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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

unserem Glauben unseres Schicksals Sterne. Der ehrwürdige bezopfte Führer ist vielleicht entrüstet, daß wir so gleichgültig gegen den Zauberspuk bleiben, und er hat beschlossen, uns etwas zu zeigen, das auch den Herzen der roten Teufel", wie die Europäer in China geschimpft werden, Schrecken einjagen muß, und er führt uns in den Tempel des Schreckens", der eine Sammlung aller chinesischen Höllenmartern in plastischer Darstellung enthält. Da werden die armen sündigen Seelen zersägt, zerstampft, zerhackt, gekocht und gesotten. Fürwahr, das Bild erschüttert uns, denn die Greuel, die man in diesem Tempel sieht, sind nicht außerirdischen Ursprungs; es giebt eine Hölle auf Erden und auch der gelbe Mann Chinas muß sie oft bis zur letzten Neige auskosten.

Hausmusik.  

Unser Führer hat uns die ewigen Strafen gezeigt, er geleitet uns auch in das Haus, in dem irdische Richter ihres Amtes walten. An einem Tisch ist das hohe Richterkollegium in eigenartiger Tracht versammelt und verhört den Angeklagten, der während der Verhandlung auf den Knieen verharren muß. In unserer Gegenwart läuft die Verhandlung ruhig ab. Wir können uns aber nicht des Eindrucks erwehren, daß man uns roten Teufeln eine Komödie vorspielt. In China hat ja eine Gerichtsverhandlung den Spitznamen ,Qualgeschäft‘ und in der That werden hier Geständnisse nicht nur dem Angeklagten, sondern auch seiner Familie durch grausame Foltern erpreßt. Diese Richter, die da versammelt sind, verhängen auch grausame Strafen. In China gilt noch ein uraltes Strafgesetzbuch, das der Menschlichkeit bar ist; wir sollen auch einen Teil der Strafen kennenlernen, denn der Führer schleppt uns nach einem der Gefängnisse Kantons. Man braucht durch kein finsteres Thor zu schreiten, um seine Schrecken zu sehen. Der niedrige, schmale Stall, in dem die Verurteilten ihre Vergehen büßen, ist von der Straße nur durch ein Gitter aus roh behauenen Baumstämmen geschieden und man kann genau die zerlumpten Gestalten auf schmutziger Streu mustern. Viele sind angekettet, einigen hat man den Kopf durch ein Holzbrett gesteckt; alle sind auf Selbstbeköstigung angewiesen und betteln die Vorübergehenden um milde Gaben an. Buddha lehrte, man solle Uebelthat mit Güte vergelten; als man aber Confucius fragte, ob Unrecht durch Güte zu vergelten sei, erwiderte der Weise Chinas: „Und wie willst Du dann Güte vergelten? Vergelte Unrecht mit Gerechtigkeit und Güte mit Güte."

Zu einer weiteren Sehenswürdigkeit geleitet uns der Führer. Mit einem Gemisch von Stolz und Ehrfurcht zeigt er uns ein großes Gebäude: die Prüfungshalle, die gegen 15.000 käfigartige Zellen enthält. In diesen engen Räumen schwitzen zu verschiedenen Zeiten die gelehrten Kandidaten, welche die chinesischen Staatsprüfungen bestehen wollen, um die höhere Beamtenlaufbahn ergreifen zu können. Diese Staatsprüfung ist schwierig und von hundert Prüflingen pflegt etwa einer durchzukommen. Kein Wunder, schon die chinesische Schrift ist so umständlich und wie weitläufig gestalten sich die chinesische Litteratur und die chinesische Wissenschaft! Der Gelehrte hat eine Kette von Ueberlieferungen zu studieren, die um Jahrtausende zurückreicht. Der gelbe Mann ist auch stolz auf seine Bildung. Die Chinesen kannten ja so manches weit früher als die Europäer. Der Buchdruck, das Schießpulver, der Kompaß waren ihnen von altersher bekannt. Sie dürften mit gerechtem Stolz auf ihre Vergangenheit zurückblicken, wenn sie nur mit der Zeit fortschritten, aber das thun sie nicht; sie zehren an dem alten Erbe; heute sind sie zurückgeblieben und ihr Stolz ist zu einer dünkelhaften Einbildung entartet.

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, das verschlossene China zu öffnen und in den Strom der neuzeitlichen Kulturentwicklung hineinzudrängen; in diesem Sinne haben nicht nur die Kanonen an Chinas Küsten und vor Pekings Thoren gedonnert, auch die Missionäre suchten seit Jahrhunderten China der europäisch-amerikanischen Kulturwelt näher zu bringen. Es gab auch eine Zeit, wo am Hofe des Kaisers Schöng-tfu vor zweihundert Jahren Christen verkehrten und europäische Missionäre einen gewissen Einfluß auf den Kaiser hatten. Auf den Wällen von Peking wurde damals ein Observatorium errichtet und Jesuiten wirkten als Hofastronomen. Die Nachfolger Schöng-tfus waren jedoch dem Christentum abhold; im Jahre 1828 wurden auch die Hofastronomen vertrieben und seit jener Zeit steht das Observatorium verödet; aber der neugierige Wanderer kann noch den großen sieben Fuß im Durchmesser haltenden Himmelsglobus und andere trefflich ausgeführte Apparate bewundern. In letzter Zeit bequemte sich China, wenigstens in militärischer Hinsicht europäische Lehrmeister anzunehmen; in Anbetracht der wenig kriegerischen Gesinnung und der notorischen grenzenlosen Feigheit der Mehrzahl der Chinesen, sowie der Untreue und Bestechlichkeit, welche für die chinesische Beamtenwelt charakteristisch sind, konnten die angestrebten Reformen in genügendem Maße nicht durchgeführt werden. In der Gegenwart erhält nun China eine bittere Lehre von dem verwandten Volke der Japaner, das, klüger als die Chinesen, sich früher dem europäischen Geiste gebeugt hat. Zweifellos wird dieser Krieg, wie auch die Schicksalswürfel schließlich fallen werden, ungemein viel zum Anschluß Chinas an die moderne Kulturwelt beitragen. Dann wird auch in den Prüfungshallen des weiten Reiches ein neuer Geist einziehen; ein neues Wissen und Streben wird das alte Kulturvolk beleben.

Blumenboot in Kanton.

Das Glück ist uns hold auf unserm Gange durch die Großstadt Chinas; wir können einer Einladung in das Haus eines wohlhabenden Kaufmanns folgen und einen Blick in das Familienleben der bezopften Herren werfen. Wir werden im Salon empfangen, dessen Einrichtung uns steif erscheint. Die Möbel sind aus „Schwarzholz“ hergestellt, das dem Ebenholz ähnlich bearbeitet wird. Die Tische sind fast immer mit Marmorplatten ausgelegt; oft haben auch Stühle diesen Schmuck. Die Wände sind dagegen meist mit den sogenannten Kakimonos behangen, langen Streifen von Papier oder Stoff, die an beiden Enden, oben und unten, mit runden Stäben von Holz oder Horn versehen sind. Glücklicherweise brauchen wir nicht an einem vornehmen chinesischen Diner teilzunehmen und die endlose Liste von allerlei Gerichten, zu denen Land, Meer und Luft das Rohmaterial spenden, auszukosten. Wir begnügen uns mit einer Tasse Thee von klassischer Güte und nehmen teil an den Familienfreuden des Hauswirts. Auch die Kunst kommt zu ihrem Rechte; ein Pianino fehlt, aber jung und alt holt allerlei musikalische Instrumente herbei, Flöten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 799. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_799.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2023)