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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

die Moundbuilders für ein unbekanntes fremdes Volk zu erklären, das untergegangen ist. Andere haben sie in Zusammenhang gebracht mit den alten Kulturvölkern Centralamerikas, besonders mit den halb sagenhaften Tolteken, die als Begründer der Kultur einstmals in Mexiko ein mächtiges Reich gegründet haben sollen und denen besonders nachgerühmt wurde, daß sie großartige Baudenkmäler zu errichten verstanden. Man meinte, daß sie vor ihrer Einwanderung nach Mexiko eine Zeit lang in Nordamerika ansässig gewesen seien und die Mounds als primitive Beispiele ihrer damals noch nicht entwickelten Baukunst zurückgelassen hätten. Auch als Vorfahren der Azteken, die später das von Cortes zerstörte mexikanische Reich gründeten, hat man die Moundbuilders bezeichnet.

Neuerdings ist nun, wie schon angedeutet, von vielen amerikanischen Gelehrten die Ansicht verfochten worden, daß die Moundbuilders direkte Vorfahren gewisser Indianerstämme gewesen seien. Man hat darauf hingewiesen, daß zu den Zeiten, als die ersten Europäer in die Gegenden kamen, in denen heute die Mounds angetroffen werden, dort nach den Schilderungen dieser ersten Einwanderer Zustände herrschten, die der Moundkultur entsprechen. Es wohnten dort Indianerwölker, die den Ackerbau trieben und eine gewisse Halbkultur besaßen. Auch davon, daß die Eingeborenen der südlichen Gegenden der Union damals Erdwerke errichteten, finden sich mannigfache Anzeichen. Garcilasso de la Vega, der in seiner Historia de Florida die im Jahre 1540 unternommene Expedition des Kapitän Hernando de Soto in jenen Gegenden beschreibt, erzählt, daß die Indianer auf Florida ihre Wohnstätten auf künstlichen Erdwerken zu errichten pflegten. Viele andere Schilderungen von Entdeckungsreisen und Ansiedelungsversuchen aus jener Zeit enthalten ähnliche Andeutungen, die auf die Errichtung von Erdwerken nach Art der Mounds bezogen werden können. Robert Beverley in seiner History of Virginia, 1705, berichtet, daß die Eingeborenen von Virginien steinerne Pyramiden erbauten, die sie heilig hielten, er erwähnt auch die Sitte, einen Erdhügel zu errichten in einem bestimmten Falle, auf den wir noch heute anzuspielen pflegen, wenn wir von der Beilegung eines Streites sprechen. Wenn nämlich nach Beendigung eines Krieges ein Friedensschluß zu stande kam, so wurde feierlich „die Streitaxt begraben“ und über derselben ein Hügel aus Steinen errichtet. Diese und ähnliche Ueberlieferungen aus der Zeit der ersten europäischen Entdeckungsreisenden und Ansiedler lassen jedenfalls darauf schließen, daß damals die Sitte, Erdwerke zu errichten, bei den Eingeborenen der Golfstaaten noch nicht ganz erloschen war.

Fig. 7. Elefantenpfeife aus
einem Mound.

Fig. 8. Thonpfeife in Gestalt
eines Mastodon.

Ja, nach den Untersuchungen amerikanischer Gelehrten sollen Mounds bei manchen Indianerstämmen noch in neuerer Zeit errichtet worden sein. Cyrus Thomas, ein eifriger Forscher auf dem schwierigen Gebiete der Moundkultur, hat ein reiches Material zusammengestellt, um nachzuweisen, daß die Cherokesen wahrscheinlich Mounderbauer gewesen sind; auch bei anderen Indianerstämmen hat man sich bemüht, Anzeichen zu finden, daß die Sitte, Erdwerke zu errichten, noch in historischer Zeit bei ihnen in Uebung gewesen ist. Ferner berichten Sagen nördlicher Indianerstämme, wie der Delawaren und der Irokesen, von einem großen südlichen Indianervolke, das von einem König regiert wurde, der in der Haupstadt des Landes wohnte. Die Tallegwi wird dieses mächtige Indianervolk des Südens genannt. Diese Tradition hat man auf die Moundbuilders gedeutet und danach angenommen, daß ehemals ein großer Völkerbund verschiedener seßhafter und ackerbautreibender Indianerstämme im Süden der Vereinigten Staaten bestanden habe.

