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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

zu Kopf steigen und die glänzenden Verhältnisse, in denen sie groß geworden ist. Lieber Gott, mir kommt das ein bißchen lächerlich vor, ich habe sonst für Gabriele immer eine Vorliebe gehabt und freute mich, ihr mit Rat und That zur Seite stehen zu können, sie ist ja so jung und stellenweise von einer Naivetät, von einer Kindlichkeit der Weltanschauung, die ans Unglaubliche grenzt … Für ihr Aeußeres habe ich mich eigentlich nie so sehr begeistern können, die Gestalt ist mir zu schmächtig, zu wenig imposant“ – die Rednerin sah unwillkürlich in den ihr gegenüberhängenden Spiegel, der ihre üppige Figur in dem prall sitzenden Seidenkleide zurückstrahlte – „und das Gesicht, ich wüßte, bis auf Augen und Zähne, nichts Schönes darin zu finden, es ist meist auch zu blaß. Freilich heute hat es Farbe – ja, was ich sagen wollte, bei den Männern hat Gabriele allerdings wunderbar viel Erfolg, ich konnte es aber nie recht begreifen. Der Geschmack der beiden Geschlechter ist doch grundverschieden – klären Sie mich doch ein wenig auf, bester Doktor! Wie kommt das?“

„Was soll kommen, gnädige Frau?“

„Ach, Sie weichen mir aus, Sie thun, als verständen Sie mich nicht! Aber das soll Ihnen bei mir nichts helfen. Ich bin eine offene Natur, schon als ich noch ein Kind war, sagte meine Mutter: Poldchen, Du bist viel zu ehrlich; wie willst Du mit dieser Geradheit durch die Welt kommen? Also denn geradezu, wie finden Sie sie?“

„Sie meinen Frau Hartmann?“

„Natürlich, wen denn sonst? Sind Sie nicht auch bezaubert?“

„Ich will Ihnen ein Geheimnis anvertrauen, schöne Frau! Ich habe das Glück – oder soll ich es ein Unglück nennen? – von allen Vertreterinnen Ihres Geschlechts bezaubert zu sein, von allen, ohne Ausnahme! Es ist dies ein verhängnisvoller Zug in meiner Natur, aber er ist da, und ich muß Sie bitten, mit ihm zu rechnen!“

Frau Leopoldine sah zu ihm auf – sprach er im Ernst oder hatte er sie zum Besten? In seinen unbeweglichen Mienen war keine Aufklärung darüber zu finden. Sie lachte ein wenig gezwungen.

„Welch ein Original Sie sind, Doktor Röder, wirklich, ein ganzes Original! Wenn man Ihren Worten glauben würde, dann müßte man sich ja entsetzlich vor Ihnen fürchten!“

„Eine süße Aufgabe für mich, diese liebenswürdige Furcht zu entkräften!“ Er sprach sehr leise, um alles wollte er nicht, daß Gabriele irgend etwas von diesen Albernheiten hörte.

„Es mag auch zum Teil daran liegen, daß man Euch Männern interessanter wird, wenn man sich anscheinend gar nicht um Euch bekümmert!“ Frau Leopoldine konnte sich nicht entschließen, das anziehende Thema aufzugeben. „Und wenn das der Fall ist, o, dann hat Gabriele es vortrefflich verstanden, dies auszunutzen. Wenn ich nur an den armen Willibald denke –“

„Wer war der arme Willibald?“

„Das wissen Sie nicht? Das war ja Gabrielens Mann! Ist der verliebt in sie gewesen! Hat er sich nicht, als sie ihn zuerst nicht wollte, benommen, als könnte er das Leben nicht länger ertragen! Und sie immer ganz gleichmäßig, mit einer Seelenruhe, die weit über ihre Jahre ging – ich, die ich sie doch lange kenne, weiß heute noch nicht, ob sie überhaupt irgend welcher Leidenschaft fähig ist, und wenn sie das ist, ob sie eine solche für den armen Willibald hatte! Ich hielt es damals für meine Pflicht, ernsthaft mit ihr zu reden, denn wirklich, ich glaube, Hartmann wäre verrückt geworden, wenn sie ihn nicht erhört hätte – er war eine excentrische Natur. Und trotz alledem bin ich fest überzeugt, sie hätte ihn dennoch nicht genommen, wenn nicht seine große Begabung für …“

„Liebe Leopoldine, bitte, versuchen Sie einmal diese köstlichen Ananaserdbeeren! Mamsellchen und ich, wir sind unsäglich stolz darauf, wir haben sie selbst heute zum Nachtisch gesammelt!“

Es war Gabrielens Stimme, ungewöhnlich lebhaft, und wieder lag in ihren Augen die beredte Mahnung: Schweige! Du hast es mir versprochen, zu schweigen!

Und Frau Leopoldine aß Ananaserdbeeren und schwieg, das heißt, sie sprach von anderen Dingen. Sie erzählte Röder allerlei Begegnungen, die sie mit berühmten Männern gehabt hatte, meistens waren es Künstler oder Journalisten, und wie diese ihr gehuldigt hätten. „Ja, damals war man noch jung und hübsch!“ schloß sie mit einem Seufzer und einem koketten Augenaufschlag, es unentschieden lassend, wann dies „damals“ gewesen war.

„Leopoldine, teures Weib, hast Du unseren edlen Hausherrn bereits etwas von unserm Attentat gesagt?“ klang jetzt der volle Baß des Herrn Schrader mitten in den Redestrom seiner Gattin hinein.

