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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Nein!“ antwortete der Doktor.

„Auch nicht, wer sie sind?“

„Nein! Das heißt, es sind Frau Hartmanns Freunde, das genügt mir – und Dir hoffentlich auch!“

„Ja, dann muß es wohl. Welche Zimmer bestimmen der Herr Doktor?“

„Ich dachte, das Eßzimmer und die beiden mit den roten Möbeln.“

„Dann hab’ ich es richtig getroffen, als ich das Gepäck gleich dorthin tragen ließ. Sie haben nämlich Gepäck mitgebracht, gerad’ als wenn sie genau im voraus gewußt hätten, sie würden hier bleiben. Na, das find’ ich nun aber komisch!“

„Ich nicht! Sorg’ nur für ein gutes Abendessen und schick’ mir Ewert wegen des Weines!“

„Die Dame, die sieht so aus –“

„Ich werde ja gleich erfahren, wie sie aussieht!“

„Und der eine Herr ist noch jung, und der schaut nach unserer jungen Frau, das hab’ ich gleich weg gehabt. Unserer jungen Frau ist er aber egal, die hat kaum hingehört, wenn er zu ihr sprach. Ewert hat Mosel mit Wasser und Zucker in die Veranda gebracht, als sie kamen, ich hatte das bestimmt, weil es so heiß war, es schmeckte ihnen sehr gut, und die Dame –“

„Laß mich jetzt gehen, ich muß endlich meine Gäste begrüßen!“

„O Gott, und ich möcht’ noch fragen und reden ohne End’. Ich will bloß noch sagen, es schien den Dreien hier sehr gut zu gefallen, denn sie besahen sich alles und lobten alles, und der Herr mit der tiefen Stimme sagte ein paarmal: Hier laßt uns Hütten bauen! Und unsere junge Frau, die war dabei verlegen!“

Der Doktor winkte ungeduldig mit der Hand und war mit einem: „Ich verlasse mich ganz auf Dich!“ die Stufen hinunter.

Cornelius mußte fast seinen ganzen Garten durchschreiten, ehe er die Gesuchten fand. Endlich hörte er ein sonores Lachen und plaudernde Stimmen aus dem Dickicht einer reich mit wildem Wein umwachsenen Laube hervor, die an einem entlegenen Ende des Gartens stand. Der Blick des Eintretenden umfaßte sofort die Gruppe, einen etwas beleibten Herrn in mittleren Jahren mit einem kühn getragenen Lockenhaupt und martialischem Schnurrbart, eine verblüht, aber sehr entschlossen aussehende Dame, übertrieben modern gekleidet, einen beweglichen blonden jungen Mann, der soeben sein Monocle blitzgeschwind mittels eines Augenzuckens herunterwarf, und Gabriele, die eine abgerissene Weinranke spielend in der Hand hin- und herdrehte.

Allgemeines Aufstehen, allgemeine Vorstellung. Herr Theobald Schrader und seine Frau Gemahlin hatten eine so wortreiche und pathetische Art, ihr Schicksal zu preisen, das sie gerade nach Buen Retiro, gerade zu ihm, Doktor Cornelius Röder, dem „berühmten Gelehrten und Schriftsteller“, geführt hatte, daß dieser sich nicht sonderlich angenehm berührt fühlte. Er haßte die großen Worte wie die großen Gesten, und beides bekam er hier reichlich zu kosten. Dennoch nickte er Gabriele aufmunternd und freundlich zu, als ein schüchterner Blick von ihr ihn traf, der ihn zu fragen schien, wie ihm die neuen Hausgenossen gefielen. Der Schwager Schraders, Alfred Konsky, verhielt sich ziemlich schweigsam, bis Ewert meldete, es sei serviert.

Das kleine Mahl verlief recht unterhaltend. Nach kurzer Zeit schien jeder Zwang von den Gästen gewichen zu sein, sie fühlten sich ganz zu Hause und bethätigten dies durch höchst gemütliches Wesen.

Herr Theobald Schrader, der eine schöne Baßstimme besaß, sich dessen voll bewußt war und beim Reden die Töne oft mit klangreichem Pathos aus der Tiefe seiner Brust herausholte, während er das R wie auf Rädern rollen ließ, hielt sich, trotz seines majestätischen Aussehens, nicht für zu gut, um eine ganze Reihe älterer und neuerer Witze zum Besten zu geben und mit so dröhnendem Lachen zu begleiten, daß das Speisezimmer davon wiederhallte. Seine Ehehälfte, deren Teint dem Aussehen eines stark zerknitterten welken Blumenblatts glich, plauderte fast beständig und schien sich selbst ausnehmend geistreich zu finden; wenigstens wanderten ihre schelmisch zwinkernden Augen wieder und wieder Beifall fordernd zu dem Antlitz ihres Nachbars, des Hausherrn, und als dieser ihr den Gefallen that, aus Gutmütigkeit ihr ein wenig zu schmeicheln und ein paar ihrer Aussprüche zu loben, da war sie völlig zufriedengestellt und versicherte ihm einmal über das andere, er sei ent–zückend, geradezu ent–zückend, und Gabriele könne sich viel auf einen solchen Freund zugute thun. Sie begönnerte die junge Frau auffallend, nannte sie jetzt „meine Kleine“, dann wieder „meine teure Freundin“, immer aber in einem Ton, der deutlich durchblicken ließ, daß Gabriele ihr viel Dank schuldig sei. Am unauffälligsten benahm sich der Bruder, Herr Alfred Konsky. Er hatte eine ruhige Sprechweise und eine gewisse kurze trockene Art, drollige Dinge zu sagen oder auch an die Adresse seiner Schwester kleine unliebsame Wahrheiten zu richten, die entschieden belustigend wirkte und selbst auf Röder ihre Wirkung nicht verfehlte. Seine Nachbarin Gabriele behandelte der junge Mann mit einer ehrerbietigen Vertraulichkeit, die auf eine sehr lange oder sehr intime Bekanntschaft schließen ließ, Zeichen besonderer Verliebtheit konnte der Gastgeber nicht an ihm wahrnehmen, nur einmal fiel ihm ein etwas wärmerer Blick auf, der aber immer noch nicht die Grenze sehr ergebener Freundschaft überschritt.

