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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Zauberkräften ihre aufgespeicherten Ströme in die Leitungen und schaffen Licht.

So unscheinbar äußerlich eine Accumulatorenanstalt auch ausschaut, ein merkwürdiges Ding ist sie doch bei näherer Betrachtung. Rauscht und klappert es auf den mit Dynamomaschinen ausgestatteten Centralen wie in der Werkstatt Vulkans, herrscht überall Leben, so stellt eine Accumulatorenstation dagegen ein Bild vollkommener Ruhe dar. In langen Reihen sind hier die mit Säuren und Platten gefüllten Gefäße aufgestellt. In einigen Elementen kocht es, aber auch nur ruhig und gesetzt. Die Zelle ist geladen, in der die Gasblasen aufsteigen. Sonst aber hört man nur den Schlag irgend eines Hebels, der sich selbständig einstellt. Zur Wartung des sechsstöckigen Hauses dient ein Beamter. Doch auch er ist für den Betrieb des Ganzen nicht notwendig, denn alles wirkt hier automatisch. Das Genie des Technikers hat jedes Ereignis voraus berechnet und dafür gesorgt, daß es selbstthätig erfüllt wird. Und dennoch, was für Kräfte schlummern hier! Die erzeugte elektrische Energie ist auf der Station im Tiergartenviertel von Berlin imstande, allein 4800 gleichzeitig brennende Lampen, deren jede einer Lichtstärke von 16 Kerzen entspricht, mit Strom zu beschicken. Man bezeichnet die technische Wissenschaft zuweilen als kalt und nüchtern; liegt aber nicht ein eigentümlich geheimnisvoller Zauber über der Accumulatorenstation mit ihren still wirkenden und doch so mächtigen Kraftäußerungen? –

Zu den Unglücksfällen, welche die unentbehrlichen neuen Kulturmittel leider auch im Gefolge haben, gehören neuerdings vielfach die Zugbrände. Sie werden zumeist durch die bisher verwendeten Beleuchtungsquellen veranlaßt oder doch vermehrt. Bekanntlich verwendet man auf fast allen Bahnstrecken augenblicklich noch die Fettgaslampe. Neben ihren gefahrbringenden Eigenschaften entspricht diese Methode auch nicht mehr den Anforderungen, die der moderne Mensch an die Beleuchtung stellt; ist es doch fast unmöglich, längere Zeit bei der jetzigen Beleuchtung ohne starke Anstrengung der Augen zu lesen. Schon oft ist daher wiederholt der Wunsch nach elektrischer Zugbeleuchtung ausgesprochen worden. Mit unseren neuen vortrefflichen Accumulatoren ist man in der That fähig, diesem Wunsche leicht gerecht zu werden, und auf mehreren Bahnstrecken haben sich die Versuche vortrefflich bewährt. Es bedient sich beispielsweise seit etwa einem Jahre die Kaiser Ferdinand-Nordbahn in Oesterreich der Accumulatoren zur elektrischen Beleuchtung, und seit fünf Jahren erfreut sich die Strecke Savona-Navarra in Italien elektrisch erleuchteter Züge. Auch im kleinen Dänemark wird seit zwei Jahren in acht Schnellzügen das elektrische Licht angewendet. Die Einrichtung dürfte aus dem Grunde allgemein leicht einführbar sein, daß die Kosten nicht höher sind als die der alten Fettgasbeleuchtung. Nach den kürzlich veröffentlichten Betriebsergebnissen der Dortmund–Gronau–Enscheder Bahnverwaltung in den Wintermonaten 1893 bis 1894 hat die elektrische Beleuchtung gegen die Fettgasbeleuchtung sogar eine Ersparnis von 34 Prozent ergeben. Die Reichspostverwaltung entschloß sich daher, ihren Dienstwagen das elektrische Licht zu geben. Die Passagierwagen scheinen vorläufig noch in der Düsternis verharren zu sollen.

Auch die Bergingenieure sind durch die Gefahr, welche die älteren Beleuchtungsarten in sich bergen, dem elektrischen Lichte zugeführt worden. Bekanntlich tritt die Zündung der schlagenden Wetter zumeist dadurch ein, daß der Bergmann den schützenden Mantel seiner Lampe – der sogenannten Davylampe – löst und dadurch die gefährlichen Gase mit der Flamme in Berührung bringt. In englischen und amerikanischen Gruben hat man die unterirdischen Räume mit Glühlicht versehen. Solche Anlagen sind aber immerhin nicht wohlfeil und übersteigen für viele kleine Gruben in Deutschland die Grenzen, welche einem wirtschaftlichen Betrieb gezogen sind. Auch hier hat der Accumulator sich als Retter in der Not eingestellt. Der Elektrotechniker Vorster in Jena konstruierte vor kurzem Grubenlampen, die hauptsächlich aus einem kleinen leichten Accumulator von praktischer Form bestehen. In seiner Höhlung befindet sich eine Glühlampe, die der Accumulator speist; wird durch einen Zufall die Glasbirne zerschmettert, dann erlischt, wie bekannt, im Augenblick die Lampe, und die Gefahr einer Zündung ist somit ausgeschlossen.

