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BLÄTTER UND BLÜTEN.


Heinrich von Sybel. (Zu dem Bildnis S. 37.) Unsere Geschichtschreiber zeichnen sich durch eine seltene Schöpferkraft in hohen Lebensjahren aus. Hochbetagt war Ranke, als er der Nation die wertvolle Gäbe seiner Weltgeschichte spendete, und auch Heinrich von Sybel hat jetzt die Mitte der Siebziger bereits überschritten und in rascher Folge erscheint ein Band seiner „Begründung des Deutschen Reichs durch Wilhelm I.“ nach dem andern, gegenwärtig nach dem sechsten alsbald der siebente. Und dabei wendet sich der Fleiß und die Gelehrsamkeit unserer Forscher jetzt mit Vorliebe der jüngsten Zeit zu. Zwar Gervinus erlahmte bei der Aufgabe, eine Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts zu schreiben; das Jahr 1866 und der Triumph Bismarcks, in dem er nur den preußischen Junker sah, verdarben ihm das Concept. Treitschke stellte sich vom entgegengesetzten Standpunkt dieselbe Aufgabe und bringt sie mit größerer Ausdauer zur Lösung; er ist in seinem neuesten Bande bei dem bedeutungsvollen Jahr 1848 angekommen. Sybel aber hat sich die große neue Geschichtsepoche Deutschlands zum Gegenstande gewählt und behandelt dieselbe mit Benutzung der reichen archivarischen Quellen, die ihm bis vor kurzem im vollsten Umfang zu Gebote standen.

Heinrich von Sybel ist ein Rheinländer, geboren am 2. Dezember 1817 zu Düsseldorf, war er seit 1845 Professor in Marburg, 1850 kurhessischer Abgesandter auf dem Reichstag zu Erfurt. Im Jahre 1856 nach München berufen, entwickelte er hier eine Thätigkeit, welche der deutschen Geschichtswissenschaft in seltener Weise zugute kam und welche geradezu als eine grundlegende bezeichnet werden kann: er gründete die „Historische Zeitschrift“, die sich seither als Mittelpunkt aller Forschungen und Leistungen auf diesem Gebiete behauptet hat, richtete das erste historische Seminar an der Universität ein und war Sekretär der von König Max II. geschaffenen „Historischen Kommission“, welcher die Herausgabe großer geschichtswissenschaftlicher Werke als Aufgabe zufiel. Seine akademische Thätigkeit setzte er dann seit 1861 in Bonn fort; er war auch parlamentarisch thätig, mehrfach Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und auch in den Reichstag des Norddeutschen Bundes ist er gewählt worden. Seit 1875 ist er Direktor der preußischen Staatsarchive in Berlin und giebt als solcher seit 1878 ein großartiges Werk heraus, die auf 70 Bände berechnete Veröffentlichung archivarischer Dokumente. Sein großes Hauptwerk ist die „Geschichte der Revolutionszeit 1789 bis 1800“ (5 Bände seit 1853), für welche er nicht nur die Pariser Archive, sondern auch diejenigen von Berlin, Wien, London benutzte. Dieses Geschichtswerk beschränkt sich nicht auf Frankreich; es giebt ein Gemälde des ganzen Zeitalters; die europäische Kabinettspolitik in jener Zeit der großen Umwälzung ist von ihm zum erstenmal erschöpfend behandelt worden. Auch was die innere Bewegung in Frankreich betrifft, hebt er neue Gesichtspunkte hervor; volkswirtschaftliche und staatswirtschaftliche. Vortrefflich ist seine Darstellung der inneren Zustände Frankreichs vor der Revolution und der polnischen vor der Teilung Polens. Obwohl bestimmter in seinen sittlichen Urteilen gegenüber den einzelnen öffentlichen Charakteren als Ranke, ist er doch kein so markiger Porträt- und Charaktermaler wie Mommsen; er legt wie Ranke den Hauptnachdruck auf die Darstellung der allgemeinen Verhältnisse und Einflüsse. Gleiche Vorzüge hat auch sein neuestes Werk; mit einer Quellenkunde ausgerüstet wie kein anderer und gewohnt, dem politischen Faden in alle Schlupfwinkel der Kabinette nachzugehen, wird er der tonangebende Geschichtschreiber dieser großen Epoche bleiben und Sagengebilde, wie sie sich um einzelne Vorgänge, wie die Emser Depesche, ansammelten, ein für allemal zerstreuen. Die Ursachen des französischen Kriegs sind nie so lichtvoll dargelegt worden wie von Sybel im siebenten Bande seines neuen Geschichtswerkes; glücklicherweise beherrschte er das dafür nötige Aktenmaterial bereits hinreichend, als man ihm neuerdings das Vorrecht, offizielle Akten frei zu benutzen, entzog. †      

Auf dem Schießstand. (Zu dem Bilde S. 41.) Von früh bis spät knallt es im Winter wie im Sommer auf den Militärschießständen, die bei jeder Garnison unter sorgsamer Berücksichtigung des Geländes, meist mitten im Grünen, angelegt sind. Ohne Unterlaß ziehen immer wieder neue Abteilungen hinaus, um zu bestimmter Zeit die mit ihrer heutigen Aufgabe fertig gewordenen abzulösen.

