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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

seinen Maßkrug. Das schadet den größten Genies nichts und bewahrt vor dem ‚celebren‘ Wesen. Haben Sie hier schon einmal eine richtige Celebrität gesehen, so eine, die sich fühlt und wegen der die anderen verstummen, wenn sie in eine Gesellschaft tritt? Gott bewahre, das giebt’s nicht. Manchmal kommt eine von außen herein, die stirbt entweder schnellstens ab und verwandelt sich in einen natürlichen Menschen, oder aber sie geht bald wieder durch, weil sie die allgemeine Respektlosigkeit nicht aushalten kann. Bleiben Sie hier fünfundzwanzig und dreißig Jahre, werden Sie Ehemann und Hausbesitzer, verkaufen Sie Bilder zu den höchsten Preisen und heimsen die goldenen Medaillen nach dem halben Dutzend ein, Sie können es doch nicht soweit bringen, daß, wenn ein richtiger Münchener in befriedigtem Nationalstolz ausruft: ‚Herrgott, san mir Leut’!‘ – er nicht zuerst sich meint und lange hernach einmal Sie!“

Pereda lachte. „Das Vergnügen lasse ich ihm gern, bis zur Celebrität hat es bei mir ohnehin noch gute Wege. Uebrigens sind Sie vorhin alle ohne Grund über mich dreingefahren: mir gefällt es ja in München. Sehr sogar, sehr!“ wiederholte er, indem er zwischen den halbgeschlossenen Lidern hervor wieder einen seiner eindringlichen heißen Koseblicke über die an seiner Seite sitzende Toni hinabgleiten ließ und, sich im Stuhl zurücklehnend und dabei wie zufällig seinen Arm auf die Lehne des ihrigen stützend, mit leisem Finger ihre Achsel streifte. Ihr freiansteigender Nacken mit dem schlanken Halsansatz und den feinen Löckchen darüber sah so hübsch aus den Gewandfalten heraus, er hätte etwas drum gegeben, sachte über das zarte Fellchen streicheln zu dürfen. Warum ging doch die Maskenfreiheit nicht noch ein bißchen weiter? … Zu der übrigen Münchener Gemütlichkeit würde das ja vortrefflich passen … Pereda dachte es mit dem vielsagenden Lächeln, welches den ehrlichen Hachinger empörte, so oft er es zu sehen bekam. Auch jetzt mißfiel ihm die nachlässige Grazie, mit welcher Pereda seine Bartspitze zwischen den Fingern wirbelte, durchaus.

„Fader, zuwiderer Kerl!“ murmelte er durch die Zähne. „Was nur die Frauenzimmer an dem haben – ’s ist rein unbegreiflich!“ …

Toni saß ganz still da, sie hatte die leise Berührung mit seligen Schauern gefühlt. Wenn die anderen wüßten! Was sie nur sagen werden, wenn’s einmal offenbar wird! … Und die zu Hause erst … wenn die erfahren, daß die Burghofer Toni ein solches Glück macht! Ihr schwindelte völlig vor dem Gedanken, so unmöglich schien er, und doch verlor sie sich schon im nächsten Augenblick in Zukunftsbilder des eleganten Hauses, das sie haben würde, des verliebten und berühmten Mannes, der schönen Reisen, der Toiletten und tausend Luxusgegenstände, die dann alle, alle erreichbar waren … Sie saß träumend mit groß offenen Augen da, ohne Anteil an den zwischen den Tischgenossen weiterhin gewechselten Reden. Das Lachen und die vielen schlechten Witze schlugen nur wie von ferne an ihr Ohr, sie schien den immer noch durch das Zimmer passierenden Menschenstrom zu betrachten, in Wirklichkeit aber waren ihre Gedanken weit entfernt davon.

Da erweckte ein unerwarteter Anblick ihr mit einem Schreckensschlag Bewußtsein und Erinnerung wieder. Aus dem Haufen der noch überall nach Platz spähenden Menschen lösten sich jetzt zwei Gestalten los, welche Toni kannte und mit so starrem Entsetzen betrachtete, als seien es ein paar Gespenster, die ihr hier erschienen. Kein Zweifel, das war das alte Fräulein von unterwegs und Lorenz – du lieber Gott – in welcher Gestalt! Wie schrecklich ordinär sah er aus in denn unbeholfenen armseligen Sammetwams, und sein Gesicht unter dem schauderhaften Barett, sein rotes, verlegenes Gesicht, das war noch das Aergste von allem. Rein wie ein maskierter Bauer, der merkt, daß er an einen solchen Ort nicht hingehört!

Noch hatte er sie nicht gesehen; Toni zitterte, daß es im nächsten Augenblick geschehen könne; sie wandte voll Todesangst nur schnell den Kopf ab und begann, indem sie dem Platz, wo jene standen, ganz den Rücken kehrte, ein lebhaftes Gespräch mit Hachinger, der an ihrer anderen Seite saß. Ihr Herz schlug zum Zerspringen, die Sekunden wurden lang, daß es fast nicht zum Aushalten war, umzuschauen wagte sie nicht, sie bog sich immer mehr nach ihrem über dieses plötzliche Interesse ebenso verwunderten als erfreuten Nachbar hin und stützte dabei den Kopf in die Hand, um den letzten schmalen Streifen ihres Gesichtes zu verdecken. Vielleicht verschwanden die beiden doch wieder im Menschengedränge, ohne herüberzuschauen und sie zu erkennen!

