Seite:Die Gartenlaube (1895) 003.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

oder Erfreuliches dabei heraus. Heutzutage ist es ja sehr modern, die Sonde in jede Stimmung, jede Gemütswallung, jede Regung der Phantasie zu stecken, immer gleich zu fragen: „Was kann das zu bedeuten haben? Was kündigt dieser plötzliche Umschlag des Gefühls, was diese unerklärliche Erkältung oder Erwärmung an?“ Auch ich habe es eine Zeit lang mit meiner Person so getrieben, ich bin mir aber nicht interessant genug als fortgesetztes Beobachtungsobjekt. Zudem beschäftigt mich der Gedanke, ein wissenschaftliches Buch zu schreiben – das ist weit angenehmer, als beständig das werte Ich zu beleuchten; man sieht dieses Ich am Ende doch in einem weit günstigeren Licht, als es verdient. Da ich nun aber meine aufwallenden Regungen u. s. w. nicht alle mehr gewissenhaft zu Protokoll nehme, so kann es allerdings sein, daß ich mich eines schönen Tages mit mir selbst überrasche und meines heißgewünschten „Buen Retiro“ überdrüssig werde. Ich kann es mir aber durchaus nicht denken, würde mir auch eine derartige Geschmacksverirrung sehr übel nehmen und entschieden eine schlechte Meinung von mir bekommen. Jedenfalls warte ich das alles in Ruhe ab und lasse die Dinge an mich kommen!

Zwei Deiner Fragen habe ich zum Schluß Dir noch zu beantworten. Wer denn für mich in meinem verwunschenen Schloß – das ist es nicht, es ist mein geliebtes, stilles „Buen Retiro“! – das profane Geschäft des Haushaltens versehe. Erinnerst Du Dich, lieber Herzog, aus unsren früheren Gesprächen meiner Schilderungen eines originellen Frauenzimmers, das auf meinem elterlichen Gut die Wirtschaft besorgte? Ich meine, Du mußt Dich erinnern, ich habe Dir zu häufig von ihr erzählt und wir haben zusammen herzlich über sie gelacht. Dieses „Mamsellchen“ nun – diese ostpreußische Benennung ist ihr geblieben – liebt mich mit einer Schwärmerei, die sich unaufhörlich auf der Grenze zwischen dem Komischen und dem Rührenden bewegt, und es war der größte Kummer ihres Lebens, daß ich nach dem Tode meines Vaters nicht dessen Gut behielt und selbst weiter bewirtschaftete – eine schöne Wirtschaft wäre das geworden! –, sondern mein Bündel schnürte und auf Reisen ging. Da ich sie dabei nicht gut mitnehmen konnte, so sah sie sich gezwungen, eine neue Stelle als Wirtschafterin anzunehmen, und ich erhielt jedes Jahr ein paar erzdrollige Episteln von ihr, in denen die ergötzlichsten Schilderungen ihrer Herrschaft enthalten waren, dazwischen Klagen über die Trennung von mir, aus denen eine geradezu mütterliche Fürsorge und Zärtlichkeit sprach. Um es kurz zu machen: als ich die Villa erwarb, erwarb ich mir zugleich mein getreues Mamsellchen als Haushälterin: es eilte glückselig auf meinen ersten Ruf herbei und versieht nun meine Wirtschaft mit Hilfe eines männlichen Faktotums, genannt Ewert, aufs vollendetste. Bitte, komm’ her und überzeuge Dich von der Wahrheit des Gesagten! Du wirst ein Menü finden, das selbst Deinem verwöhnten Großstadtgaumen genügen dürfte.

Und nun zu Deiner Nachschrift! Du fragst zum erstenmal seit langen Jahren nach Margot, meiner Pflegeschwester, die Deine erste Liebe war. Ich weiß, mein Alter, wie tief dies Gefühl damals bei Dir ging, wie hart es Dich traf, daß Margot, die doch Neigung für Dich verriet, so plötzlich sich dem neuen Bewerber zuwandte, der allerdings eine glänzende Partie genannt werden durfte. Die Gattin eines Generalkonsuls auf Java – das hat sie wohl gelockt; phantastisch und etwas abenteuerlich angelegt war sie ja von jeher.

