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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Sie öffnete die Salonthüre, Pereda sprang die Stufen herab, Toni folgte, und als sie eingetreten waren, erfuhr sie denn auch endlich den Grund der plötzlichen Schicksalsfügung.

„Frau von Hetvary hat mich benachrichtigt, daß sie die ‚Phantasie‘ nicht vorstellen kann,“ sagte Pereda mit einer gewaltsamen Anstrengung, unbefangen zu scheinen. Ein gewisses Vibrieren der Stimme konnte er aber dabei doch nicht unterdrücken.

Frau Resi starrte ihm ein paar Sekunden sprachlos ins Gesicht. „Nein – so etwas!“ rief sie endlich mit gut bürgerlichem Erstaunen. „Was hat’s denn da – ich meine, was verhindert denn die Frau Baronin?“ … Die lebhafteste Neugier funkelte ihr aus den Augen, während sie auf Pereda zutrat und ihm dringend die Hand auf den Arm legte.

„Sie ist – indisponiert …“ erwiderte er kalt abweisend. „Aber darum handelt es sich jetzt nicht. Mein Fräulein“ – Toni fühlte einen wonnigen Schauer, als die schon in der Gleichgültigkeit bestrickenden Augen jetzt so warm und bittend in die ihrigen drangen – „mein Fräulein, werden Sie mir die Gnade erweisen, um die ich Sie anflehe?“

„Ja – gern,“ erwiderte das erglühende Mädchen, „aber wie soll denn das möglich sein – in der kurzen Zeit?“

„O, das ist die einfachste Sache von der Welt. Ich habe mir erlaubt, das Kostüm gleich mitzubringen … Hier ist es …“ Er öffnete das mitgebrachte Paket und zog ein paar zarte Gewebe mit Goldsäumen heraus, die er auf den Diwan breitete.

„Das von der Baronin?“ warf Frau Resi, nun doch etwas empört, dazwischen.

„Verzeihung – es ist mein Eigentum, ich habe es herstellen lassen und niemand hat es bis jetzt berührt. Lauter lose Schleiergewänder,“ er wandte sich wieder an Toni, die in ihrer wachsenden Glückseligkeit ganz verklärt aussah, „wenn Sie gestatten, so zeige ich Ihnen, wie sie gesteckt werden müssen, wenn Sie angezogen sind.“

„Nein – so etwas!“ rief Frau Resi, die sich noch durchaus nicht in diese plötzliche Sachlage finden konnte, aufs neue aus. „Das Tonerl als ‚Phantasie!‘ Nehmen Sie mir’s nicht übel, lieber Herr von Pereda, aber mir scheint, Sie vergreifen sich in der Person. Das ist doch ein Unterschied von dem stumpfsinnigen Gesichterl da mit Ihrer süperben Ungarin.“

„Ja - der Unterschied zwischen einer verblühten Schönheit und einer aufblühenden,“ fuhr er mit einem grimmigen Stoß heraus, faßte sich aber gleich wieder zusammen. „Ohne Sorge, gnädige Frau! Diese ‚Phantasie‘ wird alle Augen entzücken – und die Herzen auch. Geben Sie Ihr Ja dazu und stimmen Sie den Gemahl ebenfalls günstig! Aber so schnell als möglich, wir haben wirklich keine Zeit mehr zu verlieren.“

„Ja so, der Hans!“ erwiderte Frau Resi gemütsruhig, „den sollt’ man auch noch fragen. Na, den nehm’ ich auf mich, dagegen haben kann er ja nichts. Also gut, kommen Sie in einer Stunde angezogen wieder, dann richten wir das Tonerl zusammen – Jesus –“ fuhr sie bei einem heftigen Läuten empor, „das ist aber jetzt gewiß der Friseur, ja, Greti, ich komme schon! Also adieu,“ sie war schon halb auf der Treppe, „adieu, eilen Sie sich, machen Sie, daß Sie fortkommen, ich wollte sagen, daß Sie wiederkommen, wenn wir soweit in Ordnung sind … um sieben … pünktlich … Wagen bestellt …“

Das Uebrige verhallte in dem von unten empordringenden Stimmengeräusch und im eilfertigen Thürenzuschlagen.

Die beiden im Salon standen sich ein paar Augenblicke gegenüber, ohne zu reden. Der Vielerfahrene sah die innere Bewegung des Mädchens, den strahlenden Glanz ihrer dunklen Augen, er fand sie zu seiner Ueberraschung heute noch sehr viel hübscher als vor drei Tagen und begann die Hoffnung auf einen wirklichen Effekt zu fassen, statt des Lückenbüßers, wegen dessen er hergekommen war. Wenn die Kleine diesen Ausdruck behielte – den schwärmerischen Blick, die leicht geöffneten Lippen, während sie das Köpfchen ein wenig zurückbog – ausgezeichnet! So sah sie geradezu reizend aus. … Nun, diese Stimmung konnte man ihr ja erhalten! …

Sein Gesicht zeigte so deutlich, was er dachte, daß Toni über und über errötete und umsonst nach einem Wort suchte, um sich der heftigen Beklommenheit zu erwehren. Nun trat Pereda rasch auf sie zu mit einer Bewegung, als wollte er sie an sich ziehen, sie wich zur Seite und glaubte im nächsten Augenblicke schon, sich geirrt zu haben, denn er ergriff nur ihre Hand und zog sie zu einem nochmaligen warmen, bedeutungsvollen und langen Kuß an seine Lippen.

