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verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

jungen Glieder geschmeidig und tüchtig, ihre jungen Seelen mannhart geschmiedet und gestählt wurden. Sie gehören der immer mehr aussterbenden Klasse der „echten“, d. h. auf Segelschiffen ausgebildeten Seeleute an, haben sich den Wind in allen Meeren gehörig um die Nase wehen lassen und dabei ohne hohe Schule gelernt, die Naturkräfte zu verstehen und zu gebrauchen, ohne zu zittern und zu zagen. Dann kam die Zeit, wo beide des Strandvogts schmucke Tochter liebgewannen, und fast hätte die Jugendfreundschaft zu einem tragischen oder doch blutigen Ende geführt. Da wollte es aber das Glück, daß Cord als Vollmatrose mit seinem Schiff einen Monat früher „binnen“ kam als Hinnerk mit dem seinen und daß er die Theda, eben des Strandvogts Tochter, in herbem Kummer sitzen fand, denn ihr waren Vater und Mutter gestorben; ihr selbst aber, die nie gelernt hatte, zu dienen, fehlte nun das trockene Brot. Natürlich wollte Cord mit beiden Händen zufassen; konnte er doch der Geliebten nicht nur ein Sparkassenbuch einhändigen, sondern auch seine demnächstige Beförderung zum Bootsmann in sichere Aussicht stellen. Theda aber sagte: „Ja, wenn Du Hinnerk wärest!“ Erst wollte er aufbrausen und alles in Grund und Boden schlagen, dann schluckte er „dreimal trocken nieder“, reichte Theda die Hand und murmelte: „Der ,Armin’ steht noch lange aus, ich bleibe aber so lange auf Platz, und Du sollst Hinnerk haben, auf mein Wort! Mußt aber’s Maul halten, Theda, von wegen meiner.“ Und das Friesenmädchen wußte schon „Maul zu halten“ und gab später dem Verschmähten freiwillig den ersten und einzigen Kuß, als er ihr den Heißgeliebten zuführte. Darüber sind nun schon viele Jahre verflossen. Nach hundert und aber hundert Trennungen hat das Geschick die beiden Freunde an Bord der „Irma“ wieder zusammengeführt, Cord den Bootsmann und Hinnerk den Segelmacher, der auch Dienste als Vollmatrose zu leisten hat. Anfangs gingen sie sich ein wenig scheu aus dem Wege: als aber nach der bisher vorn Wetter begünstigten Fährt über das brave tüchtige Schiff die furchtbarsten Stürme hereinbrachen, da fanden sie sich zusammen, die beiden alten Jungen von der Waterkant –

„Glövest Do, dat die ,Irma‘ dat utholen kann?“ fragte Hinnerk, als er zur Hundewache, zwischen 4 bis 6 Uhr nachmittags, als Assistenz an das Steuerrad beordert wurde. Cord räusperte sich und erwiderte dann: „Dat fragst Do noch, wo dat doch nich Din erste Fahrt is.“ Die Rede blieb ihm aber halb in der Kehle stecken, denn mit aller Wucht sauste eine neue Schneebö aus den rabenschwarzen Wolken hernieder, drückte das ächzende Schiff seitwärts in die Wogen und pfiff die schrillsten Melodien im Takelwerk. – „Na, denn man ’ran, wir werden dat Schipp un seine ganze Bagage schonst durch dat ekliche Wetter durchbringen.“

„Weist’ auch, wat heut’ für’n Tag is?“ schreit Hinnerk dem alten Kameraden in die Ohren. Der giebt ihm einen ärgerlichen Rippenstoß in die Seite und schreit durch Sturmesbrausen und Schneegestöber zurück: „Wat for’n Dämlack Do büst! Hüt is Sonntag!“

„Kann wohl sin; aberst wi markt den 7. Januar, wo Du vor finfundtwintig Jahren mi de Theda to führt hast. Do, min oll, leiv Cord!“

„Na, denn man to! Dat wi de ,Irma‘ un ihren Segelmacher richtig to Anker bringen für Theda un die Jungens!“ H. P.     


Die Grabkapelle der Fürstin Bismarck in Varzin.
Nach einer Photographie von Fritz Lindow.

