihr zur Rechten führen Stufen einen Berg hinan. Eingeschlossen vom Walde liegt hier die Wallfahrtskirche Heiligenkreuz, für welche Maria Plain bei Salzburg zweifellos als architektonisches Vorbild diente; auf der Terrasse, welche die Kirche umgiebt, öffnet sich ein prächtiger Ueberblick.

Zwischen den steilen Uferwänden strömt die Salzach fort nach Norden. Da schiebt sich eine schmale Bergzunge gegen sie vor; die Fluten umrauschen sie in leichtem Bogen, während auf der anderen Seite, im Westen, in weiter Ausbuchtung der Thalsohle ein lieblicher tiefsmaragdgrüner kleiner See, die „Wöhr“ genannt, den Fnß des Felsens bespült. Nur nach Norden hängt die Felsenzunge mit dem Hinterlande zusammen, von der Natur zu einem festen Horste geschaffen, und von der unersteigbaren Höhe herab schauen die Türme, Mauern und Zinnen einer weitausgedehnten Burg nieder in das Thal, über die Stadt hinweg, die sich in ihrem Schirm an die Berghalde schmiegt. Burghausen heißt darum sprechend der Name. Nicht mit Unrecht besteht die Vermutung, daß schon in der Urzeit die Einwohner auf dem Felsengrate hinter schützenden Wällen Zuflucht suchten doch fällt geschichtliches Licht auf die Stätte erst im 11. Jahrhundert, als die Grafen von Burghausen und Schala (dieses in Oberösterreich) hier ihren Sitz hatten. Mit dem Tode des letzten derselben fiel 1146 die Grafschaft an das bayerische Herzogtum und ein Jahrhundert apäter, nach der Teilung in Ober- und Niederbayern, von 1255 ab, ist Burghausen neben Landshut zweieinhalb Jahrhunderte lang eine Residenzstadt, die Burg eine Hofburg, in der alle während dieser Zeit herrschenden Fürsten, von Heinrich XIII. bis Georg dem Reichen, 14 Herzoge, 1 Kurfürst und 1 Kaiser, längere oder kürzere Zeit Aufenthalt nahmen. Außerdem barg die feste Burg auch in ihren sicheren Gewölben die von den drei letzten niederbayerischen Herzögen, gar guten Haushältern, gesammelten Schätze, wegen deren jeder von ihnen den Beinamen „der Reiche“ empfing.

Unter eben diesen drei Herzögen, Heinrich, Ludwig und Georg, erlebte Burghausen die Periode seines Glanzes und aus diesen Tagen stammt auch die Gestalt, in welcher die Burg – eine der ausgedehntesten in Deutschland – auf uns gekommen ist. Auf eine Viertelstunde in die Länge erstreckt sich der Komplex der Gebäude über den schmalen, mauer- und zwingerumsäumten Felsengrat, dessen beide Enden ursprünglich je durch eine eigene Burg, heute noch das „vordere“ und das „hintere“ Schloß genannt, bewehrt waren. Hierdurch zerfällt sie in drei Abschnitte, deren jeder durch einen tiefen, aus dem Felsen geschroteten Graben und durch ein festes zugbrückebewehrtes, mit mächtigen, aufgemalten, noch gut erhaltenen Wappenschildern geschmücktes Thor gesichert war. Von der alten Herrlichkeit des Fürstensitzes ist nun freilich wenig mehr übrig geblieben, denn in den letzten drei Jahrhunderten dienten die Schloßgebäude zu Wohnungen und Amtsstuben der Beamten oder als Kasernen.

Welch malerischer Reiz die alte Burg und Stadt umkleidet, davon zeugen die herrlichen, poesieumflossenen Bilder des Zeichners. Wie pittoresk stellt sich der Anblick der Stadt und des „vorderen“ Schlosses vom österreichischen (östlichen) Salzachufer dar! Die Ansicht links darunter zeigt das Eingangsthor in das „vordere“ Schloß, zu dem man durch die in Terrassen ansteigenden winkligen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_195.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)