Seite:Die Gartenlaube (1894) 826.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Um fremde Schuld.
Roman von W. Heimburg.
(13. Fortsetzung.)


Wir blieben allein in dem bereits dämmerigen Raum. Die Komtesse fuhr fort, von gleichgültigen Dingen zu reden, Mama bemühte sich, darauf einzugehen, und einmal in einer Pause ergriff sie die Hand der alten Dame. „Ich danke Ihnen!“

„Du weißt, Len’, Du kannst auf mich rechnen – verstehen thu’ ich aber diesen Trug nicht.“

„O, ich will später alles aufklären,“ antwortete Mama, „und – –“ dann verstummte sie und richtete sich kerzengrade in ihrem Stuhl empor. Von nebenan – der Sprecher mußte dicht an der Thür stehen – klang es so deutlich herüber, als würden die Worte in demselben Zimmer mit uns gesprochen.

„Der alte Arvensleben ist ja in brillanten Verhältnissen,“ sagte mein Stiefvater, „ein Risiko also gänzlich ausgeschlossen; zehntausend Mark bar, zwanzigtausend geschrieben, zwei Monate Ziel; teile ihm das mit, dem Bruder Lustig!“

Die Komtesse horchte unwillkürlich auf, ihre Nase ward weiß und spitz, sie sah die Thür an, dann uns. „Es ist merkwürdig hellhörig hier, Len’,“ bemerkte sie kurz. Mama war emporgesprungen, setzte sich aber wieder; eine seltsame Erregung lag auf ihrem Gesicht.

„Was sagst Du?“ klang Wollmeyers Stimme setzt wieder. „Teufel auch, ich dächte, Du könntest zufrieden sein mit den Geschäften, die Du machst mit meinem Gelde! Wieso hast Du Unbequemlichkeiten? Ich dächte, Du lebst wie ein Prinz! Daß Du Dein großes Vermögen verspielt hast, dafür kann ich doch nicht, und im übrigen verdienst Du genug durch Deine Experimente.“

„Die Hälfte, ganz genau die Hälfte, teurer Onkel,“ sagte Brankwitz. „Mehr giebst Du mir nicht, obgleich ich unmittelbar vor der Bresche stehe, wenn ’was passiert!“

„Ist das nicht genug, die Hälfte? Was soll denn passieren? Denkst Du, der alte Bärenroder wird etwas untermehmen, weil sich der Sohn, der Bruder Liederlich, totgeschossen hat? Bilde Dir nichts ein! Die Bärenroder sind genug bloßgestellt durch den Spielerprozeß des Bruders vom Alten; sie schweigen still.“

Die Komtesse erhob sich plötzlich. „Ich will gehen, Anneliese,“ murmelte sie, „bring’ Deine Mama in ein anderes Zimmer! – Len’, steh’ auf, geh’ in Deine Stube,“ sagte sie halblaut, Mama an der Schulter rüttelnd. Gleich darauf war sie verschwunden.

Ich legte meinen Arm um Mama. „Komm, Mama!“ rief ich ängstlich, sie sah so starr und unheimlich nach der Thür drüben.

„Schweig’,“ flüsterte sie leise, heftig, und preßte mir die Hand auf den Mund. Tiefe Dämmerung umgab uns. Mein Kopf lag in ihrem Schoß; ich fühlte das Zittern, das von Zeit zu Zeit ihren Körper durchflog. Sie hatte die Hand in mein Haar gekrallt; es that mir weh, so fest klammerte sie sich daran, als das Gespräch, dem sie lauschen wollte, seinen Fortgang nahm.

„Ich muß es Dir wiederholen, Onkel,“ sagte Brankwitz, „ich habe es satt, an der Nase umhergezogen zu werden. Deine leeren Versprechungen nutzen mir den Teufel! Ich kann nichts unternehmen; und da ich einsehe, daß ich wenig Aussicht habe, je Dein Schwiegersohn zu werden, so –“

Jetzt klinkte Wollmeyer leise die Thüre auf, wohl um hereinzuschauen. „So!“ meinte er dann in ruhigem Tone, indem er sie etwas offen ließ, „wer sagt das?“

„Ich fand vorhin das Armband in meinem Zimmer, mit einer Karte von Anneliese, auf der sie mir mitteilt, daß ihr irrtümlich ein Geschenk zugestellt worden sei und daß sie sich beeile, es dem Absender zurückzugeben. Sie habe leider dessen Adresse nicht gewußt, sonst wäre es sofort wieder in seine Hände gekommen.“

Wollmeyer antwortete nicht; er hatte nur einen halblauten Ausruf der Entrüstung ausgestoßen.

