Seite:Die Gartenlaube (1895) 118.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Papa draußen an, der in ungewisser Haltung immer von einem Fuß auf den andern trat.

Die Reisegefährtin ließ den prüfungsgewohnten Blick über das Persönchen ihr gegenüber streifen, aus dessen lebhaften braunen Augen die ganze Reiseerwartung in hellem Vergnügen funkelte. Hübsch war sie, die Kleine, ohne Zweifel. Ueber den etwas zu dicht gekrausten Stirnlöckchen saß ein etwas zu kühner grauer Federhut, der indessen gut stand zu dem bräunlichen Gesichtchen und dem frischen Wangenrot. Das kleine Jackett von billigem Stoff hob ein allerliebstes Figürchen heraus. Die Handschuhe waren ebensowenig tadellos wie das Portemonnaie, welchem sie soeben das Billet anvertraute.

Zur Salzburger Aristokratie gehörte demnach Fräulein Toni nicht, auch nicht zum reichen Bürgerstand, dies war das Ergebnis des kurzen Musterungsblickes. Die Schriftstellerin rückte sich gleichgültig in ihrer Ecke zurecht und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ausschließlich dem Manuskripte zu.

Der kleine Mann stellte daraufhin sein Verlegenheits-Getrippel ein, schaute das reisefrohe Töchterlein eine Weile besorgt an und äußerte endlich das Resultat seines Nachdenkens in den Worten: „Wenn Dir nur nichts passiert, Tonerl!“

„Was soll mir denn passieren, Papa?“ erwiderte sie munter. „Hier im Damencoupé ist doch das unbedingte Numero Sicher.“

Sie warf einen mutwilligen Blick nach dem abweisenden Gesicht in der Fensterecke. „Ein Buch hätt’ ich vielleicht noch’ mitnehmen sollen – zur Unterhaltung!“

„Gieb nur recht acht auf das Handgepäck,“ setzte er seinen vorigen Gedankengang fort.

„Ja.“

„Und laß in Rosenheim, wenn’s zum Essen geht, die Coupéthür schließen, daß Dir nichts wegkommt. Ich hätte doch vielleicht lieber bis dorthin mitfahren sollen, daß Du nicht ohne Schutz gewesen wärst.“

Fräulein Toni schien große Lust zu einem Heiterkeitsausbruch zu haben, auch um die Mundwinkel der anderen spielte ein Lächeln über einen solchen Beschützer.

„Aber Papa, ich bitt’ Dich!“ rief jetzt Toni lustig. „Ein solches Kind bin ich doch nicht mehr, daß ich die paar Packerln nicht glücklich nach München bringen sollt! Mach’ Dir nur gar keine Gedanken. Und grüß’ mir die Mama noch recht schön!“

„Ja.“

„Und die Burgi auch.“

„Werd’s bestellen.“

„Ich möcht g’rad’ nur wissen,“ dachte Toni während dieser letzten Augenblicke, „ob denn je ein Mensch ’was Gescheites reden kann so aus dem Waggon und von draußen herein. Meiner Lebtag hab’ ich’s noch nicht gehört. Und der Papa und ich, wir machen’s jetzt gerade so. Na, Gott sei Dank, da geben’s ja das Signal! Behüt’ Gott, Papa!“ rief sie erleichtert, warf noch eine Kußhand durch das Fenster der zuklappenden Coupéthüre, dann ein Pfiff, ein Ruck, und hin rollte der Zug über das im Wintersonnenschein glänzende Alpenvorland.

Fräulein Toni setzte sich zurecht und begann nun ihrerseits, die Reisegefährtin zu mustern. Puh – nichts Elegantes! Ein alter Winterpaletot, ein gelbes Gesicht mit einer großen Nase, ein verschossenes Seidentuch über den ergrauenden Scheitel geknüpft, denn der Hut – himmlischer Vater, welch ein Altertum! – baumelte droben im Netz. Dieser Erscheinung fühlte sich Fräulein Toni sofort überlegen. Sie hatte nur vor Elegantheit einen ungemessenen Respekt. Hier aber stellte offenbar sie selbst die Feine vor und sie beschloß, sich demgemäß zu betragen. Also behielt sie gleich einmal die Handschuhe an, obwohl es sonst ihren Fingern nur ohne solche wohl war, lehnte sich nachlässig im Sitz zurück und beobachtete ein vornehmes Schweigen, während der Zug nach dem Verlassen des Bahnhofes eine lange Zeit an verschneiten Krautäckern und Wiesen vorüberfuhr.

Endlich hielt er. O Jesus, erst Freilassing! Aber das war ja nicht zum Aushalten, so eine Langweiligkeit, und wenn das bis München so fort gehen sollte … nein, da war es immer noch besser, die alte Jungfer anzureden!

„Stößt Sie denn das nicht arg beim Schreiben?“ fragte sie teilnahmsvoll.

Die scharfen grauen Augen sahen einen Augenblick herüber.