Aber diese Hoffnung sollte sich nicht erfüllen. Fräulein Pankes Falkenaugen hatten sowohl die Tischgesellschaft, als auch so viel leeren Raum am unteren Ende entdeckt, daß sich zwei Personen zur Not noch setzen konnten, und ihr erfinderischer Geist zögerte nicht, die unverhoffte Gelegenheit auszunutzen. In bescheidener Haltung, aber unverlegen, näherte sie sich dem in der Mitte der Langseite sitzenden Volkhard und sagte:

„Dürften wohl zwei recht Müde und Hungrige es wagen, hier in diesem hohen Kreis um ein Plätzchen zu bitten? Dort unten ist noch eins frei, und ganz Unbekannte sind wir ja nicht. Ich hatte vor einigen Tagen das Vergnügen –“ ihre Augen hefteten sich anfordernd auf die gegenübersitzende Toni, die bei dem ersten Wort ihre Wangen heiß werden fühlte, aber den Kopf nur um so eifriger abgewandt hielt, indem sie laut mit Hachinger sprach und lachte.

„Ihr Fräulein Schwägerin dort wird sich gewiß erinnern,“ klang es jetzt in nicht mehr zu überhörendem Ton. Diese hob über und über erglühend die Augen, ein ängstlich verlegenes Lächeln irrte über ihr Gesicht, aber sie schien die rings um sie Sitzenden als genügende Verhinderung zum Aufstehen anzusehen und begnügte sich mit einer kaum merklichen Grußbewegung. Dann wandte sie schnell den Blick wieder ab, als habe sie keine Ahnung, um was es sich hier handle.

Volkhard hatte sich inzwischen zögernd halb von seinem Stuhle erhoben, zugleich aber drehte Pereda den Kopf und sagte über die Achsel weg in eisigem Tone. „Bedaure, wir erwarten noch zwei Personen.“

„Kommen Sie, Fräulein,“ hörte man jetzt die Stimme des bisher von allen unbeachteten Ritterjünglings mit sehr entschiedenem Tone sagen. Seine Augen hatten während der letzten Sekunden erst mit Staunen, dann mit wachsender Entrüstung auf Toni gehaftet, jetzt wandte er sich kurz um. „Sie sehen ja, das Fräulein kennt uns nicht mehr. Ueberlästig wollen wir nicht fallen!“

Toni hatte seinen Blick trotz der niedergeschlagenen Wimpern gespürt und mit sich gekämpft, endlich sah sie auf, entschlossen, sich zu erheben und, was auch kommen möge, den Schwergekränkten mindestens in ein kurzes Gespräch zu ziehen. Aber die Stelle, wo beide Gestalten eben noch gestanden, war leer, der Menschenstrom hatte sie wieder verschlungen.

„Na,“ sagte Volkhard, „wer war denn das? … Doch nicht am Ende … ja freilich, das war ja die alte Jungfer, mit der Du im Damencoupé fuhrst – nicht?“

Toni nickte stumm.

„Das hätte uns gerade abgehen können,“ meinte Hachinger. „Jung, wenn sie gewesen wär’ und hübsch, nachher hätt’ man zusammenrucken können. Aber so eine alte Schachtel –“

„Sie ist Schriftstellerin,“ sagte Toni.

„O Gott, auch das noch – es wär’ an ihrer Nasen schon genug gewesen. Na, sind wir halt froh, daß wir’s losgebracht haben, so ’was könnt’ einem ja rein das ganze Fest verderben!“

„Hör' Du!“ sagte mittlerweile Frau Resi leise zur Schwester, „war denn das nicht –“

„Schweig’!“ erwiderte diese scheu und beklommen. „’s ist mir arg, aber wie kann er denn auch nur daran denken …“

Volkhard, der Ahnungslose, in dessen Salzburger Erinnerungen Lorenz Käsmeyer nicht vorkam, sagte gutmütig tröstend zu Toni:

„Nimm Dir’s nicht zu Herzen, Tonerl. Du kannst nichts dafür. Wer weiß, ob Dir das Fräulein nur je noch einmal begegnet. Und wenn ja, dann schiebst Du die ganze Schuld auf den Pereda, kannst ihn so schwarz machen, als Du willst, ’s ist immer noch hellgrau gegen sein natürliches Kolorit.“

„Zu schmeichelhaft,“ entgegnete dieser salutierend. „Uebrigens – haben wir nun lange genug gesessen?“

„Wollen Sie tanzen?“ fragte Frau Resi dagegen.

Er zögerte einen Augenblick mit der Antwort. Eigentlich hätte er sich einmal selbst überlassen sein mögen, um ungestört auf Entdeckungen ausgehen zu können. Aber man erwartete es offenbar anders! So sprang er denn auf und neigte sich vor Toni, die, vor Vergnügen errötend, ihren Arm in den seinigen legte, und führte sie in den großen Saal hinaus, wo sie bald genug im Tanze das unangenehme Gefühl vergaß, das ihr vorhin die Kehle zusammengeschnürt hatte. Sie ließ sich willenlos halten und führen, fühlte sich von einem festen Arm zärtlich umschlossen, sah emporblickend in

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