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Nervensystems zurückgebliebenen Kindern die mangelnde Kraft und Leistungsfähigkeit durch Alkohol ersetzen, die gesteigerte Erregbarkeit des Centralnervensystems (Schlaflosigkeit, Muskelkrämpfe, Zittern u. s. w.) auf gleichem Wege betäuben zu wollen. Es wird nur das Gegenteil erzielt. die Kinder werden widerstandsloser gegen alle psychischen und körperlichen Reize, die Ermüdbarkeit und krankhafte Erregbarkeit werden gesteigert und das Ende vom Liede ist immer, falls nicht rechtzeitig diesen verkehrten Heilbestrebungen Einhalt gethan wird, die Züchtung von Neurasthenikern, Alkoholisten, und Morphinisten. Gesunde Kinder brauchen selbstverständlich weder Bier noch Wein.“

Ein anderer hervorragender Irren- und Nervenarzt, Prof. Dr. August Forel, führt aus, nachdem er die schädlichen Wirkungen des Alkoholgenusses nach vieljährigen ärztlichen und wissenschaftlichen Erfahrungen festgestellt hat. „Das selbst beim Erwachsenen saftreiche weiche menschliche Gehirn mit seinen Millionen mikroskopisch kleiner Zellchen und Fäserchen ist beim Kinde der zarteste und feinste Organbau, den man sich vorstellen kann. Alles, was denselben in der Kindheit stört, stört aber nicht nur seinen gegenwärtigen Zustand, sondern hemmt seine Entwicklung und somit diejenige aller geistigen Fähigkeiten des Gemütes, des Willens, der Intelligenz, der Ethik und Aesthetik. Die Gewohnheit, den Kindern Wein und Bier zu geben, ist somit eine ganz verderbliche Sitte, die nicht nur dem Kinde viel schadet, es träge, reizbar, nervös u. s. w. macht, sondern auch seine ganze geistige Entwicklung beeinträchtige. So wird der Keim für spätere Trunksucht, Nervosität und Psychopathie gelegt, sowie dadurch eine allgemeine soziale Entartung hochgradig gefördert, gegen welche wir so wie so schwer genug zu kämpfen haben.“

Die Pädagogen betätigen die Erfahrungen der Aerzte. Kinder, die regelmäßig größere Mengen alkoholischer Getränke genießen, gehören sehr oft zu den schläfrigsten untüchtigsten Schülern und dabei wird auch der sittliche Charakter der Kinder durch dieses Gift verdorben. Sehr befremdliche Enthüllungen macht u. a. Wilh. Siegert, Lehrer in Berlin. „Von meinen Schülern,“ schreibt er, „bringen stets mehrere Wein zum zweiten Frühstück mit. Während der Cholerazeit im Jahre 1892 genossen einzelne, meiner Schüler Quantitäten Cognacwasser und Rot- oder Portwein, die vollauf genügt hätten, mich betrunken zu machen. Und solch ein Kerlchen, das sich regelmäßig zum zweiten Frühstück ein Räuschchen antrinkt, soll geistig frisch und körperlich widerstandsfähig sein!“

Dr. Smith, Besitzer und Leiter einer Trinkerheilanstalt, ist der Ansicht, „daß bei den meisten Menschen die Grundlage des späteren Alkoholismus schon im frühesten Kindesalter gelegt worden ist.“ So zeigt beispielsweise die Statistik seiner Anstalt bei fast allen mit Trunksucht zur Behandlung kommenden Damen, daß dieselben als Kinder, an irgend einer Krankheit leidend, meist schwere Weine wie Tokayer u. a. verordnet bekamen; was der Arzt verordnet hatte, thaten die Eltern später eigenmächtig, um dem Kinde wieder Kraft zu gebend das Kind blieb fast immer bleichsüchtig und schwach und mußte immer mehr Wein bekommen, bis im eigenen Haushalte nach der Verheiratung ohne jede Schranken getrunken wurde und weitgehende organische und psychische Störungen schließlich die Anstaltsbehandlung erforderlich machten.

Und auch diese Bedauernswerten konnten sagen. „Ich bin in guter Absicht zum Trinken erzogen worden!“

Unsere Darstellung hat gezeigt, wie die „gute Absicht“ der Eltern, die stärkende Wirkung des Alkohols ihren kleinen Lieblingen zuzuwenden, in verhängnisvollster Weise in ihr Gegenteil umschlagen kann. Es erscheint so harmlos, das Gläschen Wein oder Bier, das man bei Tisch auch schon kleinen Kindern gewährt, aber in vielen Fällen kann es doch zum Giftbecher werden! Gerade weil die anregende Wirkung dieser Getränke sie zu allgemein beliebten Genossen der festlichen Stunden gemeinsamer Erholung auch in der Familie hat werden lassen, ist die ernste Mahnung, welche aus den oben mitgeteilten ärztlichen Gutachten spricht, mit vollem Nachdruck von jedem geltend zu machen, der auf das wahre Wohl der heranwachsenden Jugend bedacht ist.


