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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Wer war nun aber dieses rätselhafte Volk, dessen eigenartige Kultur schon vor Ankunft des weißen Mannes untergegangen ist, und dessen Kunstfertigkeiten bei der späteren einheimischen Bevölkerung der Vereinigten Staaten verschollen sind? Welchem Stamme gehörten sie an, welche Sprache redeten sie, wie alt ist ihre Kultur, wie weit zurück liegt ihre Blütezeit? Ueber all diese Fragen herrscht vollständiges Dunkel, und wir sind lediglich auf Vermutungen und Schlüsse angewiesen. Und gerade diese Fragen sind von hohem Interesse, weil sie in Zusammenhang stehen mit dem großen Problem: welches ist der Ursprung der einheimischen Rasse Amerikas, wie ward die Neue Welt bevölkert?

Fig. 4. Gefäß in Form eines
Menschenkopfes.

Erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts lenkte sich die Aufmerksamkeit der Gelehrten in den Vereinigten Staaten auf diese Denkmäler amerikanischen Altertums. Ein lebhafter wissenschaftlicher Streit knüpfte sich an die Frage nach dem Ursprung der Moundbuilders und ihrem Alter. Die großen und reichen wissenschaftlichen Institute der Vereinigten Staaten, wie z. B. die „Smithsonian Institution“ in Washington, haben sich die Erforschung der Mounds eifrig angelegen sein lassen, und in der Union sind bekanntlich für solche wissenschaftliche Zwecke stets reiche Mittel vorhanden. Zwei Meinungen sind es vor allem, die einander gegenüberstehen. Die einen wollen in den Moundbuilders ein fremdes, ausgestorbenes Volk sehen, das in Urzeiten von ferne her, aus anderen Gegenden der Neuen Welt, oder gar aus anderen Erdteilen, eingewandert ist, und legen daher den Erdwerken ein sehr hohes Alter bei. Die anderen leugnen das hohe Alter der Moundkultur und halten die Moundbuilders für die direkten Vorfahren der heutigen Indianer, für einen großen Völkerbund seßhafter und ackerbautreibender Indianerstämme.

Schon die Frage nach dem Alter der Moundbuilderzeit und jener zahllosen seltsamen Erdwerke ist schwierig zu beantworten und hat die widersprechendsten Lösungen gefunden. Auf vielen der Mounds steht dichter Urwald, Bäume von riesigem Umfang, deren Jahresringe auf ein Alter von 800 bis 1000 Jahren schließen ließen. Man wollte ferner die Beobachtung gemacht haben, daß die menschlichen Skelette, die sich in den Mounds vorfanden, vielfach in so verwittertem und bröckligem Zustand waren, daß sie förmlich an der Luft zerfielen, während das bei den Skeletten aus den europäischen Hünengräbern nicht der Fall war. Diese Merkmale sind indessen vielfach bestritten worden, und selbst die Schlüsse, die man aus den Jahresringen alter Bäume, die auf den Mounds gefällt wurden, gezogen hat, sind auf Grund neuerer Forschungen der Botaniker über das Wachstum der Bäume und die Bildung von Jahresringen als nicht stichhaltig angefochten worden.

Fig. 5. Pfeifenkopf, gefunden
in Illinois.

Bei dieser Frage kommen wir nun aber auf eine höchst interessante und merkwürdige Thatsache, die man als Beweis für das ungeheure Alter der Moundkultur angesehen hat. Unter den oben erwähnten Pfeifen in Tiergestalt, welche die Moundbuilders so kunstvoll zu schnitzen verstanden, hat man mehrere gefunden, die anscheinend ein Tier aus der Familie der Elefanten darstellen. Zwei Pfeifen dieser Art sind in Figur 7 und 8. abgebildet. Auch ein Mound von ähnlicher Gestalt in Wisconsin ist zu erwähnen (Fig. 9). Die Länge des Rüssels, den die Tiere in diesen Darstellungen haben, läßt es ausgeschlosseu erscheinen, daß etwa der Tapir oder ein anderes Rüsseltier der amerikanischen Fauna gemeint sein könnte. Der Elefant kommt bekanntlich in Amerika nicht vor. In prähistorischer Zeit aber, und zwar wenigstens bis zur Eiszeit, ist er, wie die zahlreichen fossilen Funde beweisen, in den Vereinigten Staaten außerordentlich verbreitet gewesen, und außer ihm hat auch das Mammut und das Mastodon in den Urwäldern Nordamerikas gehaust. In Ohio und Kentucky sind die Spuren von beiden außerordentlich zahlreich, und der große englische Geologe Charles Lyell meint, angesichts des Umstandes, daß sie sich oft in den jüngsten Schichten der Erdoberfläche befinden, müsse man auf den Gedanken kommen, daß diese Tiere von den Indianern ausgerottet seien. Während nun einige Gelehrte der Meinung waren, daß das Zeitalter der Moundbuilders danach bis in ferne Perioden der Erdgeschichte zurückgehen müsse, in denen noch ausgestorbene Tiere der Urwelt auf der Erde hausten, haben andere Forscher die Ansicht ausgesprochen, daß die Zeit, als der Elefant in Amerika lebte, keineswegs allzuweit zurückliege. Man hat sogar bei den heutigen Indianerstämmen Sagen angetroffen, die sich auf die Existenz und Ausrottung gewaltiger Tierungeheuer in den Urwäldern beziehen, und in denen man eine Erinnerung an den Elefanten oder das Mammut hat sehen wollen. An sich würde ja das schnelle Aussterben dieser Tierfamilie nichts Auffallendes haben, man denke nur, wie schnell in unserer Zeit der Büffel, der ehemals in unabsehbaren Herden die Prairien belebte, bis auf wenige Reste ausgerottet worden ist. Auch die Echtheit der Pfeifen in Elefantengestalt hat man bezweifelt. Es ist darüber viel gestritten worden. Doch sind einige davon auch nach dem Urteil von namhaften deutschen Forschern unbedenklich als echt anzusehen.

