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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

fühlte sie wieder seinen Händedruck, seinen heißen Atem, und dabei drang das Geflüster, das Gebetgemurmel, der Weihrauchgeruch aus dem Sterbezimmer bis auf den Hof. Es legte sich ihr auf die Brust, atembeklemmend.

Zögernd stieg sie die Leiter hinauf zur Denne, würziger Heuduft drang ihr erfrischend entgegen.

Wirklich war der Knecht in der Kammer. Sie rief mit halber Stimme seinen Namen. Wieder ging die Thüre auf und der Knecht stand vor ihr, mit einer brennenden Kerze. Sie sah ein spöttisches Lachen in seinen schwarzen Augen, in denen ein eigentümlicher Glanz leuchtete. „Heut’ schon?“ las sie in dem flackernden Blicke.

Sie hätte viel darum gegeben, wenn sie wieder unten gewesen wäre. Doch jetzt mußte sie sprechen.

„I bin nur komma wegen dem Flori!“ stammelte sie.

Da schwankte die Flamme bedenklich.

„Er hat – i will sag’n, der Mentner –“

Sie rang nach Atem. „Er hat mit ihm vor sei’m Tod’ g’sproch’n – Dein’ Nam’ hat er g’nannt.“

„No und is da so ’was B’sonders d’ran?“ fragte der Knecht.

„Für mi net - g’wiß net - aber für die Leut’. Besser wär’s schon, wenn der Flori net red’n thät.“

„Was kann i dazu thuan, da muaßt’ zum Flori geh’n, er is ja eh’ a guater Freund von Dir! Mir is’ ein Ding, was er redt!“ Er stellte das Licht auf einen Pfosten, als ob er die grelle Beleuchtung scheute.

„Weil Du Di unschuldi fühlst, net wahr? Weil Du g’wiß weißt, daß ’s der Mentner ’than hat? Mir kannst’s ja sag’n, jetzt, wo er tot is. An dem Tag is’ g’scheh’n?“

„An welch’n?“

„Frag’ a no! Da san ma g’stand’n und hab’n g’wart auf ihn - der Mond is g’rad aufganga - Sieh’, g’rad wie heut’!“

Beide blickten zur Tennenluke hinaus, in deren Mitte das Gestirn hing wie eine krystallene Ampel.

„An dem Tag is’ g’scheh’n? I bitt’ Di, Anderl, die Wahrheit! I schwör’ Dir’s, niemand soll a Wort ’von erfahr’n!“

„Und hast denn ganz vergess’n, was sonst g’scheh’n is an dem Tag, auf dem Fleck?“

Anderl legte den Arm um sie.

Loui sträubte sich. „Laß mi. Heut’ – wo unt’ –“ Doch dasselbe Gefühl der Schwäche überkam sie wie einst.

„Was heut’! Er is tot - seit an Jahr - für Di und mi. G’rad heut’ sollst Du’s hör’n! Was bist komma zu mir? I hab’ g’wart auf Di seit an Jahr!“

Sein Atem ging schwer.

Von unten herauf drang das monotone Gebetgemurmel der Seelennonne, Weihrauchduft. Eine Fledermaus umkreiste eigensinnig die jetzt in dem grellen Mondlicht, das zur Luke hereinfiel, schmutzigrot erscheinende qualmende Flamme. Aber auch ein Flüstern drang herauf, es kam vom Garten. Anderl trat zurück in den tiefen Schatten.

„Hörst Du’s? Als wenn er’s wär’! Als wenn er wieder käm’! Oh!“ Loni stöhnte auf. „An dem Tag is g’scheh’n – net wahr, Anderl?“

„Na, an dem net.“

„Am nächst’n? Wia’s auf der Leiter eing’stieg’n seid’s?“ fvrschte sie gespannt weiter.

„Da hast Du mi g’seh’n? – Und do bist da?“

Anderl faßte erregt ihre Hand.

„Red’, sag’ i - bist Du’s g’wes’n?“

Er schloß die Augen und preßte die Lippen zusammen, seine Brust spannte sich zum Bersten.

„Ja – i war’s!“

Loni bewegte sich nicht, sie schrie nicht auf, es war ihr auf einmal, als habe sie das schon längst gewußt.

„Und der Mentner war dabei?“

„Ob er dabei war! Der Mentner oder der Förster! – so is’ g’stand’n einer mußt’ fallen. Der Kirchberger hat ihn schon am Korn g’habt, da hab’ i’s schnall’n lass’n! Is das an Mord? Weißt, was mir durch’n Kopf ganga is in dem Augenblick? Wennst jetzt net schiaßt, is der Mann von der Loni a Leich’ – da hab’ i g’schossn. Is das an Mord?“

„Na, für mi net! Anderl, d’erschreck net, aber für die andern ...“

Sie sprach nicht mehr aus. Stimmen drangen deutlich herauf, schluchzendes Weinen. Vorsichtig schlich sie vor die Luke und blickte hinab. Marei und Willy standen hinter dem Hause; das Mädchen weinte in ihre Schürze – es galt den Abschied!