Napoleon I. hat gesagt: „Ich will nur eine Infanterie, aber eine gute!“ und diese „Güte“ besteht in erster Linie im Schießen- d. h. Treffenkönnen – heute mehr denn je. Alle die Fortschritte, welche die Neuzeit auf militärischem Gebiete und namentlich auf dem des Waffenwesens – die Einführung des kleinkalibrigen Mehrladers, des rauchschwachen Pulvers etc. – gebracht hat, erheischen um so dringender auch eine um so gründlichere Einzelausbildung, eine gesteigerte Treffsicherheit des Schützen. Das weiß man im deutschen Heere, und dementsprechend wird die Ausbildung geleitet, wobei der Schießstand eine Hauptrolle spielt.

Auf einen solchen Militarschießstand versetzt uns das Bild, das bei denjenigen Lesern, die selbst gedient haben, manche Erinnerung wachrufen wird. Nach den Unterweisungen und Vorübungen, welche die Neulinge im Dienste des Mars bereits in der Kaserne und auf dem Exerzierplatze durchgemacht haben, beginnen die Schießübungen bei der Infanterie mit dem Erlernen des richtigen Anschlages, um dann zum Schießen nach der Scheibe im Stehen, Liegen und Knieen unter Anpassung an das Gelände und der dadurch gegebenen Deckungen und unter Zugrundelegung wirklicher Gefechtsverhältnisse fortzuschreiten.

Heute schießt die Kompagnie besondere Uebungen, und der Hauptmann ist selbst dabei zugegen, um die Instruktion zu überwachen und die Leistungen der Einzelnen zu prüfen. Ringsum knallt und knattert es – eine Musik, die das Soldatenherz erfreut. Neben den Schießenden sitzt der Hauptmann auf einem Stuhle, seine Cigarre dampfend; er mustert jeden Einzelnen kritischen Blickes und erteilt ab und zu kurze Weisungen. In der „Hitze des Gefechts“ läßt ein Ungeschickter, auf den die Nähe des gestrengen „Vaters der Kompagnie“ offenbar nicht gerade ermutigend wirkt, seine Patronen fallen. Ganz anders der stramme Füsilier, der soeben zum Schießen antritt. Auf ihn schaut der seitwärts am Tische, an dem ein Einjähriger die Schießresultate notiert, stehende Schießunteroffizier mit Zuversicht und Befriedigung, weil er einer der tüchtigsten unter seinen Schülern ist. Auch ihn unterweist der Hauptmann noch, während er schußfertig dasteht. Aber man sieht es seiner ruhigen, festen Haltung an, daß er auch diesmal seine Sache gut machen und wohl bald zu denjenigen gehören wird, welche die auszeichnenden Schützenschnüre tragen dürfen. F. R.     

Präparierte Palmen. Unter Palmen zu wandeln, kann sich bei uns auch der Minderbegüterte leisten, ohne deshalb eine Weltreise machen oder auch nur in ein Gewächshaus gehen zu müssen. Die Palme ist gewissermaßen volkstümlich geworden. In großen Wirtschaften kann man jetzt beim Scheine der elektrischen Lampen und einem guten Tropfen Gerstensaft mitten in einer tropischen Landschaft sitzen, nur ist diese Landschaft – eitel Trug! Die naturfrischen Wedel mit dem farbensatten Grün sind nichts als wohlkonservierte Blätterleichen, die durch kunstfertige Hände mit dem verdorrten Stamme eines aus ihrer Sippschaft zu Kübel- oder Topfpflanzen verarbeitet worden sind. Ein zierlicher Korkholzbehälter, in welchem die „Füße“ dieser Pflanze wohlverborgen sind, muß die Täuschung vollenden. Als Schmuckgegenstand zur Belebung eines Zimmers sind die präparierten Palmen ganz vortrefflich geeignet. Wartung und Pflege bedürfen sie nicht, auch kein Sonnen- oder Tageslicht; die Reinigung der Blätter geschieht in der einfachsten Weise, indem man sie aus dem Stamm herauszieht und mit einem feuchten Schwamme abwischt. Selbstverständlich vermag ein solches Kunsterzeugnis nie eine lebende Pflanze zu ersetzen; insbesondere fehlt ihr jeder Wert für die Verbesserung der Luft.