Als die Geister des Weins die Gemüter zu beleben begannen, taute auch Gabriele, die bis dahin ziemlich schweigsam gewesen war, mehr auf. Sie spann sich in eine halblaut geführte Unterhaltung mit Konsky ein und lachte ein paarmal über Schraders Witze herzhaft mit. Dem Doktor fiel es ein, daß er sie noch nicht ein einziges Mal so kindlich hatte lachen hören – er war eben ein zu ernsthafter schwerfälliger Gefährte für das junge Geschöpf gewesen, er hatte es nicht verstanden, in ihm die schlummernde Munterkeit zu wecken, dazu mußten andere kommen! Und er hätte das so wohlfeil haben können, denn Witze und Bemerkungen in der Art des Herrn Theobald Schrader standen ihm gleichfalls mit Leichtigkeit zu Gebot; Gabriele war ihm nur für dergleichen zu gut gewesen.

Einigemal fiel es ihm auf, daß sie ihren Gästen einen warnenden Blick zuwarf, als diese, in ihrer Redeweise immer ungezwungener werdend, verschiedene Anspielungen auf die Vergangenheit machten und allerlei belustigende Begebenheiten erzählen wollten, die in ihr früheres Beisammensein fielen. Jedesmal brachen sie kurz ab, sobald sie Gabrielens Mienenspiel bemerkten, ein Mienenspiel, das deutlich genug sagte: „Was habt Ihr mir versprochen? Wißt Ihr nicht mehr, um was ich Euch gebeten habe?“

„Unser liebenswürdiger Wirt!“ rief Herr Schrader mit Stentorstimme, und seine Gattin fiel mit einem hell schmetternden Sopran ein: „Hoch soll er leben, hoch soll er leben, er lebe hoch!“

„Sie beneidenswerter Sterblicher!“ fuhr ihr Gemahl pathetisch fort. „Eine Leuchte der Wissenschaft, ein Förderer und Kenner der schönen Künste, ein Besitzer keineswegs zu unterschätzender irdischer Güter, Herr dieser Perle eines idyllischen Landsitzes, Eigentümer eines feudalen Weinkellers … was, ich frage Sie, was, meine hochverehrten Anwesenden, mangelt einem Mann wie diesem zu seinem vollkommenen Glück?“

„Eine Frau!“ bemerkte Herr Alfred Konsky trocken.

„Ebenso einfach als richtig bemerkt, mein lieber Schwager!“ entgegnete Theobald, als das laute zustimmende Lachen seiner Frau sich gelegt hatte. „Also, um einem Wunsch zu entsprechen, der sich entschieden im Busen eines jeden an unserer kleinen Tafelrunde regt: mein hochverehrter Herr Doktor, auf die Erwählte Ihres Herzens!“

Im Busen des hochverehrten Herrn Doktors regte sich vor allem der Wunsch, seine Gäste möchten bald müde werden und ihre Ruhestätten aufsuchen, anstatt ihn und seine etwaigen Herzenswünsche hier zum Mittelpunkt der Unterhaltung zu machen – allein daran war kein Gedanke. Herr Schrader beugte sich über seine Gattin, tippte Röder vertraulich aufs Knie und fragte in vertraulichem Flüsterton: „Nicht wahr, ich gehe nicht fehl, wenn ich annehme … hm, hm – ein Mann wie Sie – nicht wahr, es gäbe manches reizvolle interessante Erlebnis zu berichten, wenn Sie im Buch Ihrer Vergangenheit blättern wollten?“

„O, bitte, bitte, blättern Sie!“ Frau Schrader faltete die Hände wie ein artiges Kind, das um Bonbons bittet, und machte ein spitzes Mäulchen. „Ich denke es mir zu reizend! Mein Mann hat recht, ein Mann wie Sie – dieser frappante Kopf – nicht wahr, Theo? Was müssen Sie alles erlebt haben! Ich wette, die Damen sind sehr, sehr – liebenswürdig gegen Sie gewesen! O, nicht diese ablehnende Miene! Gabriele, meine Kleine, helfen Sie mir den Doktor bestimmen, daß er uns ein Kapitel aus seinem Lebensroman erzählt!“

„Leopoldine, ich bitte Sie, wie können Sie verlangen –“

„Gabriele, Sie thun gerade, als forderte ich Sie auf, ein

Verbrechen zu begehen! Sehen Sie sie an, bester Herr Doktor,“ fuhr sie leiser fort, „jetzt macht sie ihr unnahbares Gesicht, wie wir es immer nannten, damals, als Gabriele noch mitten unter uns war! Geben Sie zu, daß sie mit dieser Miene entschieden hochmütig aussieht! Sie liebte es immer, sich von Zeit zu Zeit solche Airs zu geben – ihr muß dann wohl der Papa Generalkonsul

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_070.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)