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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Masken zu Fuß und zu Roß eine einzigartige Sehenswürdigkeit, zu der Scharen schaulustiger Fremden nach der alten Metropole herbeiströmen.

Seinen Ausgang nimmt der Kölner Rosenmontagszug jedesmal vom Neumarkt, dem größten Platz der Stadt, aus. Schon lange ehe sich der Zug zeigt, sind in den von ihm zu passierenden Straßen Trottoirs und Fenster bis auf den letzten Platz von Schaulustigen besetzt, und welcher Jubel bricht los, wenn sich von fern die prächtig gekleideten Vorreiter, die berittenen Zugordner und Musikkorps zeigen – wenn es heißt: „Der Zug kommt!“ Vor dem „eigentlichen“ Zug her aber schiebt sich jauchzend, singend, musizierend, unzählige Scherze untereinander und mit den gleichgestimmten Zuschauern austauschend, eine Schar von „freiwilligen“ Teilnehmern, die oft mit wundersamem Schauspielergeschick die verschiedenen Rollen durchführen, in deren Maske sie sich gekleidet haben. Wie ernst und würdig blickt z. B. auf unserem Bilde S. 96 und 97 rechts zwischen dem galanten Harlekin und der feschen „Fee“ das Gesicht „Emin Paschas“ durch; mit welch elektrisierender, urwüchsiger Jubellust schwingt vorn der „kölnische Bauer“ den Taktstock vor seiner mit Harmonika, dicker Trommel etc. ausgestatteten „Musikbande!“ – Unser von dem kölnischen Maler Christian Heyden herrührendes Bild ist übrigens nebenbei eine ganze geschichtliche Bildergalerie, denn es sind die namhaftesten Leiter, Dichter und Redner des Kölner Karnevals aus den letzten Jahrzehnten, die hier, vom Künstler getreulich porträtiert, „den Zug führen“, wie sie in Wirklichkeit das einzigartige Volksfest ihrer Vaterstadt führten und es zum Teil noch thun. Ist dieses Bild doch auch auf Bestellung der „Großen Karnevalsgesellschaft“ gemalt und nebst anderen zur Ausschmückung ihres Sitzungssaales bestimmt worden, als vorm Jahre es galt, der Feier ihres fünfzigjährigen Bestehens einen bleibenden Ausdruck zu verleihen.

Ein hervorragender und ständiger Anteil der Kunst ist es, welcher dem auf unserem anderen Bilde (S. 93) vornehmlich dargestellten karnevalistischen Treiben Düsseldorfs sein Gepräge giebt. Hier, in der reichen, lebenslustigen rheinischen Malerstadt, macht die Anwesenheit so vieler Künstler auch bei dieser Gelegenheit ihren anregenden Einfluß geltend. Am Karnevals-Samstag veranstaltet der Düsseldorfer Künstlerverein, der „Malkasten“, in den riesigen Räumen der „Tonhalle“ seine große Redoute mit Festspiel. Tausende von Masken vereinigen sich da, viele von ihnen sind aus entfernten Städten herbeigeeilt. Für alle, auch für die Zuschauer, ist bezüglich ihres Kostüms die „Idee“ maßgebend, welche dem Festspiel zu Grunde liegt. Vergangenes Jahr war es „ein Empfang Kaiser Maximilians in Nürnberg“, der diese weiten Räume in ein wundervoll getreues Abbild der mittelalterlichen Reichsstadt verwandelte, belebt von unzähligen Scharen in den „stilvollsten“, zum guten Teil historisch echten Kostümen. Es ist unbeschreiblich, was sich da an Humor und Geist, an künstlerischer Pracht – und vor allem an weiblicher Anmut zusammenfindet. Spät – sehr spät in der Nacht geht es dann in jauchzendem Zuge nach dem „Malkasten“, wo sich die Lustbarkeit fortsetzt, – buchstäblich Tag und Nacht hindurch; es giebt manchen unter dem unverwüstlichen Völkchen, der überhaupt vor Aschermittwoch nicht ins Bett kommt. Aber auch in dem allgemeinen Karnevalstreiben außerhalb der Künstlerkreise macht sich in Düsseldorf überall der Einfluß und die Mitwirkung der „Möler“ bemerkbar. Betreten wir die Räume eines der vornehmen Restaurants, etwa des „Roten Hauses“, dessen prunkvolles Renaissance-Treppenhaus wir auf unserem Bilde oben rechts sehen: welch ein Gewimmel künstlerisch durchgeführter Charaktermasken! Da schreitet ein römischer Krieger ernst, „mit Blicken eines Niebesiegten“, neben seiner Kaiserin her, unbekümmert um die Scherze, die aus der Gruppe vor ihm an sein Ohr klingen, unbekümmert auch um die düster männliche Kraft seines Kameraden von der persischen Leibwache. Nicht jeder begnügt sich, in einer Maske, die ihm gut zu Gesicht steht und bequem sitzt, für sein eigenes Behagen in fideler Gesellschaft zu sorgen. Gar mancher zwängt zum allgemeinen Ergötzen seine Gestalt in eine Tracht, die nur unter Beschwernis zu tragen ist. Links unten auf unserem Bild sehen wir gar einen, der sich als Eisbär durch das Menschengewühl hintrollt, geführt und gemeistert von seinem ebenso tadellos echten Bärenführer ... bis sie dann wahrscheinlich über kurz an irgend einem Büffett Halt machen, um sich zu „stärken“, – denn Durst hat der Rheinländer, auch wenn er ein Eisbär geworden ist.