Ein Umstand bleibt schließlich noch zu erwähnen, der vor allem das hohe Alter der Mounds beweist. Gewisse Anzeichen lassen erkennen, daß die Erdwerke der Hügelerbauer errichtet wurden zu einer Zeit, als die Oberflächengestaltung in den Flußthälern der Vereinigten Staaten eine andere war als heutzutage. Man hat Spuren von Wasserwirkung an einzelnen Mounds gefunden, die jetzt mehrere Kilometer von den Flüssen entfernt liegen. In den Thälern haben die Flüsse, je nachdem sie im Laufe der Jahrhunderte ihr Bett tiefer in den Boden eingruben, terrassenförmige Abstufungen des Bodens zurückgelassen. Fast stets liegen die Mounds auf den älteren Anschwemmungen der Ströme, während sie auf der jüngsten Terrasse so gut wie gänzlich fehlen. Es läßt sich daher mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß die Flüsse zu jener Zeit einen anderen Lauf hatten als heutzutage, und daß damals die jüngsten Anschwemmungsterrassen derselben noch nicht bestanden.

Fig. 6. Pfeifenkopf
gefunden
in Illinois.

Andere Gelehrte wollen dennoch, wie gesagt, das hohe Alter der Mounds nicht gelten lassen und berufen sich dafür auf einige allerdings auch höchst merkwürdige Funde, die man in Mounds gemacht hat. So wurden in einem Erdhügel in Nordkarolina einige gänzlich verrostete Stücke einer flachen Klinge aus Eisen aufgefunden, also einem Metall, das den Moundbuilders unbekannt war. In einem Mound in Tennessee entdeckte man ferner ein altmodisches Messer mit Horngriff von unzweifelhaft europäischem Ursprung, in einem anderen in Wisconsin einen Feuerstein von der Form, wie man ihn früher an den Schlössern der Gewehre benutzte etc. In Wisconsin kamen aus einem Mound gar einige silberne Kreuze und Armbänder zum Vorschein, eins von den letzteren mit dem eingeprägteu Worte „Montreal“ versehen! Allerdings war dieser letztere Mound nicht mehr unversehrt, sondern ersichtlich schon einmal geöffnet. Andere Mounds aber, in denen derartige Gegenstände gefunden wurden, sollen nach der Versicherung der Gelehrten, welche die Ausgrabungen leiteten, völlig unversehrt gewesen sein. In vielen Fällen sind allerdings solche Erdwerke später von Europäern aus irgend welchen Gründen aufgegraben worden, und dabei mögen dann dergleichen sonderbare Fundstücke hineingeraten sein. Jedenfalls beweisen solche Funde nichts, wenn nicht jeder Zweifel an der Unversehrtheit des betreffenden Mounds ausgeschlossen ist.

Auf Grund so verschiedenartiger Beobachtungen sind erklärlicherweise die widersprechendsten Theorien über den Urspring der Moundbuilders aufgestellt worden. Die abenteuerlichen und gänzlich unwissenschaftlichen Vermutungen, die hier ebenso wie bei anderen rätselhaften Völkern ausgesprochen sind, wollen wir gar nicht erst erwähnen. Einige Forscher haben sich damit begnügt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_078.jpg&oldid=- (Version vom 27.7.2020)