Der Orangentanz. (Zu dem Bilde S. 48 und 49.) Wenn für die Bekenner des Islam der Fastenmonat Ramasan in die heiße Zeit des Jahres fällt, lastet der dumpfe Druck der Entbehrung zwiefach schwer auf den Gläubigen. All’ ihr Fanatismus lindert die Sonnenglut nicht und hebt Hunger und Durst nicht auf. Im Gegenteil: hundertfach verlockend glühen die Früchte am Baum und sprudelt das Quellwasser in den spärlichen Brunnen für die begehrlichen Augen und die lechzende Zunge derer, die vom Aufgang der Sonne bis zur Stunde, da der Ruf der Muezzins von der Galerie der Minarets ihren Niedergang verkündet, weder Speise noch Trank berühren noch sich am Rauch des Tabaks in Tschibuk und Nargileh erquicken dürfen, ja, die ihre Lippen sogar den Regentropfen verschließen müssen, die der barmherzige Himmel jeweilen einmal spendet.

Ein einziger Tag jedoch unterbricht die strenge Askese eines vollen Monats, das ist der Fünfzehnte, die Mitte des Ramasan. Dann spricht der Beherrscher der Gläubigen im fernen Stambul drunten in der heiligen Sophienmoschee das große Gebet und in allen Provinzen, die ihm unterthan sind, feiert und schwelgt das Volk. Musik ertönt und der schwere Duft des Räucherwerks steigt aus Onyxschalen empor. – Wo ist wohl mehr Glanz zu finden als in der marmornen „Kulá“, dem Landhause des Bey, dort, wo nahe der algerischen Grenze waldige Hügel den Horizont kränzen und im Garten anbei Palmen und Orangenbäume in die zierlichen Säulengänge des kühlen Hofes hineinschauen. Aus der nahen Stadt sind die Tänzerinnen geholt worden, schöne bronzebraune Mädchen, mit sammetnen Schwarzaugen und feinen Gliedern. Sie haben mit feierlichen Tänzen begonnen, bei denen nur der Oberkörper sich in graziösem Wiegen bewegt; sie haben mit Schwert und Messer gespielt und das Tamburin gepocht; jetzt tanzt die Schönste und Zarteste den Orangentanz. Große, dunkelgoldne Früchte aus Jaffa, drei davon im Dreieck auf den weißen Marmor gelegt, Rosen, Nelken und frisches Grün dazwischen gestreut – und nun tanzt die Behende, daß die Spangen an ihren Knöcheln klirren und die golddurchwirkten Schleier fliegen. Zwischen Frucht und Blume schlüpft ihr Fuß hindurch, ohne sie zu berühren; kaum daß ihre Zehenspitze den glatten Boden streift; so leicht ist sie wie eine Tochter der Luft. Leise pfeift und zirpt die eintönige Musik aus der Schalmei, der „Tschoban“ und der langen Mandoline, der „Dingala“, und auf prächtigem Teppich, unter buntem Baldachin sitzt der Bey mit seinen Gästen, alle stumm und regungslos, nur aus den dunkelbeschatteten Augen blitzt das Entzücken am Tanze. – Später, wenn die Männer alle zum beschaulichen Träumen, dem „Kef“, in das „Selamlik“, die Besuchsräume, zurückgekehrt sind, wird die Tänzerin sich zum goldenen Lohne auch noch die goldenen Jaffafrüchte in den Zipfel ihres seidenen Gewandes knüpfen und mit heimnehmen. Sie weiß wohl, daß jede der Orangen einen kostbaren Kern birgt: drei Steine für eine neue Spange zum Bairamfest, und sie kennt den Spender; mag der junge Bey im weißen Turban neben seinem Vater sich auch hundertmal halbschlafend gestellt haben bei seiner Wasserpfeife! B. S.-S.     



Inhalt: Buen Retiro. Von Marie Bernhard (2. Fortsetzung). S. 37. – Heinrich von Sybel. Bildnis. S. 37. – Auf dem Schießstand. Bild. S. 41. – Die Diamanten- und Goldfelder in Südafrika. Von B. Falk. S. 42. Mit Abbildungen S. 42, 43, 44, 45 und 46. – Um eine Kleinigkeit. Novelle von Jassy Torrund (2. Fortsetzung). S. 46. – Der Orangentanz. Bild. S. 48 und 49. – Blätter und Blüten: Heinrich von Sybel. S. 52. (Zu dem Bildnis S. 37.) – Auf dem Schießstand. S. 52. (Zu dem Bilde S. 41.) – Präparierte Palmen. S. 52. – Der Orangentanz. S. 52. (Zu dem Bilde S. 48 und 49.)


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner.0 Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.0 Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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