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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

durcheinander schob an Türken, Chinesen, Volks- und historischen Trachten, Zulu- und anderen Negern, das würdigte kein Kundiger eines Blickes. Aber als Arm in Arm Rubens und van Dyck erschienen, in vollendeter Porträttreue wie aus dem Rahmen niedergestiegen, da entstand überall eine Gasse, es schloß sich auch gleich ein freiwilliges Gefolge an, aus dessen Mitte der Ritter von der traurigen Gestalt, neben einer langen Gelbrübe wandelnd, hoch hervorragte. Mit lauten Bewunderungsrufen grüßten die großen Meister ihrerseits ein wildes Germanenpaar, das ihnen plötzlich in den Weg trat. Der Mann, eine Hünengestalt mit mächtigem Haarbusch, viel Trikot und wenig Tierfellen um die muskelstarken Glieder, schwang den plumpen, stierhautumzogenen Schild und die schwere Streitaxt unter lautem Klirren seiner Armringe von Bronze. Das Weib, von roter Mähne umwallt, trug ein grobes, mit Leder gegürtetes Leinengewand, das mit schmalen Streifen vom Fell der Wildkatze besetzt war. Barbarisches Schmuckgehänge von Thonperlen und Metallstücken umgab Hals und Arme, grobe Fellsandalen, mit Riemen geschnürt, boten den Füßen Schutz. So zogen sie hin: zwei auserlesene Menschenbilder voll Urkraft und wilden Reizes.

„Das ist doch ein bißchen gar zu echt,“ sagte, als sie vorüber kamen und die Germanin, mit blanken Zähnen lachend, zum Dank für die Bravorufe die Faust ins Publikum ballte, eine vor dem Andrang zwischen die Säulenstellung hinaufgeflüchtete ältliche Gestalt in dunkelm Rock mit einem auf bretagnische Weise gesteckten Kopftuch zu ihrem Begleiter, einem jungen rotbackigen Krauskopf, dessen ritterlicher Stand unzweifelhaft dargethan wurde durch ein violettes Wams von Baumwollsammet, einen zackigen Spitzenkragen und ein steifes Barett mit schmutzigen Federn und einem wunderschönen Glasfluß-Smaragd als Agraffe.

Sie hatte es ihm anders geraten, die erfahrene Reisende, die ihre Bretagnerin mit Vermeidung jedes Leihgeschäftes einzig den Schätzen ihres Koffers entnahm und selbst herstellte, sie wollte ihm in der Maskengarderobe eine schwarze Lederhose, den breiten grünen Tirolergürtel und einen Lodenhut mit Gemsbart aufnötigen, weil ihm das entschieden am besten stände. Aber damit war sie bei Lorenz Käsmeyer übel angekommen. Einen Bauern machen, warum nicht gar! Auf einem solchen nobeln Ball mußte es etwas „Schönes“ sein. Ob das Fräulein denn meine, frug er beleidigt, daß er gar so grob und gemein aussehe, daß er nur für einen Bauernlackel tauge.

Hierauf hatte Sophie Panke nichts mehr erwidert und seufzend Stück für Stück des „spanischen Hofkostüms“ aus den Händen der Verleiherin in die seinigen übergehen sehen. Der Totaleffekt am Abend entsprach denn auch durchaus ihren Erwartungen, und sie wunderte sich nicht, hier und dort ein lachendes Gesicht oder einen Ellbogenstoß zu bemerken, wenn sie mit ihrem Schützling vorüberschritt. Nur dachte sie nicht, daß die Hälfte davon ihrer eigenen gesetzten Persönlichkeit galt, deren kritische Hakennase auch sonderbar genug in dies Reich der Phantasie hineinragte.

„Hier unter den Säulen kann man wenigstens wieder einen Atemzug thun,“ sagte sie nach Besitzergreifung eines kleinen freien Raumes, „das Gedränge dort unten ist greulich. Und welche Verspätung!“ Sie zog die Uhr. „Dreiviertel Neun, wahrhaftig. Das ist doch auch wieder eine echte Münchener Bummelei. So etwas kommt bei uns in Berlin entschieden nicht vor.“

Lorenz sah sich unbehaglich und mit einer gewissen Vorsicht um. Aber in dem allgemeinen Stimmengeräusch hatte niemand auf die strafende Rede geachtet.

