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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Loni folgte ihm in den Stall und schloß die Thüre hinter sich zu.

Der Knecht schirrte den Braunen aus. Loni entging nicht seine unruhige Hast, die Unsicherheit seiner Hand bei dem Losschnallen des Riemenzeuges. Der starke Mann zitterte in der freudigen Erwartung dessen, was sie ihm nach seiner Meinung zu sagen kam.

Dieser Anblick machte sie noch einmal unschlüssig; sie schwankte und erwog ein letztes Mal.

„Was hat denn der Flori schon wieder woll’n?“ fragte jetzt Anderl, „g’rad heiß steigt’s mir auf, wenn i den schleichat’n Tropf seh’.“

Nun hatte sie den Angriffspunkt, das war schon eine Erleichterung.

„Weg’n dem bin i da.“

Anderl verschüttete den ganzen Haber, so überraschten ihn die Worte.

„Er is Dein Freund net,“ fuhr Loni fort.

Der Knecht zuckte verächtlich die Achseln. „Was kümmert mi der Krüppel!“

„Viel! Mi und Di! Mehr wie die ganze Welt! Er weiß all’s!“ stieß sie, sich scheu umblickend, hervor.

„Meint er?“ erwiderte gelassen Anderl. „Nix weiß er, als daß der Mentner mein’ Nam’ g’nannt hat vor sei’m Tod. Das is weiter was! Müaßt g’rad Du –“

Er sah sie scharf an.

Sie antwortete nicht unmittelbar darauf. „Er hat Di g’seh’n, Di und den Mentner, in der Nacht wia ihr z’ruck komma seid’s über’n Farrenbach. Er hat Euch red’n hör’n –“

„Was hat er red’n hör’n?“

„Net viel, aber g’nua, daß’s langt.“

Anderl lehnte sich an den Barren und ballte die Faust. „Sakra-!“. Er suchte mit rollenden Augen einen Ausweg und griff mit gespreizten Fingern in die Luft –

„Und das hat er Dir heut’ all’s g’sagt?“

„Nein, scho lang! Im Herbst scho,“ entgegnete Loni.

„Im Herbst scho, und mir hast nix davo g’sagt? Warum denn nach’er jetzt?“

„Weil er’s bis jetzt nur mir g’sagt hat.“

„Und jetzt? Wem no?“ Anderl wechselte die Farbe, seine ganze Zuversicht verließ ihn.

„Dem Marei!“

„Und warum jetzt erst dem Marei?“

Loni zögerte. „Weil – weil i net than hab’, was er woll’n hat.“

„Was er woll’n hat! So a –“ Er biß die Zähne übereinander. „Mi ins Zuchthaus bringa?“

„Das net, nur fort aus’n Mentnerhof, dann hätt’ er g’schwieg’n wia’s Grab, mir z’liab.“

„Dir z’liab! und dann käm’ er selb’r in’ Mentnerhof, aa Dir z’liab!“ Glühender Haß loderte in Anderl auf – Mordgedanken! – Loni fühlte es entsetzt.

„Um Gotteswill’n glaub’ das net, er denkt net dran! Der Marei weg’n will er’s.“

Will er’s!“ Anderl sprach es voll wütenden Hohnes. „Das macht mi verruckt, das Wort!“

„Und do nutzt all’s nix, er hat Di in der Hand.“

„Nimmer lang, mein’ i alleweil!“

„Anderl!“ Loni erhob ihre Stimme beschwörend. „Kein’ solch’n Gedank’n! Aa wenn der Flori nix wüßt’, müaßt’ fort! Weil i mein Kind net sterb’n lass’n kann, und ’s stirbt, wenn’s den Willy net kriegt.“

„Und ’s kriagt den Willy net, wenn’st mi net verratst – ah, so is! - Net verratst, was i Dir selb’r g’stand’n hab in oaner Stund’, von der ma meina sollt – – aber freili, Dei Kind –! Schau, Loni, hast g’meint, daß Du aus an andern Holz bist wia die andern? Daß Dei’ Liab a ganz besondre is, die nix scheut?“ Er lachte auf. „Aber was redst deuu vom Fortschicka aus ’em Mentnerhof? Des nutzet ja nix – da habt’s no immer net den Mörd’r vom Kirchberger! – ’nei mit ihm ins Loch! – Guat, da bin i – i wehr’ mi net! –“

Er trat heftig aus dem Stand. „No auf was wartst denn no? Nimm mi mit zum Bürgermeister!“

„I Di ausliefern? Als ob i das wollt – i oder der Flori!“

„Was willst denn nachher, Du und der Flori?“

Der Anderl hielt sichtlich mühsam zurück, seine Brust hob sich zitternd, jeder Zug des Antlitzes zeigte höchste Erregung.