Die Grabkapelle der Fürstin Bismarck in Varzin. Als am 27. November vorigen Jahres Fürst Bismarck in Varzin vom Verlust seiner so innig geliebten Lebensgefährtin betroffen wurde, ordnete er an, daß die Fürstin ihre letzte Ruhe an der Stätte ihres Todes finden sollte, wo sie, wie schon so oft, den Sommer und Winter mit einander verlebt hatten. Ein kleines Gartenhaus, das ein Lieblingsplatz der Fürstin war, wurde zu einer einfachen Grabkapelle umgewandelt und hier wurde der Sarg beigesetzt in Gegenwart des Fürsten, seiner nächsten Familienangehörigen und Freunde, des Beamten und Forstpersonals des Gutes und vieler Einwohner von Varzin. Der im Arbeitszimmer der Fürstin aufgebahrte Sarg wurde von sechs Förstern und sechs Inspektoren in das Gartenhaus getragen, dessen umfriedete Lage zwischen den Bäumen des Parkes unser obenstehendes Bild den Lesern vergegenwärtigt. Die vielen Hunderte von Kränzen und Blumengebinden aller Art, die auf die Trauernachricht hin in Varzin eintrafen, gelangten im ganzen Raume zur Verteilung. Es wird erzählt, daß Fürst Bismarck nach der Trauerfeier vor dem Verlassen der Stätte aus einem Kranze, der zu Häupten der Toten lag, eine weiße Rose gebrochen habe, die er mit sich nahm. Da inzwischen in Schönhausen, dem Stammgut des Fürsten, wo die meisten seiner Vorfahren ruhen, mit dem Bau einer Familiengruft begonnen wurde, ist anzunehmen, daß auch die Fürstin später dort beigesetzt wird.

Lehrbuch des Schnittzeichnens. Das Schneidern ist eine Kunst: Geschmack und eine geschickte Hand gehören dazu, sowie die Fähigkeit, im Vorübergehen mit einem Blick die Besonderheit einer eleganten Toilette „loszuhaben“. Was aber sonst dazu erforderlich ist, das kann gelernt werden, sowohl praktisch in einem Kurs als an der Hand eines guten Lehrbuches, wie das „Lehrbuch des Schnittzeichnens“ von Helene Sommer (Dresden, Köhler). Die Verfasserin leitet eine Lehranstalt für theoretische und praktische Damenschneiderei in Dresden, sie giebt im Textteil ihres mit Zeichnungen reich ausgestatteten Buches die genaue Unterweisung zum Maßnehmen, Schnittzeichnen, Zusammenheften, Anprobieren und Fertigstellen der Kleidungsstücke. Von anderen Methoden unterscheidet sich die ihrige vorteilhaft dadurch, daß sie kein nach Berechnung aufgestelltes Schema zu Grunde legt, sondern nur die Maße des Körpers selbst, deren sorgfältige Ermittlung und Zusammenstellung das gute Passen gewährleistet. Wer die betreffenden Abschnitte genau studiert und das Erlernte richtig anwendet, wird in kurzer Zeit imstande sein, für sich und andere die Modezeitungen mit ihren stets wechselnden Neuheiten zu benutzen, indem das alte, unveränderliche Körpermaß stets zu Grunde gelegt und alles andere nach ihm gerichtet wird. Wo dies nicht geschieht, wiederholt sich immer aufs neue die schon so oft gehörte Klage, daß die Schnitte aus der Modezeitung nicht passen wollen. Wir haben wiederholt schon auf den großen wirtschaftlichen Nutzen der Hausschneiderei hingewiesen. Aber nicht um seinetwillen allein sollte sie gepflegt werden, sondern um der größeren praktischen Tüchtigkeit und Gewandtheit willen, die dabei gewonnen werden. Unsere junge Mädchenwelt stickt, häkelt und knüpft viel zu viel Ueberflüssiges, sie sollte statt dessen recht fleißig zur Hausschneiderei angehalten werden. Als Anregung dazu empfehlen wir das praktische Sommersche Werk bestens. Bn.     


