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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

meine kleinen Talente entzückten ihn, er sah eine bedeutende Zukunft für mich voraus und schmiedete Plan auf Plan, dieser Zukunft feste Gestalt zu geben. Namentlich meine musikalische Begabung machte ihm Freude. ‚Wenn Du erwachsen bist und Mama nicht mehr so viel Bälle und Gesellschaften braucht,‘ pflegte er zu sagen, ‚dann sammle ich ein hübsches kleines Vermögen für Dich, was gar nicht so langer Zeit bedarf, und das verwenden wir dann zu Deiner Ausbildung. Die besten Lehrkräfte, die wir in Europa haben, sind gerade gut genug, um meiner Jella Stimme auszubilden, dies köstliche Material, das gar nicht fein und behutsam genug angefaßt werden kann. Selbstverständlich kommst Du nie in die Oeffentlichkeit, nur ein ganz auserwählter kleiner Kreis braucht mein kleines Wunder anzustaunen, es wäre ein großes Zugeständnis, wenn ich Dir ausnahmsweise einmal in einem Wohlthätigkeitskonzert zu singen erlaubte!‘ So sprach Papa oft zu mir, und ich war froh, ihn so glücklich über mein Talent zu sehen, und nahm mir vor, sehr fleißig zu studieren und ihm in allen Stücken den Willen zu thun, denn ich liebte ihn unendlich! Daß von dem Sammeln eines kleinen Vermögens einstweilen, so lange wir das sorglose Leben in Batavia führten, keine Rede sein konnte, sagte mir schon damals mein unerfahrener Kinderverstand. Ich denke, ich erzählte es Ihnen schon: wir lebten wie die Fürsten, und Papa verstand es nicht, meiner Mutter einen Wunsch abzuschlagen. Sie hatte eine sehr liebliche Art, ihn zu umschmeicheln, er brachte ihr gegenüber kein Nein fertig. Und dann mußte er so rasch sterben, und wir standen mittellos da, was nach Auflösung unserer luxuriösen Häuslichkeit blieb, war ein kleines, kleines Sümmchen, gerade ausreichend, die Ueberfahrt zu bestreiten.

Nun kamen wir nach Brüssel zu Papas Verwandten. Ach, sie thaten für uns, was sie konnten, sie gaben uns die Mittel, zu leben, aber sie gaben uns keine Liebe und kein Verständnis, das besaßen sie eben nicht. Ich mußte mich bald daran gewöhnen, so jung ich noch war, auch für Mama zu denken und zu handeln. Der Tod des Mannes, der sie so grenzenlos verwöhnt, hatte sie fast tiefsinnig gemacht, sie wußte sich gar nicht zu helfen, sie war ganz wehrlos dem Leben und seinen Anforderungen gegenüber. Es demütigte sie, von Leuten, mit denen sie keine innere Gemeinschaft hatte, Geld annehmen zu müssen – der einzige Mensch, zu dem sie volles Vertrauen empfand – Sie, Herr Doktor, – war weit fort auf Reisen, so wurde ich ihre Freundin. Sie besprach alles mit mir. Daß Papas Gedanke ausgeführt werden, daß etwas zu meiner musikalischen Ausbildung geschehen müsse, stand bei mir fest. Ich dachte es mir sehr leicht und sehr schön, durch mein Talent, von dem ich einen ziemlich hohen Begriff hatte, große Summen zu verdienen, die es meiner Mutter möglich machen würden sorgenfrei zu leben und jede Unterstützung von der Hand zu weisen. Ich konnte es kaum erwarten, Unterricht zu bekommen. Die Verwandten sahen es nicht sehr gern, als es endlich dahin kam; sie waren reich und glaubten, es werfe ein schlechtes Licht auf sie, wenn eine ihrer Anverwandten irgend eine Art von Erwerb ergreife. Ich setzte aber mein Stück durch, nicht ohne Scenen und Thränen, und ging zunächst ins Konservatorium. Die Lehrer sagten mir viel schöne Dinge über meine Stimme, aber es hieß doch, ich müsse ein jahrelanges Studium durchmachen, ehe an ein Auftreten als Konzertsängerin zu denken sei. Das aber lag durchaus nicht in meiner Absicht, ich wollte rasch vorwärts, rasch, um jeden Preis!“

Gabriele sagte die letzten Worte mit mühsamer Stimme und stieß einen zitternden Seufzer aus. Es war jetzt ringsumher vollkommen dunkel geworden, der Himmel flimmerte von zahllosen Sternen, und hinter den dichtbelaubten Kastanienkronen zur Rechten leuchtete ein silberweißer Schein, langsam begann die Mondsichel emporzusteigen. Im nahen Gesträuch zirpte es unermüdlich, ein leichtes Lüftchen fächelte im Blätterwerk, das erste wohlige Aufatmen kam über die Natur.

