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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Loni.

Erzählung von Anton von Perfall.


Das Dorf bestand nur aus neun Höfen. Mit einer einzigen Ausnahme war einer schmucker als der andere, alle frisch aufgetakelt wie ein Seeschiff, wenn es sich dem heimatlichen Hafen nach langer Fahrt nähert. Da wird auch die Farbe nicht gespart, welche die Schäden der Zeit und der Stürme verdeckt und neue Jugend verleiht.

Die Hagenberger wollten einmal nicht, daß ihre Häuser hinter ihren saftig grünen blumigen Wiesen zurückständen, welche diese rings in weitem Kreise umgaben und sich hindehnten bis an die lärchenbestandenen Waldränder.

Sobald im Frühjahr der erste grüne Hauch über die Flur sich legte, die Schlüsselblumen die ersten gelben Fäden schlugen in den sich belebenden Wiesenteppich, da begann auf den Gehöften ein allgemeines Färbeln und Pinseln. Auf den grünen Läden entstanden große rote Blumen, die Christusbilder, Madonnen und Heiligen an den Wänden erhielten ein frisches Aussehen, und das wurde alles von den Leuten selbst besorgt – ein Maler von Profession hätte sich in der Gegend nicht halten können. Es war nur zu verwundern, daß bei diesem ausgesprochenen künstlerischen Sinn der Hagenberger noch kein großer Meister aus ihrer Mitte erstanden war. Dazu die blumenbesetzten, feingegliederten Balkone, welche der Stolz der Frauen waren; ja man konnte kein liebenswürdigeres, anheimelnderes Bild sehen als das Dorf Hagenberg – höchstens hätte ein Künstlerauge an ihm auszusetzen gehabt, daß ihm in Bezug auf Farbe der Edelrost des Alters, in Bezug auf die Form die malerische Willkür des Verfalles fehle.

Um so auffallender und das Gesamtbild in seinem einheitlichen Charakter störend wirkte ein Anwesen, das noch dazu das umfangreichste war und mitten an der Hauptstraße lag, welche durch das Dorf führte.

Hier waren die Bedingungen des eben erwähnten malerischen Reizes scheinbar zur Genüge gegeben. Der Verputz war abgebröckelt und ließ überall das morsche Fachwerk durchblicken, die Malerei um die niedrigen Fenster mit den halbzerborstenen Läden war verwaschen, in den Ritzen der Holzverschalung wucherte das Moos. Der Düngerhaufen, dieses Kennzeichen der Gesamthaltung eines Bauerngutes, hatte die Stallmauerung angefressen und ergoß trübe Rinnsale über den Hof. Doch diesem Verfall fehlte der Charakter gesunden Alters, er trug die Anzeichen verfrühter Verkommenheit, um so mehr als der sich lang dehnende Stall und der Futterraum darüber es ausschloß, daß Armut der Grund desselben war.

Der Mentnerhof war ein Schmutzfleck in dem lieblichen Bild, der Verdruß der übrigen Hagenberger. Sie hätten ihn gern auf eigene Kosten frisch aufgeputzt, es zuckte ihnen ordentlich in den Fingern jedes Frühjahr, wenn der häßliche Klecks wieder auftauchte aus der sauberen Schneedecke. Aber da wären sie schön angekommen!

Der Mentner freute sich über alles, was andere Menschen ärgerte, man mußte zufrieden sein, wenn man von ihm nicht persönlich Schaden erlitt. Die Hagenberger Gemeindejagd war seit Jahren in den Händen des Königs, welcher für diese brave Gemeinde eine besondere väterliche Vorliebe bezeigte. Kaum war der Mentner in der Gemeinde stimmberechtigt, so sprach er, als die Pachtfrist abgelaufen war, energisch dagegen, daß der Vertrag erneuert werde, und trieb bei der Versteigerung, die eigentlich nur der Form wegen abgehalten wurde, den Jagdpacht unsinnig hinauf, sich selbst als Anwärter ausspielend. Als diese Bemühungen fruchtlos blieben verlegte er sich, ohne jede persönliche Leidenschaft, aus reinem Trotz gegen das königliche Jagdpersonal, auf das Wildern. Einen Knecht, der eben eine längere Gefängnishaft als wiederholt rückfälliger Wilddieb abgebüßt hatte, nahm er sofort in Dienst, wogegen er seinen allgemein als tüchtig bekannten Oberknecht ohne jeden triftigen Grund entließ.

Eine bildsaubere, rotzöpfige Dirne kam vor Jahren mit ihrer ganzen Habe im Schnupftüchel aus dem Tirolischen nach Hagenberg, um Dienst zu suchen; Mentner hatte ihr grob die Thür gewiesen. Aus Mitleid nahmen die Nachbarn sie auf, dann wanderte sie von Hof zu Hof, nirgends that sie lange gut. Auf den Tanzböden verdrehte sie den Burschen die Köpfe, hielt es bald mit dem einen, bald mit dem andern, veranlaßte Streit und Verschwendung, sprengte die treusten Liebschaften, kurz war der reine Fluch für Hagenberg, bis endlich alles sich einigte, ihr kein Unterkommen mehr zu geben. Da holte sie der Mentner, der damals noch ledig war, zu sich, und als zuletzt noch das Landgericht sich darein mischte und der Dirne den Lauspaß geben wollte, da that er das Ungeheuerlichste – er heiratete sie, machte sie zur Hagenberger Bäuerin.