Kälte von – 110° C. ein – Heilmittel. Wiederholt haben wir über die Versuche berichtet, die von dem berühmten Physiker Raoul Pictet mit künstlich erzeugten äußerst niedrigen Temperaturen angestellt werden. In unserem Artikel „Brennender Frost“ in Nr. 52 des Jahrgangs 1893 haben wir von der verderblichen Wirkung ungemein niedriger Temperaturen auf den Menschen berichtet, heute möchten wir kurz erwähnen, daß dieser Frost, wie er unter natürlichen Umständen auf der Erde noch niemals beobachtet wurde, auch wohlthätig den Menschen zu beeinflussen vermag.

Pictet machte die Entdeckung, daß eine Kälte, die unter – 65° C. liegt, sich ganz eigenartig verhält. Gegen einen solchen Frost schützen keine schlechten Wärmeleiter; diese Kältestrahlen dringen durch den dichtesten Pelz und das schönste Federbett mit derselben Leichtigkeit wie der Sonnenstrahl durch die Glasscheibe. Pictet wollte nun sehen, wie sich Tiere in einer solchen Kälte verhalten würden. Er hüllte sie darum in Pelze ein und versenkte sie in einen Gefrierschacht von – 110° C. Temperatur, wo sie kurze Zeit verblieben. Nach der Ansicht des berühmten Physikers waren sie hier von der Kälte von 0° bis –65° durch die Pelze geschützt und nur der Einwirkung der alles durchdringenden Kälte von –65° bis –110° C. ausgesetzt. Die Tiere ertrugen diese ungemein niedrige Temperatur und verließen den Gefrierschacht mit einem wahren Heißhunger behaftet. – Nun stieg der Forscher selbst, wohl in Pelze eingehüllt, in den Gefrierschacht bei einer Temperatur von –110° C. Nach vier Minuten stellte sich bei ihm das Gefühl eines wahren Heißhungers ein und er verließ den Schacht mit dem größten Appetit. Das war höchst überraschend, denn Herr Pictet litt seit zehn Jahren an einer schmerzhaften Magenkrankheit und wußte seit lange nicht mehr, was Appetit heißt. – Er war darum über diese Wirkung des Gefrierschachts aufs höchste erstaunt und er begab sich nun wiederholt in denselben. Nach acht Sitzungen hatte sich auch seine Verdauung gebessert und die Schmerzen waren verschwunden. Der Kälteforscher hatte sich selbst geheilt. – Der Vorfall ist höchst eigenartig und interessant; aber vereinzelte Versuche haben noch keine Beweiskraft; weitere Versuche werden ergeben, ob der künstliche Frost von –110° C. sich wirklich zu Heilzwecken wird verwenden lassen; dann würden wir ein neues „Frostheilverfahren“, eine Frigotherapie, besitzen! *      


Kleiner Briefkasten.

J. H. in Prag. Der Schriftsteller Johannes van Dewall ist bereits am 16. April 1883 in Wiesbaden gestorben.

Alte Abonnentin S. E. in Bonn und Ch. G. W., Texas. Wir bitten um gefl. Angabe Ihrer vollständigen Adresse.

St. in Weißenburg i. E. Die Auflösung der Schachaufgabe in Beilage 2 zu Nr. 41 des Jahrgangs 1891 finden sie in der Beilage 3 zu Nr. 42.


Hierzu die Extra-Beilage: Vom Untergang der „Elbe“ gerettet. Von Anna Böcker.

Inhalt: Echt. Erzählung von R. Artaria. S. 117. – Ludwig Fulda. Bildnis. S. 117. – Der Tiger von Plessis-les-Tours. Von Ernst Hutten. S. 120. Mit dem Bilde S. 121. – Das Pellerhaus in Nürnberg. Von Hans Boesch. S. 124. Mit Abbildungen S. 124 und 125. – Weiße Schreibtafeln. S. 126. – Loni. Erzählung von Anton von Perfall (3. Fortsetzung). S. 126. – Winternacht auf dem Meere. Bild. S. 129. – Blätter und Blüten: Eine hochherzige Stiftung zur Pflege der Wissenschaft. S. 131. – Ludwig Fulda. S. 131. (Mit Bildnis S. 117.) – Winternacht auf dem Meere. S. 131. (Zu dem Bilde S. 129.) – Die Grabkapelle der Fürstin Bismarck in Varzin. Mit Abbildung. S. 132. – Lehrbuch des Schnittzeichnens. S. 132. – Kälte von –110° C. ein – Heilmittel. S. 132. – Kleiner Briefkasten. S. 132.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_132.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2023)