Meine Phantasie!“ hörte sie ihn leise sagen, und sie zürnte nicht darüber. Im Gegenteil! Der Zauber seiner Nähe und Vornehmheit entzückte sie ebenso wie der feine Duft des Bartes, der sich so leicht und zart auf ihre Hand drückte – sie fühlte eine nie vorher gekannte Glückseligkeit und zum erstenmal regte sich in ihrem Herzen die Empfindung: wäre es denn möglich? Könnte das möglich sein? …

Ein paar Herzschläge lang dauerte es, dann besann sich Toni und schüttelte die Gedanken, welchen sie jetzt nicht nachhängen durfte, gewaltsam von sich ab, die resolute Seite ihrer Natur gewann rasch wieder die Oberhand, sie befreite sich aus der gefährlichen Nähe und sagte, nach den Gewändern deutend:

„Ich weiß aber doch gar nicht – Sie müssen mir erst noch sagen – was ich denn eigentlich zu thun habe. Soll ich wirklich vor den vielen Menschen allein da oben stehen?“

„Sie meinen: allein mit mir?“ fragte er bedeutungsvoll. „Nein, leider nicht, wir haben noch zwei Garde-Engel an Bord. Aber die Hauptfigur sind Sie allerdings und Sie müssen mir alle Ehre machen, das Köpfchen hoch und frei wagen, sehen Sie, so!“

Und in seine Brusttasche greifend, zog er ein Blatt Papier heraus und legte es vor Toni hin, eine Farbenskizze des Wagens mit dem Palmendach, und, aus dem dunkeln Grün sich vorhebend, die Figur der „Phantasie“, von einem Flug bunter Schmetterlinge umschwärmt und einen davon einen großen dunkelfarbigen Wunderfalter auf der erhobenen rechten Hand tragend.

„O wie schön, wie schön!“ rief Toni, die Hände zusammenschlagend. „Ach, und der glänzende Stern über der Stirn, kann man den wirklich so fest machen, daß er stehen bleibt? O, ich bin lange, lange nicht schön genug für eine solche Figur! Und die Palmen – die goldenen Zweige – die großen weißen Blumen –“

„Lotosblüten! Ein paar davon werden lose in das Haar geflochten und fallen von den Schultern herab.“

„Wundervoll! Aber –“ fügte sie etwas nachdenklich hinzu, „Sie sprachen doch vorhin von zwei Engeln, die mitfahren sollten. Die sehe ich ja nicht. Sie werden doch noch dazu kommen?“

„Unbesorgt,“ sagte er, laut auflachend über den Kontrast dieser Anschauung zu einer gewissen anderen, „die stellen sich in der Garderobe sicher ein. Wir können sie rechts und links an den Wagen hängen, wenn kein Platz mehr unter den Palmen ist!“

Sie sah ihn ungewiß an. Sonst war es ihr doch nicht schwer, auf einen Spaß eine Antwort zu finden, aber diesem gegenüber – nein, da kam sie schon immer noch einmal so ungeschickt heraus, als sie von Natur war.

„Toni!“ rief es jetzt laut von unten.

Pereda griff nach seinem Hut.

„Darf ich das Blatt bis heute abend behalten?“ erkühnte sie sich nun doch, hastig zu fragen, indem sie die Hand danach ausstreckte.

„Es gehört Ihnen, wenn Sie es nicht verschmähen,“ erwiderte er, sich verbeugend. „Eine kleine Gegengabe für eine sehr große Liebenswürdigkeit!“

„Er ist doch ein wunderbarer Mensch!“ dachte sie, während sich die Thüre hinter seiner schlanken Gestalt schloß. „Herrgott – wenn der einen wirklich lieb hätte und heiraten wollte, das müßt’ schon ein Glück sein über alle Möglichkeit! … Ach nein, nur gar nicht denken, er denkt ja auch nicht daran, ich bin eine Närrin, daß ich auf so ’was komm’! … Aber heut’ abend, heut’ abend, da soll’s herrlich werden!“ …

„Sie ist doch ein bißchen klein,“ faßte er seinerseits das Ergebnis des Abschiedsblickes im Treppe-Herabgehen zusammen und spann, aus der Hausthüre tretend, den Gedanken weiter. „Ich muß noch rasch ein Piedestal festmachen lassen, daß die Wirkung ordentlich herauskommt. Das Kleid ist ja lang genug. Ah – Satansweib!“ Seine Gedanken fielen mit einem Schlag in ihren früheren Mittelpunkt zurück. „Diesen Streich sollst Du mir noch bereuen!“ Er schlug mit dem Stöckchen auf ein paar verdorrte Stauden am Wege ein. „Wo sie heute abend wohl stecken mag, wenn der Zug losgeht? Im Saale ist sie sicherlich, um sich an meiner Niederlage zu ergötzen. Haha! sie soll sich wundern über die Stellvertreterin … und sie weiß nicht, wer es ist, das ist das Schönste!“ Er lächelte boshaft vor sich hin. „Ich gäbe etwas darum, wenn ich ihr Gesicht sehen könnte, so wütend wie sie sein wird. Na – lange wird es ja nicht dauern, bis ich es zu sehen bekomme, zwölf Stunden zum höchsten. Aber dann – eisige Kälte, je toller sie wird – Ihr Diener, gnädige Frau! Und fertig für immer. Ich hätte es früher schon so machen sollen …“

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