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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

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als seine Frau zu keiner eidlichen Aussage über ihn gezwungen werden, er wird sich schon herauslügen – und wenn nicht – sie hat ihn oft genug gewarnt – sie empfand kein Mitleid, keinen Schmerz darüber.

Eines beunruhigte sie doch – warum gingen sie den andern Tag wieder und zu zweit hinaus? Und ihre Heimkehr! – Der heimliche Aufstieg auf der Leiter, das Schreckensantlitz des Anderl!

Wenn man sie auch um die Anwesenheit des Anderl an diesem zweiten Abend fragen würde? Da stieg schon ein Zweifel in ihr auf, ob sie die volle Wahrheit sagen wolle.

Auch Marei würde befragt werden. Das Mädchen hatte nur den Vater am Fenster, nicht aber Anderl gesehen und in einem ängstlichen Vorgefühl hatte sie ihm gegenüber den Knecht nicht erwähnt.

Der erste Gang des Gerichtes war in den Mentnerhof. – Loni wurde zuerst vernommen. – Sie trat mit einer Ruhe und Fassung vor den Beamten, welche man ebensowohl der Gleichgültigkeit gegen das Schicksal des Verdächtigen als dem Vertrauen auf seine Unschuld zuschreiben konnte.

Der Untersuchungsrichter nahm ihre Aussage nur in Bezug auf den Knecht entgegen, auf seine Anwesenheit an jenem Abend, an welchem der verhängnisvolle Schuß gefallen, so sehr hatte sich in dem Beamten bereits die Idee festgesetzt, daß an diesem Abend der Mord vollbracht wurde.

Sie atmete erleichtert auf und beteuerte mit einem Nachdruck, einer leidenschaftlichen Erregung die Anwesenheit des Knechtes an diesem Abend, die einem Unbefangenen hätte auffallen müssen. Ueber ihren Mann vernommen, erklärte sie, nichts Bestimmtes darüber zu wissen, ob er zu Hause war oder nicht – sie schlafe getrennt von ihm mit ihrer Tochter und sei früh zur Ruhe gegangen.

Anderl trat nicht so zuversichtlich auf, als man seinem durch die Bäuerin erwiesenen Alibi nach vermuten mußte. Betreffs des Bauern gefragt, erklärte er, den ganzen fraglichen Abend auf seiner Kammer zugebracht zu haben, ohne zu wissen, wer im Hause war.

„Aber daß die Bäuerin da war, wußten Sie doch,“ sagte der Beamte, „da dieselbe Sie gesehen hat. Wo haben Sie sich gesehen?“

Da stockte der Anderl.

„Auf meiner Kammer,“ sagte er nach wiederholter Frage.

„Was that denn die Bäueriu dort?“

Anderl ward verlegen

„G’fragt hat’s mi um was.“

„Ob Sie wohl wissen, wo der Bauer ist, vielleicht?“

Das unverhohlene Erstaunen auf dem Antlitz des Knechtes ließ ferner dem Beamten keinen Zweifel an der Richtigkeit seiner Annahme – die verworrene Ausrede Anderls bestärkte ihn nur darin.

Neben dem Untersuchungsrichter saß Willy, der Sohn des Ermordeten. Seine letzte Hoffnung, daß nicht der Mentner, sondern Anderl der Mörder sei, war dahin – und noch kam das Aergste.

Die nächste Vorgeladene war Marei.

Das Mädchen trat schluchzend ein, Willy wagte nicht, sie anzusehen – auch sie gab an, daß der Anderl an diesem Abend im Hofe war, sie hörte ihn noch arbeiten oben aus der Tenne, ehe sie einschlief.

„Und der Vater? Sie wissen wohl nicht, wo er war am Sechsten abends?“

Marei blickte, wie Hilfe suchend, nach dem Forstgehilfen. Dieser sah sie streng an, ohne Mitleid, ohne Liebe. Du weißt alles, lag in dem Blick, lüge wenigstens nicht!

Sie gedachte des unglücklichen Vaters, den ihre Aussage vernichten mußte. So weit sie mit ihrem kindlichen ungereiften Verstande beurteilen konnte, war eine Lüge jetzt keine Sünde, eher Pflicht. Aber dieser durchdringende Blick des Geliebten machte jede Lüge unmöglich.

„Ich habe mich um acht Uhr schon niedergelegt,“ sagte sie schluchzend.

„Und zu dieser Zeit war Ihr Vater zu Hause?“

Noch einmal warf sie einen flehenden Blick auf Willy, doch der hatte kein Erbarmen.

„Er liebt dich nicht mehr, er hat dich aufgegeben,“ sagte sie sich, „aber der Vater, der liebt dich, was er auch verbrochen haben mag!“

Sie zögerte, der Beamte drängte unbarmherzig. Da nickte sie weinend mit dem Kopfe und sank auf die Bank. Der Beamte machte seine Anmerkung, ohne weiter in sie zu dringen. Sie war entlassen.

Der Mentner wurde verhaftet. Trotzig, ohne Widerrede duldete er sein Los.

Der Mentnerhof lag düsterer denn je in der Mitte von Hagenberg im Schatten eines blutigen Verbrechens.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_097.jpg&oldid=- (Version vom 16.7.2023)