„Daß Du fort gehst – weit fort –! I geb’ Dir Geld, was D’ willst! Uebers Meer, ins Amerika ’nein! Wennst dann in Sicherheit bist, sollst schreib’n, all’s schreiben, wia’s war – nachher –“ Loni versagte die Stimme.

„Nachher hast a Ruah vor mir, Du und der Flori! So is g’meint, net wahr? Der Flori! Wer’s glaub’n kann? I geh’ aber net – naa! I will Dir z’m mindest Dei falsch Spiel verleid’n. Ewi dauert Zuchthaus net, und nachher sollst erst recht kan Ruah hab’n vor mir, Du net und er. Das geht ja nachher in ein’m.“

Loni ließ ihn austoben, seine wilde Eifersucht that ihr jetzt wohl. „So redst Du mit mir? Der Flori macht Dir Angst? Was i als Muatter leid’, das kümmert Di nix! Daß i mir den Kopf zermart’r all’ die Zeit her, um an Ausweg z’find’n, das kannst net glaub’n?“

„Naa, das kann i net glaub’n, einfach desweg’n, weil der Ausweg so leicht war, wenn’s nur ’s Marei angang.“

„Leicht? An Ausweg? – Anderl, wia meinst das?“

„Warum willst Du net mit nach Amerika?“

„Jessas!“ Loni schrie laut auf. „Ja freili – ja warum bin i denn net darauf – aber – der Verdacht – wenn i auf amal verschwind’, und wir hab’n ja nix – und do – nach Amerika – mit Dir!“

„Kannst ja nachkomma! – Geld! Zum ’nüberkomma langt’s ja und nachher wär’ mir net bang mit meine zwoa Arm’! Hab’ schon lang so ’was im Sinn! Aber was bedeut’s, Du magst ja net! Du kannst Di ja net trenna von Dein’ Kind – von Dein’ Flori!“ Er lachte höhnisch. „Vom – Austrag!“

Lonis überreizter Sinn gaukelte ihr verführerische Bilder vor, gegen welche die Heimat, die Zukunft im Mentnerhof furchtbar erschienen.

„I komm’ bis ans End’ der Welt, wenn’s Dei Will’ is. Du schreibst von drüben an Brief ans G’richt – i hab’ den Förster d’erschoss’n, so und so, der Mentner is unschuldi. – Wia i das hör’, komm’ i zu Dir ins neue Land, zu an neu’n Leb’n! Versteh’ mi do’ aa auf d’ Arbeit, und die is ja ’was wert drüb’n, wia’s sag’n. Anderl, jetzt seh’ i erst, wia liab i Di hab’! Jetzt könnt’ i’s gar net denk’n, was i g’rad g’sagt hab’! Und heut’ no gehst, daß ma kein Tag verliern!“ Sie hatte in leidenschaftlicher Aufregung gesprochen und schlug jetzt wie beschämt die Augen nieder.

Anderl ergriff ihre Hand. „Also abg’macht! Heut’ no geh’ i aus’n Dienst, und von Amerika schick’ i d’ Anzeig’! s’ Weiter wirst schon inna wer’n, und wennst mi sitz’n laßt, nachher hol’ i Di! Mir g’hörst, Loni, und i laß Di nimmer!“

Anderl verließ noch an demselben Tage den Hof ohne Abschied von Marei. Er haßte die Dirn’, welche der Hemmschuh seines Glückes war, die künftige Bäuerin auf dem Mentnerhof, die Braut des Förstersohnes, seines natürlichen Todfeindes.

Loni brachte ihrer Tochter die Nachricht von der Entlassung des Knechtes und seinem Versprechen, von drüben seine Selbstanzeige zu senden. Ahnte Marei in diesem Augenblick das Opfer, das die Mutter ihr gebracht, oder war es nur der selige Einblick in ihr wiedergewonnenes Paradies, aus dem sie sich schon für immer verstoßen gewähnt, was ihrer überquellenden Dankbarkeit Worte lieh? Die Freude war so groß, so stürmisch, eine so mächtige Flamme dankbarer Kindesliebe umlohte Loni, daß diese plötzlich mit jähem Schauder an den Tag dachte, der sie von dem Kind reißen werde und forttreiben – – übers Meer – geächtet – flüchtig – unbestimmter Zukunft entgegen! Doch – der Anderl!




6.

Eine Woche war vergangen, seit der Knecht den Hof verlassen. Marei zählte die Tage, bis seine Selbstanzeige aus Amerika eintreffen könne – in drei Wochen glaubte sie dieselbe erwarten zu dürfen. Sie lebte sichtlich von neuem auf und ihre Briefe an Willy spiegelten das Glück wieder, welches das Vorgefühl der Erlösung ihr gab. Nur der eine Gedanke beunruhigte sie noch, Anderl könne sich, einmal in Sicherheit, anders besinnen und nichts mehr von sich hören lassen, doch die Mutter tröstete sie darüber mit einer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_143.jpg&oldid=- (Version vom 18.6.2023)