In welch’ hohem Grade sie das gewesen ist, davon hast Du wohl kaum einen rechten Begriff bekommen, destomehr ich, ihr Pflegebruder, der mit ihr zusammen aufwuchs. Als sie, das einzige Kind einer Jugendfreundin meiner Mutter, zu uns ins Haus kam, war sie, etwa achtjährig, ein aufgewecktes kleines Ding, wie ein Spürhund hinter jedem Märchenbuch her, das ihrem abenteuerlichen Sinn neue Nahrung bot. Himmel, was konnte dies Kind sich für merkwürdige Dinge ausdenken, was für unglaubliche Scenen und Spiele haben wir beide miteinander vollführt, denn ich war ihr treuer Gefährte und staunte ihre unversiegbare Erfindungsgabe gläubig an! Meine Mutter bemühte sich, dieser Anlage Margots, die ihr wohl nicht ganz unbedenklich schien, zu steuern, aber sie hatte nur wenig Erfolg damit. Garten, Wald und Feld waren ein viel zu ausgedehntes Gebiet für zwei heranwachsende Kinder, als daß sich eine Ueberwachung hätte ermöglichen lassen. Als Margot dann mit kaum fünfzehn Jahren in die Residenz kam, um sich den berühmten „letzten Schliff“ daselbst zu holen, da schoß dieser phantastische Trieb in ihr vollends empor. Sie trug jeden Pfennig ihres Taschengeldes ins Theater, sie machte ohne weiteres Besuch bei einigen weiblichen Bühnengrößen, die das hübsche, begeisterte Mädchen freundlich genug aufnahmen, sie deklamierte ihnen Gedichte vor und ließ sich von ihnen Schmeicheleien sagen und eine große Zukunft prophezeien – denn zur Bühne wollte sie, das stand felsenfest. Ich war auch in dieser Zeit ihr einziger Vertrauter, sie schrieb mir lange Briefe, gestand mir, daß sie in aller Stille Rollen einstudiere, daß eine ihrer Gönnerinnen ihr wöchentlich einmal Unterricht erteile, und sie – Margot – betraute mich mit der schönen Aufgabe, die Eltern allmählich auf ihre Berufswahl vorzubereiten, da ich ihnen näher sei und sie des öfteren sehe. So lieb ich sie hatte, ich redete ihr aus allen Kräften ab. Ich wußte, daß meine Eltern nie ihre Einwilligung zu diesem Beruf geben würden, denn sie hatten eine tiefgewurzelte Abneigung gegen die Bühne und alles, was damit zusammenhing, seitdem die einzige Schwester meines Vaters, die heimlich zum Theater ging, auf traurige Weise zu Grunde gegangen war, und ich, trotzdem ich ein eifriger Theaterbesucher war und gegen den Schauspielerberuf an sich nicht das Geringste einzuwenden hatte, auch ich war ganz und gar gegen Margots Pläne. Lag es mir von den Eltern her im Blut oder war es ein ganz persönliches Vorurteil – der Gedanke, meine liebe reizende Pflegeschwester könnte da Abend für Abend auf der Bühne stehen, sich heute vom ersten Liebhaber, morgen vom Bonvivant und übermorgen vom Heldenvater vor aller Leute Augen umarmen lassen – dieser Gedanke verursachte mir beinahe einen körperlichen Schmerz. Mochte zum Theater gehen, wer wollte – die Mitglieder unserer soliden einfachen Familie sollten davonbleiben! Findest Du dies philisterhaft gedacht? Ich kenne sehr viele, die ebenso urteilen wie ich, sie sind oft große Kunstschwärmer, interessieren sich aufrichtig fürs Theater, aber ihre Angehörigen wollen sie dort nicht sehen, zumal die weiblichen nicht, denn unsereins weiß genug vom Leben, um die tausend Klippen, die einem unbeschützten hübschen und jungen Mädchen in solcher Laufbahn drohen, richtig zu würdigen.

Als Margot nun endlich nach Hause kam, gab es, wie Du Dir denken kannst, Sturm; Sturm von unserer ebenso wie von ihrer Seite. Sie that mir eigentlich leid, wir waren unserer drei gegen sie, aber das konnte mich doch nicht veranlassen, gegen meine Ueberzeugung zu reden. Es fielen heftige Worte, hier wie dort, meine vernünftigen, an schlichte gerade Verhältnisse gewöhnten Eltern fanden Margots Plan unerhört. Diese wiederum ließ deutlich durchblicken, daß sie uns sämtlich für beschränkte einseitige Alltagsnaturen hielt, denen der Sinn für alles Hohe und Schöne fehle. Später hat sie darüber anders denken gelernt.

Nun, die Eltern verweigerten kurz und bündig ihre Zustimmung, und wer weiß, was geschehen wäre, wenn nicht der bewußte Generalkonsul der Sache eine unerwartete Wendung gegeben hätte. Er lernte Margot kurze Zeit nachher kennen, nachdem sie Deine Bekanntschaft gemacht hatte, er verliebte sich stürmisch in sie, warb sofort, während Du zartfühlend gezögert hattest, und erhielt ihr Jawort, wozu nicht zuletzt, ich bleibe dabei, seine glänzende Stellung sowie das verlockende Bild beitrug, das Margot sich von einem Leben in Batavia machte.

Ich führe dies alles absichtlich aus, um Dir Margots damaliges Benehmen und ihre Beweggründe klar zu machen. Ich habe trotz alledem nicht einen Tag aufgehört, sie brüderlich zu lieben, aber wenn meine stille Abneigung gegen alles, was mit der Bühne zusammenhängt, seit jener Zeit noch zugenommen hat, so ist Margot schuld daran. Sie fühlte sich damals sehr verletzt, daß ich, bis dahin ihr treuester Freund und Genosse, ihr nicht zu Hilfe kam, und konnte mir das lange nicht verzeihen.

Ihre Ehe ist, soweit ich es beurteilen kann – sie schrieb mir sehr selten – ganz glücklich gewesen. Ich hörte von glaubwürdiger Seite, der Generalkonsul, den ich persönlich so gut wie gar nicht kannte, sei eine liebenswürdige Natur und in seine reizende Frau sehr verliebt gewesen, er habe ihr keine Bitte verweigern können. Er soll sie in ihrer Neigung zu Aufwand und Prachtliebe nur noch bestärkt haben, man sprach von glanzvollen Festen in Batavia, deren Seele meine Pflegeschwester gewesen sei.

Als dann ihr Mann starb, sah es freilich schlimm genug aus, sie ging mit dem einzigen Kinde, einem Mädchen, nach Brüssel, wo einige Verwandte des Generalkonsuls wohnten, und dort habe ich sie vor etwa acht oder neun Jahren besucht. Sie war wohnlich und hübsch eingerichtet, sie selbst aber fand ich ungeheuer verändert; sie sah schmal und elend aus – keine Spur

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_003.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2021)