Und wie in den Wirtssälen, so auf der Straße. Das lärmt und singt, das tollt und springt daher, einzeln oder in langer „bunter Reihe“ Arm in Arm, daß einem armen Hunde, der sich an solchem Narrentage auf die Straße wagt, freilich angst und bange werden kann. Warum trägt er auch kein Maskenzeichen? Sind doch auch wirkliche kostümierte Vierfüßler in diesen Tagen nichts Seltenes auf den Straßen von Düsseldorf und Köln und Mainz.

Aber alle Lust hat ein Ende. Grau und trübe bricht der Aschermittwoch heran, gehüllt in eine Atmosphäre von Katzenjammer. Noch wird hier und da an diesem Tage das Begräbnis des Prinzen Karneval gefeiert - vordem ein allgemeiner Brauch, an welchem sich 1812 in Köln die gesamte damals in der Stadt einquartierte Gardekavallerie Napoleons beteiligte, mit Trauerflor und Grabmusik - ein schauerlich wahres Vorzeichen dessen, was ihrer in Rußland harrte ...

Seufzend blickt so mancher wieder weise gewordene „Narr“ am Aschermittwoch in seinen gähnend leeren Geldbeutel. Mag es ihm ein Trost sein, daß ein Teil des entschwundenen Mammons auch ärmeren Mitbrüdern zugefallen ist. Denn ganz besonders viel und reichlich wird bei all den tollen Veranstaltungen der Armen gedacht. Und das ist gewiß nicht die schlechteste Seite an diesem so wunderlich schönen rheinischen Volksfeste, dem der große Goethe selber ein so hübsches und wahres Motto gestiftet hat:

„Löblich wird ein tolles Streben,
Wenn es kurz ist und mit Sinn!“


Loni.

Erzählung von Anton von Perfall.

     (1. Fortsetzung.)


Der Abend kam, die Nacht. Der Mentner und sein Knecht blieben aus, vielleicht über Nacht auf der Alm. Sie hatten gestern noch lange zusammen gesessen, und der Anderl blinzelte ihm so eigentümlich zu - mit dem Schuß mußte es doch seine eigene Bewandtnis haben. Loni hielt es nicht mehr aus allein, jetzt suchte sie selbst Marei auf.

Das Mädchen saß aus ihrem Bett in der mondhellen Kammer und weinte. Willy hatte ihr erzählt, daß gestern abend wieder ein verdächtiger Schuß gefallen sei im Revier gegen den Wolfsgruben zu. Sie las ihm die Frage aus den Augen, ob ihr Vater zu Hause gewesen sei. Nur aus Liebe zu ihr schwieg er, aber sie fühlte, wie wehe ihm ums Herze war, wie die Kluft zwischen ihnen immer größer wurde, und wenn der Willy mit dem Vater gar einmal draußen zusammenträfe - der Gedanke quälte sie entsetzlich. -

Sie fuhr erschreckt auf, als die Mutter eintrat.

„Ist der Vater kommen?“

„Wird wohl auf der Alm bleiben heut’ nacht“, erwiderte Loni, ihre Angst verbergend.

„Das glaubst’ ja selber net! Der Anderl hat ihn wieder verführt. Hast Du gar kein’ Angst, daß was passier’n könnt’?“

„Was kann i mach’n? Probier’s Du beim Vater, mein Reden is längst umsonst!“

„Der Anderl is an allem schuld, so lang der da is, wird kein’ Ruh’. Was is denn an dem Menschen, daß wir ihn net entbehr’n könn’n, der Flori wär so glückli an sein Platz!“

Loni war peinlich betroffen von diesem Vorschlag.

„A lahmer Knecht, das geht do net auf ’n Mentnerhof,“ sagte sie dann, „übrigens hab’ i ’hn net eing’stellt, den Anderl, und halt ihn aa net.“

Ein langes banges Schweigen trat ein. Es schlug zehn Uhr.

„I’ hab’ den Willy heut’ gesproch’n,“ begann das Marei plötzlich mit von Thränen erstickter Stimme. „Er weiß schon längst, wer gestern g’schoss’n hat auf ’n Wolfsschlag.“

„Weißt es Du? - Also red’ net,“ entgegnete verdrossen Loni.

„I weiß nur soviel, daß i steinunglückli werd’, wenn i mein Buab’n verlier’, und i muaß ihn verlier’n, wenn der Vater ’s Wildern net aufgiebt.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_095.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)