„Ich bin es gewohnt,“ erwiderte die Schriftstellerin nicht ganz so abweisend, als sie eine andere Frage beantwortet haben würde. „Ich reise und schreibe das ganze Jahr.“

Das bewundernde Erstaunen des Mädchens, welchem noch niemals ein schriftstellernder Mensch in Fleisch und Blut vor Augen gekommen war, verfehlte nicht seine besänftigende Wirkung auf die im besten Gedankenfluß Gestörte. Sie legte, freilich mit unterdrücktem Seufzen, den Bleistift nieder, um, wie sie sich innerlich zum Troste sagte, hier einstweilen ein Stück Volkstum zu studieren und vielleicht aus den Angaben der Kleinen ein paar wertvolle Notizen über billige Unterkunft in dem für ihre Verhältnisse so unbequem teueren Salzburg zu erlangen. Sie hatte die Kunde der billigen und guten Gelegenheiten in dem gesamten deutsch-österreichischen Reisegebiet fast bis zur Wissenschaft ausgebildet und benutzte eifrig jede Gelegenheit, etwaige Lücken im Netze auszufüllen.

Und so geschah es, daß schon bald, ehe der Zug noch von Freilassing abgedampft war, ein gemütliches Gespräch zwischen den beiden zum Schweigen Entschlossenen im Gange war. Zuerst erfuhr die junge Toni, daß sie die Ehre habe, mit der rühmlichst bekannten, von Verlegern und Redakteuren höchst gesuchten Berichterstatterin und Reiseschriftstellerin Sophie Panke zu fahren. Sie fühlte sich freilich sehr zerknirscht, keinen von deren zahlreichen bedeutenden Artikeln gelesen zu haben, ja, wenn sie hätte ehrlich sein wollen, nicht einmal ihren Namen zu kennen, aber sie vertuschte diese unverzeihlichen Mängel nach Kräften und erkundigte sich im übrigen so angelegentlich nach dem in Entstehung begriffenen jüngsten Werk, daß die Schriftstellerin ein menschliches Rühren fühlte und sich zur näheren Auskunft herbeiließ.

„Ein kleines Ding nur – aber effektvoll! Resultat dieses strengen Winters. Man muß sich alles zu nutze zu machen wissen. Vorgestern las ich in München, daß der See ganz zugefroren sei, fuhr also gleich nach Berchtesgaden – heute habe ich mein Feuilleton in der Tasche.“

„Und da sind Sie wirklich zu Fuß nach Bartlmä gelaufen?“ fragte das Mädchen mit großen Augen.

„Nun – soweit, als es nötig war, um das richtige Lokalkolorit und die Stimmung heraus zu bekommen, dann setzte ich mich in einen vorüberkommenden Schlitten, es war auch so noch kalt genug. Aber ich wunderte mich, daß nicht halb Salzburg auf dem herrlichen Spiegeleis Schlittschuhe lief.“

„Warum nicht gar! So lang in der Kälten fahren, um eine Stunde Schlittschuh zu laufen! Das haben wir viel näher in Leopoldskron, dort ist das schönste Eis und Musik auch noch.“

„Und nette Leute dazu, nicht wahr?“ neckte Fräulein Panke.

„Na – passiert!“ meinte Toni gleichmütig. „Wenn die paar Offiziere nicht wären – wegen den anderen wär’s nicht der Mühe wert, hinauszugehen. Was man so interessante Leute heißt, das giebt’s bei uns nicht. Mein Schwager sagt immer: Salzburg wäre eine sehr schöne Stadt, wenn nur keine Salzburger drin wären!“

„Na aber hören Sie! Das scheint mir doch ein sehr subjektiver Standpunkt Ihres Herrn Schwagers. In Salzburg, der berühmt schönen und als Aufenthalt gesuchten Stadt giebt es doch gewiß eine Menge angenehmer, gebildeter Menschen zum Umgang –“

„Das kann schon sein, aber die ich kenne, sind halt langweilig. Oder vielmehr, es ist langweilig in Salzburg, es steht ordentlich die Zeit still, und passieren thut das ganze Jahr nichts. Das muß bei Ihrem Leben schon anders sein mit Ihren vielen Reisen!“

„Möchten Sie tauschen?“

„O, auf der Stelle!“ rief Toni.

„Nun, sehen Sie, ich gäbe manchmal meinen Sommer auf Reisen gern für ein behagliches Leben in einer der hübschen Villen, wie sie in Ihren Salzburger Vorstädten stehen.“

„Na, in einer Villa, das ginge am Ende auch noch, da wohnen ja lauter reiche Leute, die ’s gut haben. Aber unsere Stadtwohnung in der Getreidegasse, da möchten Sie auch nicht hin.“

„Nun, eine junge Dame in Ihrem Alter kann ja bald die Wohnung ändern,“ spielte Fräulein Panke an.

„Ueber die Gassen hinüber, in ein Gewölb’ mit Spezereiwaren – na, ich dank!“ erwiderte die Kleine aufrichtig. „Das könnt’ ich freilich alle Tage haben, wenn ich nur möchte, aber ich muß schon sagen, das tauget mir nicht!“

„Sie möchten höher hinaus?“ sagte die andere, belustigt von dieser Unumwundenheit.

„Ja!“ versetzte Toni ohne Zögern, mit lebhaft glänzenden Augen. „Ich möcht’ einmal etwas ganz Apartes haben. Sie

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_118.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)