Noch auf einem anderen Gebiete zeigt sich der Accumulator als ein Hilfsmittel in Unglücksfällen. Ein jedes größere Schiff führt bekanntlich sogenannte Rettungsbojen mit sich, um „dem Mann über Bord“ die Möglichkeit zu geben, sicher und schnell dem nassen Elemente zu entfliehen. In der Regel besteht eine solche Vorrichtung aus einem größeren Balle, der an einer Leine befestigt und fähig ist, einen Mann zu tragen. In dunklen Nächten waren diese Rettungsapparate, wie begreiflich, nur wenig verwendbar. Man versieht jetzt die Rettungsbojen mit einer Glühlampe größter Form, nebst einem Accumulator, und hat die Schaltung so vollzogen, daß die Glühlampe in dem Augenblick, wo die Boje den Wasserspiegel berührt, ihre Thätigkeit von selbst beginnt und mit ihren Strahlen weithin das Meer erhellt.

Wo elektrische Ströme zur Verfügung stehen, da sind auch Kräfte aller Art zu erwecken. Der stromerzeugende Accumulator kann somit nicht allein Licht, sondern auch mechanische Arbeit veranlassen. Er ist denn auch vielfach zur Bewegung von Maschinen der verschiedensten Art verwendet worden. – Eine Dynamomaschine besteht hauptsächlich aus einer Anzahl großer Elektromagnete, zwischen denen sich ein beweglicher Teil, der sogenannte Anker, dreht. Schickt man nun elektrische Ströme – wie sie beispielsweise unser Accumulator entwickelt – in die Elektromagnete, dann rotiert der Anker und ist imstande, Räder zu drehen und Maschinen in Bewegung zu setzen. Eine Dynamomaschine, die dieses vermag, nennt man einen Motor.

Von den durch Motoren bewirkten Betriebsanstalten stehen augenblicklich die elektrischen Eisenbahnen im Vordergrunde des Interesses. Zum größten Teil – wie man es in Halle, Bremen, Hamburg und an vielen anderen Orten beobachten kann – wird der Motor, der sich immer unterhalb eines elektrisch betriebenen Wagens vorfindet, dadurch bewegt, daß man durch oberirdische oder unterirdische Drähte ihm Strom von irgend einer elektrischen Centrale aus zuleitet. Diese modernen Transportmittel haben sich vortrefflich bewährt. Sie können aber deshalb nicht als technisch vollendet betrachtet werden, weil die stromführenden Leitungsdrähte das architektonische Bild der Straße stören und überhaupt dem ganzen System etwas Schwerfälliges verleihen. Das war u. a. der Grund, weshalb man in der Vaterstadt der elektrischen Bahnen, in Berlin selbst, sich nicht zur Einführung derselben entschließen konnte, so dringend auch dafür der Bedarf des Verkehres spricht. Seit längerer Zeit hat man sich nun mit dem Plane getragen, die elektrischen Bahnen mit Accumulatoren zu betreiben. Es ist dabei nur erforderlich, eine entsprechende Anzahl unserer Kraftkästen unter die Sitzbänke der Wagen einzustellen und sie mit dem Bewegungsmechanismus zu verbinden. Dann rollt der Wagen als ein selbständiges Ganzes dahin, ohne Draht und ohne Rückleitung! Bis vor kurzem waren die Accumulatoren zu schwer und auch in ihrem ganzen Gefüge nicht genügend technisch durchgebildet, um diesen Zwecken mit Vorteil dienen zu können. Die Accumulatorentechniker sind aber nunmehr zu Formen gelangt, denen die Uebelstände nicht mehr anhaften, und damit ist das Kapitel „elektrische Bahnen“ in ein neues Stadium getreten. Auf verschiedene Weise hat man versucht, bewegliche Accumulatoren zu schaffen. Man ersetzte z. B. die flüssige Masse durch einen gelatinösen Körper, der aus Wasserglas, Schwefelsäure und Asbest besteht. Vortreffliche Erfahrungen mit Accumulatoren für Bahnen erzielte man in New York. Dort wurde von der Stadtverwaltung die oberirdische Stromzuführung verboten, und die Bahngesellschaften mußten sich notgedrungen der Accumulatoren bedienen. Der Zwang hat, wie so oft, auch hier zu vortrefflichen Neuerungen geführt. Die amerikanischen Accumulatoren bestehen aus verzinktem Eisenblech und Platten aus Kupferdrähten, die gemeinsam in einer Alkalilösung stehen. Sie sind hinreichend leicht und leistungsfähig und entsprechen durchaus den Anfordernden der Bahntechniker.

Nunmehr regt’s sich allüberall in den Kreisen der Elektriker, und ein heftiger Kampf ist entbrannt zwischen den Vertretern der alten Methoden der oberirdischen Stromzuführung und den Verehrern der Accumulatoren. Ein Kampf, aus dem vermutlich die letzteren als Sieger hervorgehen werden. Eine elektrische Bahn in großem Maßstabe, die ihren Antrieb durch Accumulatoren empfängt, wurde vor einiger Zeit in Paris eingerichtet. Sie geht von Paris nach St. Denis. Ihre Wagen fassen, wie die größten Pferdebahnfahrzeuge, 52 Personen. Sie bewegen sich innerhalb der Stadt mit 12 Kilometern und außerhalb der Stadtgrenzen mit 16 Kilometern Geschwindigkeit in der Stunde. Außerhalb der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_091.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)