Trotz alledem ist die Frage ihrer Lösung nach wie vor fern und das Dunkel, welches über dem rätselhaften Volke liegt, ist noch keineswegs gelichtet. Die Einwendungen, die man gegen die Annahme eines hohen Alters der Mounds erhoben hat, treffen nicht allgemein zu, und die in einigen Mounds gemachten Funde, die erkennen lassen, daß die betreffenden Erdwerke erst nach der Ankunft der Europäer errichtet sind, können nicht die untrüglichen Beweise hohen Alters bei zahllosen anderen Mounds widerlegen: vor allem ihre Lage auf den älteren Anschwemmungsterrassen der Flüsse und das Wachstum uralter Baumriesen auf manchen von ihnen. Wenn selbst die Jahresringe der Bäume kein völlig untrügliches Zeichen sein sollten, so kann es sich immerhin nur um geringfügige, bei so großen Zeiträumen wenig in Betracht kommende Ungenauigkeiten handeln. Ein Mindestalter bis zu 1000 Jahren müssen wir nach der Schätzung der auf einzelnen Mounds gefällten Bäume als erwiesen ansehen.

Fig. 9. Der sogenannte Elephant Mound in Wisconsin.

Dann weicht aber auch die Kultur der Moundbuilder von der der Indianer zu erheblich ab, als daß die einen direkte Vorfahren der anderen sein könnten, und vieles spricht dafür, daß die Hügelerbauer ein einheitliches Volk waren, nicht ein bloßer Bund einzelner verschiedener Indianerstämme. Alle Funde aus der Moundzeit zeigen uns eine eigenartige charakteristische Kultur, die in vielen Beziehungen weit über der der heutigen Indianer steht. Ein entwicklungsgeschichtlicher Zusammenhang zwischen den Moundbuilders und den Indianerstämmen ist nicht zu ersehen. Offenbar haben wir hier dieselbe Erscheinung, die so oft auf der Erde wiederkehrt, daß eine gewisse Kultur, die jahrhundertelang bestanden hat, endlich zu Grunde geht, und das Volk, das sie geschaffen hat, ausstirbt. Wir brauchen uns die Moundbuilder nicht als fremdes und von weit her gekommenes Volk vorzustellen. Aber wir werden nicht fehl gehen, wenn wir das Ergebnis unserer Erwägungen dahin zusammenfassen: die Hügelerbauer waren ein untergegangenes großes einheitliches Volk amerikanischer Rasse, mit den heutigen Indianern vielleicht verwandt, aber einer fernen Vergangenheit angehörig. Ihre Kultur muß durch viele Jahrhunderte hindurch bestanden haben, wann, ist nicht mehr festzustellen, ihr Untergang aber muß über ein Jahrtausend zurückliegen. Spuren der Sitte, Erdwerke zu errichten, mögen sich lange nach dem Aussterben der Hügelerbauer bei den späteren wilden Indianerstämmen, welche nach ihnen diese Gegenden bewohnten – vielleicht als Besieger der Moundbuilders und Zerstörer ihrer Kultur – erhalten haben. Jedenfalls stehen die mühsam zusammengesuchten Spuren solchen Gebrauchs aus historischer Zeit in keinem Verhältnisse zu der großen Zahl und der Bedeutung der alten Erdwerke, und es ist gewagt, das Volk der Hügelerbauer daraufhin zu Vorfahren der heutigen Indianerstämme zu machen. Der Schluß, den wir demnach ziehen müssen, daß die Vereinigten Staaten schon in grauer Vorzeit von seßhaften und in Halbkultur lebenden Völkern bewohnt waren, wird auch durch anderweitige Beobachtungen bestätigt. Auch außerhalb des Gebiets der Mounds trifft man Spuren alter Ansiedelungen: in den Hochplateaus der Gebirgseinöden von Utah, Arizona, Colorado und Neu-Mexiko im Südwesten der Union, die sog. „Pueblos“, große kasernenartige Städte, aus zahlreichen, wie Bienenzellen an- und übereinandergebauten Wohnräumen bestehend, in denen eine nach Tausenden zählende Bevölkerung gewohnt haben muß. Dann die „Cliff-Houses“ (Klippenhäuser), befestigte Plätze, Wachttürme und Wohnhäuser, an fast unzugänglichen Stellen jäh abstürzender Felsen, zum Teil wie Schwalbennester an die steilen Wände geklebt. Und hier haben wir bestimmte Nachrichten, daß schon die ersten spanischen Eindringlinge diese Wohnstätten verlassen und in Trümmern vorfanden. Für ihr hohes Alter spricht ferner der Umstand, daß sie jetzt in völlig wasserloser Felseneinöde liegen, was früher, als diese Gebiete so reich bevölkert waren, unmöglich der Fall gewesen sein kann. Indessen diese Völker haben nicht die Größe und Bedeutung der Moundbuilders gehabt, sie waren auf ein kleineres Gebiet beschränkt.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_079.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2020)