Damals vermittelte mir ein Zufall Herrn Schraders Bekanntschaft. Er war bei der Bühne gewesen und beabsichtigte, von neuem zu ihr zurückzukehren, er hatte soeben einen Gastrollencyklus hinter sich, und bis sich ein neues passendes Engagement für ihn fand, wollte er in Brüssel Gesangunterricht erteilen. Man rühmte ihn als Lehrer, er hörte mich singen, zeigte sich begeistert von meiner Begabung und verhieß mir in kürzester Zeit glänzende Einnahmen, sobald ich mich seiner Leitung überlassen und mich entschließen würde, zur Bühne zu gehen. Dies Ansinnen kam mir gänzlich unerwartet und wurde anfangs ohne weiteres von mir zurückgewiesen. Ich fühlte keine Neigung, zum Theater zu gehen, und sagte das unumwunden. Mitten in diese Verhandlungen hinein fiel ein schwerer Schicksalsschlag – der Tod meiner Mutter! Sie starb ohne lange Krankheit, ich war wie betäubt durch diese neue Prüfung. Bei den Verwandten wollte ich keinesfalls länger bleiben, meine Mutter war das letzte vermittelnde Glied gewesen, das uns zusammenhielt. Sie versuchten nach Mamas Heimgang noch einmal, mich zum Bleiben zu veranlassen, aber umsonst. Ohne Mama – keine Stunde länger in diesem Hause! Die heranwachsenden Kinder waren mir von jeher sehr unfreundlich begegnet, sie allein hätten mir schon den beständigen Aufenthalt dort verleidet, sie waren voller Neid und Eifersucht auf mein Talent, obgleich ich mich niemals in ihren Kreisen damit hören ließ. Ich ging also aus dem Hause und zu einem entfernten Vetter meines Vaters, der gleichfalls in Brüssel lebte und mein Vormund geworden war. Hier behandelte man mich gütig, interessierte sich für meine musikalische Begabung und legte meinen Zukunftsplänen nichts in den Weg. Aber die Familie war arm, hatte mit Sorgen zu kämpfen, kein Gedanke daran, daß ich hier einen materiellen Halt fand. Mit den andern Verwandten hatte ich für immer gebrochen, ich war in offener Feindseligkeit aus ihrem Hause geschieden, sie waren empört über meine schreiende Undankbarkeit und meine Abenteurerlust, die mich in eine so unpassende Laufbahn trieb. Gott weiß, ich war weit von jeder Abenteurerlust entfernt, aber ich war auf mich allein angewiesen, meine musikalische Begabung zeigte mir den einzigen Weg, bald zu eigenem Erwerb zu kommen. Was sollte ich thun? Ich verwertete die schönen Schmuckstücke meiner Mutter, von denen sie sich nie hatte trennen können, um aus dem Erlös fürs erste mein Leben zu fristen. Herr Schrader und seine Frau waren sehr gut zu mir, sie waren damals in sehr günstiger Lage, er war ein gesuchter Gesanglehrer, seine Frau gab Deklamationsstunden und studierte jungen Anfängern leichte Opernpartien ein. Sie nahmen beide so gut wie gar kein Honorar von mir und zeigten lebhafte Teilnahme für mein Fortkommen, auch hatten sie zahlreiche Verbindungen, die mir nützlich sein konnten. Nach einem Jahr des eifrigsten und angestrengtesten Studiums war ich so weit, daß ich öffentlich auftreten konnte.“

Ein tiefes Aufatmen hob Gabrielens Brust, sie sah ängstlich nach ihrem stummen Gefährten, aber der Mond war noch nicht hoch genug gestiegen, sie konnte Röders Gesichtszüge nicht erkennen.

„Es sollte natürlich eine kleine Stadt sein, in der ich anfing,“ fuhr sie nach einer kurzen Pause fort. „Ich war nicht erbaut davon, aber Herr Schrader hatte wohl recht, wenn er behauptete, ich müsse glücklich und dankbar sein, überhaupt nach so kurzer Studienzeit ein Engagement zu finden; bei Anfängerinnen, von denen niemand etwas wisse, sei das eine große Gunst des Schicksals. So fing ich denn in einer kleinen schlesischen Stadt auf der Sommerbühne an, allein ich merkte bald, daß ich mir zu viel zugemutet hatte, als ich zur Bühne ging. Der ganze Ton zwischen den Kollegen, die Verhandlungen mit den Agenten, die ganze Atmosphäre – erlassen Sie mir’s, es Ihnen zu schildern, Sie werden genug darüber gehört und gelesen haben. Aber es ist doch ein himmelweiter Unterschied, solche Dinge zu hören und zu lesen oder sie selbst zu erleben, zumal wenn man ein unerfahrenes Mädchen von kaum neunzehn Jahren und erzogen ist wie ich. Ich war wie vernichtet, ich fühlte, daß ich nicht für das Theater paßte, meine Stimme klang wohl hübsch, aber mein Spiel war unbelebt, meine Haltung erzwungen, es war kein Theaterblut, kein richtiger Trieb in mir. Man sagte mir das, und ich fühlte, daß es Wahrheit war. Was nun anfangen? Irgendwo mein Heil als Gesanglehrerin versuchen, mittellos, unbekannt, wie ich war, ohne stützende und helfende Verbindungen? Meine wissenschaftlichen Studien wieder aufnehmen? Auch dazu gehörte Geld, und ich war den Wissenschaften seit den letzten zwei Jahren fast ganz entfremdet, meine volle Kraft und Zeit hatte der Musik gehört. Da, als ich verzweifelt nach einem Ausweg suchte, lernte ich meinen – meinen – lernte ich Willibald Hartmann kennen.“

Jetzt belebte sich der stille Zuhörer an Gabrielens Seite plötzlich – dieser Name rüttelte ihn aus seiner Versunkenheit auf.

„Haben Sie ihn geliebt?“ fragte er in fast rauhem Ton.

Die junge Frau antwortete zuerst nicht. Sie schien in ihrem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_103.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)