„Ach, richtig, unser Attentat! Dank Dir, Theo! Ja, ja, Herr Doktor, das hilft Ihnen nun alles nichts, weder das Augenbrauenfalten noch das kühle Abwehren in den Zügen – denn das hatten Sie soeben. Ich bin eine ganz gute Beobachterin!“

„Unleugbar, meine Gnädigste! Aber zur Tagesordnung, das Attentat –“

„Sehr geschickt ausgewichen! Also, wir haben ihn gesehen, zuerst durch das Fenster von draußen her, dann, da ich keine Ruhe gab, mußte Gabriele mich hineinführen, um ihn zu probieren – sie that es ungern genug! Ich schließe daraus, daß Sie sehr heikel mit Ihrem schönen Stutzflügel sind, aber was wollen Sie? Musik ist mein Lebenselement, meine einzige Leidenschaft, mein Bestes –“

„O, o, meine gnädige Frau, es bedarf so vieler Worte nicht! Der Blüthner steht jederzeit zu Ihrer Verfügung, benutzen Sie ihn wie Ihr Eigentum!“

„Wie entzückend das ist, wie großmütig!“ Frau Leopoldine schob lebhaft ihren Stuhl zurück und klatschte in die Hände. „Theo, hast Du gehört? Alfred, so gieb doch acht, so freu’ Dich doch! Musik, meine Herrschaften, Musik!“

Das Zeichen zum Aufstehen war gegeben, allgemeines Händeschütteln, rascher Aufbruch zum Salon, kaum daß Röder Zeit behielt, mit Gabriele ein Wort zu wechseln.

„Verzeihen Sie mir, ich weiß nicht, ob Ihnen das alles recht, ob es nach Ihrem Sinn ist, aber –“

„Kein Aber, Frau Gabriele! Bin ich denn ein so schwerfälliger Pedant, daß ich mich in keine veränderte Lage finden kann? Gehen Sie nur, gehen Sie! Ihr Kavalier wartet schon auf Sie! Ich folge nach!“

Sie hätte gern noch mehr zu ihm gesagt, zögernd legte sie ihre Hand auf Konskys dargebotenen Arm.

Frau Leopoldine war den übrigen vorausgeeilt. Sie saß bereits am geöffneten Flügel und spielte, als die andern eintraten.

„Sie lieben doch Musik, Herr Doktor?“ rief sie mit heller Stimme zu dem Hausherrn hinüber.

Er verneigte sich stumm.

Im Salon verbreiteten die hohen Stehlampen ein klares stetiges Licht. Ein Fensterflügel stand offen, ein mildes Nachtlüftchen hob leise die weiße Gardine. Gabriele zog sich lautlos in die Tiefe des großen Raumes zurück, ihre schlanke, helle Gestalt hob sich scharf von der dunkeln Tapete ab. Die roten Rosen auf ihrer Brust fingen an, sich zu entblättern.

„Ihr, die Ihr Triebe des Herzens kennt –“

Frau Leopoldine Schrader hatte eine sehr gutgeschulte Stimme und einen lebendigen Vortrag. Sie war ganz Cherubim, der schelmische Page aus dem „Figaro“, daß dies Schmachten und Kokettieren einer verblühten, vom Wein erhitzten Dame, die in einem hellen Seidenkleide am Klavier sitzt und sich selbst begleitet, nicht gut zu Gesicht steht, dessen war sie sich offenbar nicht bewußt. Ihre helle, in der Höhe bereits etwas scharfe und abgesungene Stimme schleuderte die Töne mit siegesgewisser Sicherheit hervor, die halb zugedrückten Augen blinzelten schalkhaft zu den drei Herren hinüber, der enggeschnürte Oberkörper wiegte sich wohlgefällig hin und her. Auf die Pagenarie folgte das: „Wenn du fein artig bist“ aus dem „Don Juan“, daran reihte sich das reizende „Kommt ein schlanker Bursch’ gegangen“ des Aennchen aus dem „Freischütz“, und so kam Gabe auf Gabe, rasch, überhastet, ohne ein Wort des Lobes oder ein Beifallsklatschen abzuwarten. Frau Leopoldine schwelgte in ihrer eigenen Kunst. Wenn die Zuhörer dies nicht thaten, sondern entweder ihren eigenen Gedanken nachhingen oder leise miteinander plauderten, ohne weiter auf den Gesang zu achten, so war dies schnöder Undank von ihnen, zu bewundern blieb immer die erstaunliche Kehlfertigkeit, sowie das gute musikalische Gedächtnis, welches die Sängerin befähigte, die Begleitung, wenn auch etwas zu lebhaft, so doch fest und sicher durchzuführen.

Nach einer langen langen Weile bemächtigte sich Herr Theobald gewaltsam des Flügels, indem er seine Gattin ohne weiteres beim Arm nahm und vom Sessel emporzog, und gab die beiden Arien des Sarastro aus der „Zauberflöte“ zum besten. Die Fenster klirrten und die Lampen bebten vor der Gewalt seines Basses, die Begleitung ließ viel zu wünschen übrig, und er mußte die Hilfe seiner Frau in Anspruch nehmen. Sie wünschte nicht, daß er noch mehr singe, sie behauptete, das schade ihm nach dem Essen, lieber wolle sie noch mit Alfred ein paar Duette spenden. Alfred ließ sich erst

ein wenig nötigen, ehe er seinen Platz neben Gabriele mit dem am

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_071.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2021)