„Ich habe beschlossen, mich in diese sehr betrübende Thatsache zu ergeben,“ fuhr Brankwitz fort, „ich lasse Dir Deine Tochter, aber ich bitte um Auszahlung des Kapitals.“

„Was?“ fragte Wollmeyer, „welches Kapitals?“

„Anneliese paßt schließlich auch nicht für mich, die vierzigtausend Thaler passen aber jedesmal.“

„Vierzigtausend Thaler?“

„Weniger würdest Du ihr doch nicht mitgegeben haben, Onkel!“

„Du bist verrückt! Du weißt, wie es mit Helene steht?“

„Gewiß! Ich gratuliere Dir herzlich. Was übrigens die Verrücktheit anlangt, so werden wir ja sehen. Bis jetzt, lieber Onkel, hast nur Du Zeichen von einiger Geistesabwesenheit gegeben.“

„Wieso?“

„Schickst die Base auf die Mühle, läßt auch das Mädel wochenlang dort und scheinst vergessen zu haben, daß da noch jeder Stein von der alten Geschichte schreit. Nicht genug damit, Du läßt sie auch noch dort, wie bereits der junge Herr Nordmann daselbst auftaucht, der Liebling Deiner Base, das von der ganzen Gemeinde betrauerte Opfer der damaligen Katastrophe.“

„Pah, der Lump!“

„Bitte, bitte, nicht voreilig! Jedenfalls würde er mit Freuden bereit sein, vierzigtausend Thaler zu zahlen für gewisse Papiere, die er gerade jetzt gut gebrauchen kann, um die Flecken zu beseitigen, die auf seinem Namen sitzen.“

„Du redest im Fieber! Vierzigtausend Thaler? Du willst damit sagen, daß mir die Papiere für diesen Preis zur Verfügung stehen?“

„Allerdings.“

„Das ist mir zu teuer, Freundchen – schraub’ herunter.“

„Nicht einen Dreier!“

„Und wenn ich Dir sage: behalte Deine Papiere und scher’ Dich zum Teufel?“

„Dann werde ich es thun, aber direkt nach Halle gehen zu Robert Nordmann und ihm sagen: ‚Lesen Sie diesen Brief des Herrn Wollmeyer an meinen verstorbenen Vater!‘ – Ich brauche ihm nur den einen zu geben, in dem es heißt: ‚Lieber Brankwitz, gestern habe ich manifestiert, vorläufig also Ruhe. Nordmann ist verdonnert – –. Bis achtzigtausend Thaler gebe ich Dir Vollmacht, auf das Gut zu bieten; die Subhastation ist, anstatt Freitag den zehnten, auf Montag den dreizehnte anberaumt.      Dein Wollmeyer.‘ Nun, ich denke, daraus geht klar genug hervor, daß Du damals geschworen hast, nichts mehr zu besitzen, wodurch Dein Schwager um Hab’ und Gut kam, und daß dieser Eid falsch war. Mir wird nichts passieren, wenn Nordmann die Sache verfolgt – mein Vater ist tot und ich kann etwas anfangen drüben mit dem Preis für den Brief; das Hundeleben hier habe ich satt.“

Mamas Hand preßte sich jetzt eisern auf meinen Kopf. Einen Augenblick blieb es still nebenan, dann das Poltern eines Stuhles, der Aufschrei einer zornigen Männerstimme, wie wenn zwei ringen auf Leben und Tod. „Bube, das ist der Lohn für alles, was ich an Dir that!“ schrie Wollmeyer.

Ich taumelte empor. Mama hatte mich im Aufspringen von sich gestoßen; ich hörte, wie sie durchs Zimmer stürzte. Da raffte ich mich auf, ihr zu folgen, aber schon flog die Thür krachend hinter ihr zu. Ich hörte nur noch ihr gellendes: „Es ist nicht wahr, Bernhard, sag’, daß es nicht wahr ist!“ und dann ihr Lachen, ein tolles krampfhaftes Lachen. Nie werde ich es vergessen. Dann schrillte die elektrische Klingel durchs Haus und jemand stürzte fluchend an mir vorüber; in der tiefen Dämmerung, an die mein Auge sich jetzt gewöhnte, erkannte ich Brankwitz.

Und jetzt kam Licht und die Dienerschaft. Nun Sprechen, Zureden, Beschwichtigungen seitens meines Stiefvaters, und dann schritt die Base an mir vorüber, die leblose Gestalt Mamas auf den Armen, unterstützt von dem Stubenmädchen.

„Gnädige Frau, liebe gnädige Frau,“ keuchte die Base, „liebe, liebe gnädige Frau!“

Mich beachteten sie nicht.

Nun wußte ich es – auf der Stirn meines Stiefvaters brannte ein Meineid. Ich zitterte am ganzen Leibe; Roberts Vater hatte er mit diesem Schwur in den Abgrund des Elends gestoßen, die Frau ins Grab, den Neffen in die Fremde, und nun streckte sich der Fluch auch über uns aus, über meine arme Mutter und mich!

Im Hause war plötzlich aller Lärm verstummt. Man hatte mich von Mamas Bett entfernt, obgleich ich nicht weichen wollte, aber mit ein paar Worten hatte die Base es fertig gebracht, mich hinwegzuführen. Brankwitz war unsichtbar geworden; Olga Sellmann lag in ihrem Zimmer und las einen Roman, von Zeit zu Zeit sollte das Mädchen ihr Nachricht bringen. Mein Stiefvater schritt in seiner Stube auf und ab, ruhelos. In der Stadt liefen Diener umher, das Fest abzusagen, und der Sanitätsrat weilte schon seit Stunden bei Mama.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_826.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2023)