Der Fähnrich als Erzieher.

Eine Backfisch-Studie von Hans Arnold.

     (Fortsetzung.)

Außer dem den Assessor tief verstimmenden Zwischenfall beim Tanze warf noch ein Ereignis einen Schatten auf den sonst so fröhlichen Abend. Das zehnjährige Lottchen, als echte Tochter Evas, wollte hinter den allgemeinen Anstrengungen, den Fähnrich zu entzücken, auch nicht zurückbleiben und erschien plötzlich mit einem Zweig künstlicher Blumen, aus einem alten Staatshut der Mutter, die sie mit einer großen Sicherheitsnadel in ihrem Schopf befestigt hatte. Der Vater, empört über diese vorzeitige Gefallsucht, warf die improvisierte Balldame zur Thür hinaus und beorderte sie ins Bett, – ein blamables Verfahren, das Lottchen natürlich in tiefster Seele verwundete.

Die Mutter, welche tröstend folgte, fand die Kleine bereits gehorsam, aber tief gebeugt, im Unterröckchen vor und ließ sich von ihr die traurige Mitteilung machen. „Ich habe so geweint, daß mich der Bock noch durch die ganze Wohnung stieß!“ was allerdings höchst schmerzhaft gewesen sein muß.

Die Ballfreuden drüben wären gewiß noch ins Unendliche fortgesetzt worden, aber des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr rief den Helden des Abends um dreiviertel Zehn wieder in die Kriegsschule zurück. Es bedarf wohl nicht der Versicherung, daß er sich mit tadelloser Ritterlichkeit von den Damen des Hauses verabschiedete und sogar Hänschen die Hand küßte, was diese in einen zwischen tiefer Beschämung und Seligkeit schwankenden Zustand versetzte. Gleichwohl konnte sie sich bei dieser wichtigen Gelegenheit nicht enthalten, umherzuschielen, ob es auch alle gesehen hätten! – Der Abschied des Assessors vom Fähnrich war kurz und kühl – was sich übrigens denken läßt.

Schulzens zogen auch hochbeglückt in die obere Etage und erzählten sich noch bis in die tiefe Nacht vom Fähnrich und seinen entzückenden Eigenschaften, bis der Vater Schulze mit einer so furchtbaren Stimme „Ruhig!“ rief, daß man es durchs ganze Haus hörte.

Als die Thür sich hinter der blauen Jacke des Lieblings der Grazien geschlossen hatte, erhob sich Hänschen und erklärte freiwillig: „Ich gehe zu Bett!“ in dem entschiedenen Gefühl, „Die Welt hat keine Freuden mehr auf diese!“

Der Assessor blickte ihr gedankenvoll nach. Sie sah in dem weißen Kleide so merkwürdig erwachsen und hübsch aus, und er hatte sie eigentlich immer wie ein dummes Schulmädchen behandelt! Es war recht peinlich, denn wenn er jetzt auf einmal andere Saiten aufzog, so konnte es so aussehen, als wenn das des Fähnrichs halber – „ach was – hol’s der Fuchs!“ dachte er ingrimmig und stand auf, um sich zu verabschieden.

„Nun? Sie wollen auch schon aufbrechen?“ frug der Präsident, der sich eben im Frohgefühl des überstandenen Spektakels eine Zigarre anzündete.

„Ja!“ erwiderte der Assessor kurz, „wenn Sie gestatten!“ und ging seiner Wege.

Die Mutter lächelte hinter ihm her.

„Er war eifersüchtig!“ sagte sie mit ruhiger Bestimmtheit.

Der Präsident erhob Hände und Augen gen Himmel. „Mütter haben doch ohne jede Frage Größenwahn!“ sagte er feierlich. „Eifersüchtig! Ein ausgewachsener Mensch auf einen Backfisch!“

„Ei was!“ erwiderte die Präsidentin unbeirrt, „Hänschen ist fünfzehn Jahre – so alt war meine Großmutter auch, wie sie sich verlobte!“

„Na, Hänschen ist aber nicht Deine Großmutter!“ rief der Hausherr ungeduldig, „und nun, bitte, kein Wort mehr davon, Mathilde!“


Es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß der Fähnrich mit der Zeit einen überraschend großen Einfluß auf das Familienleben im Hause des Präsidenten gewann. Ein Symptom unter vielen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1895, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_188.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)