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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Nr. 48.   1894.
      Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Um fremde Schuld.

Roman von W. Heimburg.
     (12. Fortsetzung.)

Und die Tage gingen weiter, unruhig, voller Nichtigkeiten, dem Einzelnen keine Stunde der Sammlung, der geistigen Ruhe schenkend. Ich war einmal bei der Komtesse gewesen, da traf ich Frau von Tollen, gebeugt, traurig, nicht wiederzuerkennen. Lore sei mit ihrem Onkel nach Italien gereist und die Scheidung im Gange, erzählte mir die Komtesse hinterher.

„Warum trennen sie sich?“

„Ach Kind, das ist ’was Häßliches und die Tollen bat mich um Diskretion – frage mich nicht!“

Arme Lore! – –

Nur die halbe Stunde, die ich während der Nachttoilette abends noch in meiner Stube mit der Base zubrachte, gehörte mir. Stumm nestelte sie mir die Kleider auf und bürstete mein Haar, alles so zart und liebkosend wie immer. Wir sprachen kaum miteinander, aber wir dachten dasselbe: Robert. Und ich blickte dann mitunter fest in ihre kleinen Greisenaugen – hatte sie den Kuß gesehen, den süßen, traurigen Kuß des sich Findens und Verlierens? Kein Zug ihres Gesichtes, kein Wort verriet es mir. Freundlich sagte sie nur mitunter: „Wo Menschenverstand nicht mehr aus und ein weiß, hat Gott noch alleweil’ ein Pförtlein. Müssen nicht so blaß aussehen, Anneliese. Schauen Sie nur in den Spiegel, das ist gar nicht mehr Ihr altes Schelmgesicht!“

Nein, das war es nicht mehr, ich sah es selbst. Etwas Blasses, Längliches blickte mir da entgegen, mit Augen, unter denen tiefe Schatten lagen, und ein fest geschlossener Mund, der alle Neigung verloren hatte, vorwitzig zu antworten. Die Lippen waren auch keine Kinderlippen mehr, aber das wußte nur er und ich und der Sturm, der an uns vorübergebraust. Und das Lachen hatten sie verlernt in wenigen Sekunden – wohl für immer, denn wann sollten sie es wieder lernen?

„Ach Base, wie soll es werden?“

„Der Herr hat gesagt: ‚Sorget nicht!‘ Wenn ich nicht an seine Hilfe glaubte, ich lebte längst nicht mehr,“ antwortete sie.

„Aber das Unabwendbare kommt ja, muß ja kommen.“

Sie schwieg, denn auch sie wußte – es mußte kommen.

„Base, haben Sie Nachricht von ihm?“ erkundigte ich mich stockend.

„Nein,“ war die kurze Antwort.

Morgens in aller Frühe war die Base schon auf den Beinen, sie lief treppauf und treppab und nahm alle Wirtschaftssorgen Mamas auf ihre alten Schultern. Und

Gustav II. Adolf, König von Schweden.
Nach dem Gemälde von A. van Dyck. Photographie im Verlage von Franz Hanfstaengl in München.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_805.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2022)