„Ja, ja,“ versetzte er begütigend, „es sind halt viele Leut’ bei dem Zug, da kann’s auch nicht gerade so accurat zusammengehen. Und die Völle da oben auf der Galerie, schauen Sie nur gerade da hinauf,“ er wies, um abzulenken, nach den dichtgedrängten Kopfreihen empor. „Und die prachtvolle Dekoration! Die Säulen stecken ja ganz in lauter Laub und Blumen. Käfer und Eidechsen, fußgroß, und Schmetterlinge von allen Farben, das ist ja doch wunderschön!“

Sie sprach ihre Zustimmung aus, währenddessen wanderten seine Blicke weiter auf die abgeblaßten alten Deckengemälde und nach einem Weilchen fragte er:

„Sagen Sie einmal, Fräulein, ist das jetzt schön gemalt, die Figuren da oben? Gefallen sie Ihnen?“

„Hm!“ erwiderte sie, sich in das Anschauen des Königs Midas und des göttlichen Citharöden Apollo vertiefend, „schön wird das heute wohl niemand nennen. Aber was ist denn heutzutage schön? Darauf giebt es keine Antwort. Und – ja, sehen Sie, eben darum können einem die alten Bilder gefallen. Die sie malten, die haben’s gewußt, was sie für schön hielten, und haben es so recht überzeugt hingemalt. Solch ein gläubiges Selbstvertrauen bringt heutzutage niemand mehr fertig, so viel geschickter und gescheiter die heutigen geworden sind. Wenn sie könnten, schlügen sie die alten Fresken da oben gewiß herunter. Ob sie aber mit aller Geschicklichkeit etwas Erfreulicheres an die Stelle setzen könnten, das fragt sich noch sehr!“

„Verrückte alte Schachtel!“ sagte ein hübscher, halb schwarz, halb roter Florentiner gegen einen anderen gewandt. „So ’was will von Kunst reden!“

„Es geht los!“ rief im gleichen Augenblick ein anderer. Durch die plötzlich eintretende Stille von wenigen Augenblicken hörte man gedämpfte Kommandorufe jenseits des deckenhohen Vorhangs, der das obere Halbrund des Saales verhüllend abschloß. Alles drängte in dichtem Getümmel der durch Schranken freigehaltenen Saalmitte zu, Lorenz und seine Begleiterin aber verharrten auf ihrem erhöhten Standpunkt unter den Säulen.

(Fortsetzung folgt.)




Abseits vom Wege.

Skizzen aus Konstantinopel von Bernhardine Schulze-Smidt.

Es ist an einem Aprilnachmittage; die ganze Welt in Glanz getaucht, in Duft gehüllt; es blendet mich, daß ich sekundenlang die Augen schließen muß, als ich, um viele Piaster ärmer, um ein halb Dutzend wunderbar schöner, alter Fetzen reicher, sehr müde und matt aus dem Riesenbazar hinter der Yeni-Djami, der Neuen Moschee zu Stambul, ins Freie trete. Mein Führer und ich sind fast ganz auf die Fingersprache angewiesen. Er ist ein Inselgrieche, ein schlanker Chiot in meines Gastfreundes, des Paschas, Dienst, spricht türkisch, griechisch, zwanzig Worte italienisch und zehn Worte französisch. Ich rede englisch, deutsch, französisch und fünf Worte italienisch; für den Notfall genügt das bei haushälterischer Anwendung und die Augen des Chioten sind unbeschreiblich sprechend. Er bahnt mir den Weg durch das Heer von schreienden und bietenden Händlern bis zum belebten Fischmarkte, dem Balyk-Bazar, der für heute schon fast ausverkauft scheint. Nur die kleinen Silberfischchen, die später, getrocknet und gesalzen, in langen Ketten an den Häusern der stillen Vorstädte und Dörfchen hängen, wimmeln noch zu Tausenden in ihren flachen Körben und Schalen und der mildherzige Imam der Aussätzigen drüben aus Skutari macht seine Einkäufe und wechselt dabei gravitätische Höflichkeiten mit dem verzottelten Bettelderwische im buntgeflickten Kaftan.

Da sind wir schon am blauen Wasser bei der Validebrücke und mein Chiot macht mir mit tragisch eindringlichem Blicke deutlich, daß er gar zu gern seine Mutter, links drüben zwischen Fanar und Balat, besuchen möchte.

„Wenn Madama nicht eine Madama wäre, würde ich sagen: das Balat ist sehr merkwürdig – sehr, sehr merkwürdig!“

„Nun denn – fahren wir hinüber, Monsieur Nicoli.“

„Ma – – !“ Er schüttelt sich und streicht mit einer Gebärde des Grausens an seinen glatten, glänzenden Haaren und der sauberen Uniform hinunter. Da ich nicht sofort verstehe, macht er das resignierte Gesicht eines unglücklichen Liebhabers vom Theater, wirft, zungenschnalzend, den Kopf zur griechischen Verneinungsgebärde in den Nacken und ruft den braunen und sehnigen Kaïkdji heran, der uns bereits mit gierigen Blicken beobachtet.

Rascher als gehofft werden wir mit dem Barkenführer handelseinig und vertrauen uns, eng nebeneinander gedrückt, dem schmalen Kaïk an. Diese türkischen Gondelchen, namentlich die mit nur einem Ruderer, sind als äußerst gefährlich verschrieen, ich kann mich aber zu keinem Gefühle der Furcht aufschwingen. Die Dinger sind gar zu graziös und reizend, ihr schmaler Rand liegt so hart auf den schimmernden und schmeichelnden Wogen, und wenn man

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_170.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)