Von da an galt alles für möglich auf dem Mentnerhof, er selbst als Freistätte für alles Gesindel der Umgegend. Er wurde gemieden wie eine Krankheit, und man empfand es als eine Wohlthat, daß wenigstens der Mentner selbst sich zurückgezogen hielt und immer menschenscheuer wurde. Und die rote Loni teilte diese Zurückgezogenheit. Man traf sie nie jenseit der Grenze ihres Anwesens, außer am Sonntage und da nur in der Frühmesse, nie im Hochamt. Sie hatte ganz ihres Mannes Wesen angenommen, verschlossen, trotzig, feindselig. Verschwunden war das herausfordernde gefährliche Lächeln, das verwegene Augenspiel, aber sündhaft schön war sie geworden, daß ein jeder sie anschauen mußte.

Der Mentner selbst behandelte sie, so weit man es beobachten konnte, wie eine Magd, und sie fürchtete den herkulisch gebauten Mann mit den grauen durchdringenden Augen, die sich nie ganz öffneten. Nun, das war auch ganz in der Ordnung, da er sie ja doch vom Schub herunter zur Bäuerin gemacht hatte!

Im übrigen blieb den Nachbarn unbekannt, was im Hofe vorging, obwohl er mitten im Dorfe lag. Selten öffnete sich die Thüre und dann nur leise, vorsichtig, als sollte es niemand hören.

Anderl, der Knecht, paßte in der That sehr gut in dieses Wesen. Der schon von Natur verschlossene unheimliche Geselle, auf dem jetzt der Fluch einer längeren Kerkerhaft lastete, konnte sich nichts Besseres wünschen als diese Abgeschlossenheit.

Man hätte glauben können, die Arbeit des Hofes werde von unsichtbaren Händen gemacht, in eine so unheimliche Stille war er gehüllt. Kein Hofhund, kein Hahn störte sie, selbst das Vieh im Stalle schien sich das Brüllen abzugewöhnen. Oft hatte man das Gefühl, als ob dort alles gestorben wäre, und fühlte sich ordentlich erleichtert, wenn man abends Licht aufblitzen sah, war’s auch nur einen Augenblick.

Kein Wunder, daß alle möglichen Gerüchte gingen, daß alles Ueble, was über das Dorf kam, gleichsam von diesem finsteren Hause auszugehen schien.

Da, eines Morgens, öffnete sich seine Thüre zum erstenmal seit langer Zeit wieder geräuschvoll und heraus trat in vollem Sonntagsstaat, den man an ihm seit Jahren nicht gesehen hatte, der Mentner, und zwischen ihm und dem schwarzen Anderl die Loni selbst, in schwarzer Seide auf und nieder, in ihrem Arm einen weißen, mit reichen Spitzen bedeckten Pack, über dessen Inhält kein Zweifel sein konnte, obwohl niemand nur eine leise Ahnung hatte, daß sich dergleichen ereignet hatte im Mentnerhofe, mitten im Dorfe.

Die Kunde davon verbreitete sich im Nu. Alle drei auf einmal sehen, das wird nicht leicht wieder vorkommen – alles lief aus dem Hause und folgte zur Kirche. Das Kind wurde auf den Namen „Maria“ getauft. „Gott sei Dank, ein Mädl! Vielleicht bleibt’s dabei und der Mentnerhof kommt einmal in andere Hände!“ war der gemeinschaftliche Gedanke der Hagenberger.

Der Mentner sah jetzt gar nicht trotzig drein und Loni blickte zum erstenmal wieder den Leuten frei und offen ins Gesicht, fast mit einem flehenden Ausdruck, als ob sie sagen wollte, laßt es der Kleinen nicht entgelten, daß sie so eine Mutter hat.

Gesprochen wurde von den dreien mit niemand, schweigend kehrten sie in den Mentnerhof zurück, dessen Thüre zugeschlagen wurde, als sollte sie sich nie mehr öffnen.

Doch mit der unheimlichen Stille war es vorbei. Es rührte sich etwas im Hause, neues Leben pulsierte darin. Loni erschien zur rechten Zeit im Obstgarten mit der Kleinen, man hörte lachen, schreien, sogar dann und wann ein Lied, der Bauer sagte „Grüß Gott“ und besserte seinen Zaun aus.

Das hatte man dem kleinen Marei zu verdanken. Wenn es so fortging, wurde alles recht, und bis es eine Jungfrau wurde, war der Mentnerhof kein Schmutzfleck mehr für Hagenberg.

So gewann das Kind von vornherein alle Herzen. Als es allmählich heranwuchs, im Garten herumkroch und darüber hinaus, dann wunderte man sich, wie so etwas Liebes da drinnen hatte geboren werden können – „das reine Engerl, und so zuthunlich und patschig“.

Und was das ganze Dorf nicht vermochte, das vermochte das kleine Marei.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_080.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)