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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

ihm dessen Rückgabe zu versprechen. Ganz unbeschreiblich aber war die Rührung, mit welcher mir der Alte dankte. Die hellen Thränen flossen ihm aus den Augen, als ich das Bild der Wahrheit gemäß lobte.

Nun bat ich ihn, mir aber auch seine neueste Schilderei zu zeigen. Nur zögernd willfahrte er; es sei eine Art Porträtskizze, die er vor langen langen Jahren in Koblenz gemacht habe. Da er immer ein gutes und rasches Gedächtnis für schöne und bezeichnende Gesichter besessen, so sei es seine Gewohnheit gewesen, die Züge solcher Personen, die ihm öfters begegneten und ihn durch Schönheit oder Charakter fesselten, zu Hause aus dem Kopfe leicht zu skizzieren. So habe sich eine ganze Mappe einzelner Blätter angesammelt und erhalten, von denen er nunmehr einige auszuführen gedenke, so gut es gehe, in der Hoffnung, vielleicht von einem Kunsthändler ein Paar Thaler dafür zu bekommen. Wie erstaunte ich aber, als der Alte das Tuch entfernte und vor mir, fast ganz ausgeführt, in sauberster Arbeit und mit packender Wahrheit, das Porträt einer jungen schönen Dame stand, die ich selbst gekannt und zwar sehr wohl gekannt hatte; denn sie war ja nachmals meine geliebte Frau und die Mutter meines einzigen Kindes geworden! Nachdem ich meine Rührung einigermaßen bemeistert, durchmusterte ich die übrigen Skizzen – alles gute Bekannte, werte Freunde und auch einige gleichfalls sehr werte Feinde aus jener fröhlichen Jugendzeit! So manches liebe Gesicht längst Verstorbener, dem ich niemals hätte hoffen dürfen, wieder zu begegnen! Und der Mann, der diese meisterhaften Skizzen entworfen, ein echter Künstler von Gottes Gnaden, war hier in diesem Neste hängen geblieben, verkommen und verschollen, und saß jetzt hier neben mir als ein unzünftiger Anstreicher außer Dienst!


Ehe ich die stattliche Reihe der Skizzen – sie hängen jetzt ausgeführt drunten in dem runden Zimmer, und Sie haben sie nicht erst heute bewundert – zu Ende gesehen, war mein Plan gefaßt. Dem Alten trug ich ein hübsches Zimmer in meinem Hause, Unterhalt und – was ich für einen wichtigen Punkt in seinen Augen hielt – Freitrunk auf Lebenszeit an, dafür erbat ich mir von ihm als Deposit und späteres Erbteil die Bilder. Wir waren rasch handelseinig und ich verabschiedete mich von dem alten Künstler mit dem Versprechen, ihn noch selbigen Tages in meinem Wagen holen zu lassen.

Nach Tisch fuhr ich zum Bahnhof, um meine Tochter zu erwarten. Ich war so erfüllt von meinem Plane, daß ich ihr alsbald nach der Begrüßung davon erzählte. Sie teilte aufs herzlichste meine Freude und bestand darauf, daß wir sogleich auf dem Rückwege vor der Wohnung des Malers vorführen und ihn mitnähmen. Als ich ihr dort das Bildnis ihrer Mutter zeigte, begrüßte sie es mit Thränen und nahm es sofort an sich, versäumte aber auch nicht, Franz Hahn so freundlich und lieb zu danken, daß der Alte ordentlich wiederstrahlte. Im Wagen erzählte ich ihm dann von der eigentümlichen Verehrung des jungen Dichters, der auch am Vormittag während meiner Abwesenheit wieder vor dem Bilde geweilt hatte, und der Schwärmerei meiner Tochter für dasselbe. Meine Tochter errötete dabei ein über das andere Mal, wie das so die Art der Mädchen ist, wenn man in ihrer Anwesenheit von einem Gegenstand ihrer besonderen Neigung spricht.

Daheim wünschte Franz Hahn sogleich vor das wiedergefundene Bild geführt zu werden. Vorsichtig geleitete ich ihn in dies Zimmer und weidete mich an seiner Freude. Nach richtiger Malerart begann er aber, sobald er sich etwas gesammelt, die Beleuchtung zu kritisieren, welche viel günstiger sein werde, wenn das Bild mehr nach der Mitte hin gehängt würde. Ich bezweifelte das – wie ich jetzt gern zugestehe, sehr mit Unrecht – wir gerieten in Eifer und beschlossen, sogleich einen Versuch zu machen. Darüber kehrte meine Tochter zurück, die nebenan im Eßzimmer einen Willkommtrunk für unseren neuen Hausgenossen bereit gestellt und in ihrem Eifer den großen Löffel der Bowle in der Hand behalten hatte. Als sie unsere Absicht wahrnahm, wurde sie ganz entrüstet und verlangte, wir sollten das nachher besorgen und jetzt ins Eßzimmer gehen. Wir waren aber natürlich viel zu gespannt auf den Ausgang unserer Beleuchtungsstudien, um ihr zu folgen. Somit faßte ich das Bild an, um es von seinem bisherigen Platze zu heben. Da fiel etwas Weißes raschelnd hinter dem Bilde herunter zur Erde, und wie ich’s aufhob, was war es? Ein Briefchen, adressiert mit dem Vornamen meiner Tochter in der unverkennbarsten Männerhandschrift.

Ich sah meine Tochter an, die in höchster Verwirrung einen glühenden Eifer entwickelte, mich von der Lektüre des Schreibens abzubringen. Dann brach sie in Thränen aus. Ein grelles Licht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 887. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_887.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2023)