„Schau, sie ist ja doch Deine Mutter und trägt auch den Namen durchs ganze Leben, auf dem der Fluch ruht. Ich kann’s nicht glauben, daß sie so einem Menschen zu lieb ihr eigenes Kind opfert – so schlecht kann niemand sein.“

Marei hob ihr Gesicht bei diesen Worten des Geliebten, es lag jetzt trotzige Willenskraft darin. „Und do kann i mir’s denk’n, daß man all’s opfern kann – alls! Um eins – um a heiße Liab.“

Der junge Mann trat betroffen dicht an sie heran und flüsterte ihr etwas zu.

„I glaub’s net – i weiß!“ sagte sie dann leise, aber fest. „Aber i weiß aa, daß mei’ Liab’ net die schwäch’r is – auch i kann all’s opfern – aa die Mutter, wenn’s sein muaß! Also san ma gleich auf gleich! Unser Herrgott wird helf’n! Nur eins, Willy, verlang’ i von Dir – bleib’ mir treu, halt’ aus! Die Wahrheit muaß aufkomma und eher möcht’ i selb’r net Dein’ Nam’ trag’n.“

Sie dachte an diesem einsamen Ort an keinen Horcher und die Erregung machte sie unvorsichtig.

Die Lauscher auf der Tenne vernahmen jedes Wort. Loni fühlte es wie Haß aufsteigen gegen ihr eigenes Kind. Im ersten Augenblick nach Anderls Bekenntnis hatte sie schon daran gedacht, die Tochter mit in das Geheimnis zu ziehen. Wenn Marei hörte, daß Anderl die That begangen, um ihren Vater zu retten, daß diesen eine Sekunde später der Förster erschossen hätte, mußte sie ja anders denken. Aber jetzt gab sie diesen Gedanken auf, das Mädchen würde Anderl trotzdem nicht schonen, sie würde ihn an den Geliebten verraten und der würde kein Erbarmen kennen in seinem blinden Haß. Und das entschied in ihr für den Anderl.

Das freie Geständnis dieses Mannes, der ihr so treu anhing, kettete sie an ihn. Und doch mischte sich in dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit ein leises Grauen. Sie riß sich von ihm los.

Während unten im Garten unter Thränen und heiligen Versicherungen das junge Paar sich trennte, vertrauend auf die Kraft schuldloser treuer Liebe, schlich Loni langsam von der Tenne herab, in der Seele den Trotz gegen die Tochter nährend.

Unten in der Stube lächelte friedlich der Mentner im Flackerlicht der Kerzen, und im alten Lehnstuhl schlief, die Hände über die Brust gekreuzt, die Agl, die Seelennonne.




4.

Der Farrenbach durchschneidet eine Viertelwegstunde vom Dorfe entfernt, aus enger Schlucht tretend, die Hagenberger Flur. Ein breites, im Sonnenlicht grellweiß aus dem umgebenden Grün aufblitzendes Band bezeichnet von weitem seinen vielgewundenen Lauf. Zur trockenen Zeit sickert nur spärliches Wasser matt und mühsam durch das Kalkgeröll, bei anhaltendem Regen bildet sich rasch ein stattlicher Fluß, dessen schmutziggraue Fluten mit wildem Ungestüm über alle Hindernisse hinwegschießen, da einen rauschenden Fall, dort quirlende Stromschnellen bildend. Geht aber ein Hochgewitter nieder, dann wälzt sich ein verheerender Strom, weithin donnernd, aus der Schlucht hervor, schwere Felsblöcke mit sich führend, Baumstämme und Wurzelwerk in wildem Chaos, daß alles splitternd, krachend sich stemmt und staut. Dann brechen die Wasser sich seitwärts Bahn, verheeren die angrenzenden Wiesen, überdecken die Straße mit Geröll und entwurzeln alte Bäume und junge Pflanzungen.

Kurz, der Farrenbach war für die Hagenberger Fluren, wie der Mentnerhof für das Dorf, der Fluch, der ewige Verdruß – eine Gottesgeißel.

Wie jedoch allem Uebel auf der Welt auch eine gute Seite abzugewinnen ist, so auch dem bösen Farrenbach. Er lieferte umsonst und in überreichlicher Fülle das beste Material für den Straßen- und Wegbau, ungezählte Fuhren von Kies und Sand, und den kostbaren Kalkstein bis dicht vor die primitiven Oefen, welche die Hagenberger an seinem Ufer errichtet.

Das war das Arbeitsrevier des Flori; er war der Herr des Farrenbaches. Er hatte seine Unarten wieder auszugleichen, indem er für die Erhaltung der Weidendämme an den besonders gefährdeten Stellen sorgte und die Haupthindernisse seines Laufes entfernte. Er hatte das von den Bergen herabgeschwemmte Material für die Verwertung zu bearbeiten, den Kies, den Schotter, den Sand, seine Abgabe zu überwachen. Er war in den langen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_114.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2020)