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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

ertönt laut die kräftige, metallische Stimme des Lieutenants: „Den scheidenden Kameraden glückliche Reise, fröhliche Heimkehr!“ – und ein mächtig brausendes, nicht endenwollendes Hurra schallt aus allen Kehlen, vom „Rhein“ aus begeistert erwidert. Dann läßt die Kapelle, die sich jetzt gleichfalls am Molenkopf aufgestellt hat, das Volkslied: „Muß i denn, muß i denn zum Städtele ’naus“, darauf den „Preußenmarsch“ ertönen, unter dessen Klängen das Schiff die Reede erreicht. Lange noch schaut die Menge trüben Auges dem Dampfer nach, lange noch werden hüben und drüben Tücher und Mützen geschwenkt, aber der Dampfer nimmt volle Fahrt, und nach kurzer Zeit erscheint er nur noch als dunkler Punkt am Horizont.

Wie mancher der im Dienste des Vaterlandes hinausgezogenen jugendkräftigen Männer wird die verlassenen Fluren nicht wiedersehen, wie viele werden bei der Heimkehr Angehörige nicht wiederfinden! Wenn aber nach jahrelanger Abwesenheit die rückkehrende Besatzung von ferne die hohen roten Kasernengebäude erblickt, die vom Meere aus als erstes von der vertrauten Garnison dem Auge sichtbar werden, dann werden diese nüchternen Bauten mit kaum zu schilderndem Entzücken begrüßt werden. Auch die Fremde hatte ihre Reize; was aber bedeuten sie im Vergleich zu dem Schönen, das hinter jenen einförmigen grünen Deichlinien harrt! Dort ist das Paradies, denn dort ist die Heimat!


Zeit bringt Rosen.

Novelle von Stefanie Keyser.

      (2. Fortsetzung.)

Ilse, von dem Stubenmädchen bedient, trödelte noch zwischen Brenneisen und gefältelten Unterkleidern umher, als Antwort auf eine neulich von Holl empfangene Vorlesung über Pünktlichkeit.

Gabriele war mit ihrer Toilette schon fertig. Sie schob den Ring, den sie vorher abgelegt hatte, wieder an den Finger. Nachdenklich sah sie auf die Edelsteine herab, die sich ohne Rücksicht auf die Farbe aneinander reihten. Sie bildeten einen nach altem Glauben zusammengestellten Segensspruch. Aber die Juwelen hielten nicht, was derjenige, der sie zusammenfügen ließ, dessen Namenszug mit einem anderthalb Jahrzehnte zurückliegenden Datum in das Innere des Ringes graviert war, sich von ihnen wenn auch nur im Scherz versprochen hatte. Die prophetischen Träume, die der wie ein feuriges Veilchen funkelnde Amethyst verhieß, blieben aus. Der olivenfarbige Chrysolith vermochte mit seinem heiteren Goldglanz die Schwermut ihr nicht fern zu halten, der Zauber des bläulich schimmernden Beryll erwies sich machtlos dem Herzen gegenüber, das er fröhlich machen sollte. Und ebensowenig verlieh der dunkelgrüne Jaspis hellen Blick. Sie sah zum Beispiel nicht klar, wie der zwischen Ilse und Holl sichtlich immer ernster werdende Streit enden konnte. Eine leise Mahnung zur Vorsicht schlug Ilse mit dem Uebermut der im Schatten eines großen Geldschrankes aufgewachsenen Tochter in den Wind. Und doch – trotz des Kampfes meinte Gabriele ein tiefes Interesse der beiden aneinander herauszufühlen. Vielleicht war es ein Glück, wenn der ernste gereifte Mann der warmherzigen aber unerzogenen Ilse zur Seite trat. Holl genoß sowohl als Mensch wie als Offizier höchste Achtung. Das hatte ihr Schersen gesagt auf eine leis andeutende Frage, die der fein Empfindende sofort verstand, die sie wagen durfte, weil sie auf seine Verschwiegenheit bauen konnte. Er war ein vollendeter Kavalier. Ein leiser Seufzer kam über ihre Lippen. Ein vollendeter Kavalier, aber –

Sie blickte auf den Ring nieder. Auch hier versagte der Jaspis den Dienst.

Spielerei der Gedanken! Das Wirkliche waren die schönen mit Kennerauge ausgesuchten Edelsteine und die Liebe, die durch ihre einstige Wahl bekundet wurde. Ach, einmal dieser von elektrischen Strömungen durchkreuzten Luft entrinnen können! Einmal allein sein!

Ilse beobachtete die Freundin, und hinter dem Goldgelock stiegen allerhand prophetische Gedanken auf von sanften Ermahnungen, von stillem Sitzen unter der älteren Altersklasse, von ausgleichenden Bestrebungen, wenn sie unbefugten Einmischungen gegenüber – ein verschlagener Blick ging hinter Holl her – sich kräftig wehrte.

„Sie sind angegriffen, Gabriele,“ sagte sie. „Ruhen Sie ein wenig! Ich kann mich Frau Kern anschließen.“ Und mit dem Ungestüm der Jugend jeden Widerspruch beiseite schiebend, schickte sie sofort das Stubenmädchen zu der Dame, um ihren Schutz zu erbitten.

Frau Kern hatte bereits ihren Hut aufgesetzt, den ein kostbarer Reiherstutz überragte. „Mit dem größten Vergnügen!“ rief sie zur Thür herein. „Vertrauen Sie mir Fräulein Großheim ruhig an! Merkwürdig! Wir hätten nicht Feuerrot zu Rosa tragen dürfen. Hören Sie, da wird schon die Polonaise gespielt. Nun, guten Abend, Fräulein Raunthal!“

Sie gingen. Gabriele wartete noch ein paar Minuten, dann verließ sie ebenfalls die Villa. Als sie die Stadt erreichte, schmetterte ihr das Signal einer Extrapost entgegen. Ein offener Wagen, dem ein anderer, mit Gepäck beladener folgte, rollte vorüber. Neben dem Postillon saß ein Diener, dessen braunes Gesicht scharf gegen seinen weißen arabischen Burnus abstach. Vom Rücksitz wandte sich ein kokettes Jüngferchen um und rief ihm in französischer Sprache einen Befehl zu. Der Schwager schüttelte zu dem gebrochenen mit englischen und italienischen Worten gemischten Deutsch des Dieners den Kopf. Da richtete sich die in die Polster zurückgelehnte Herrin auf und nannte das Renaissanceschlößchen und den dort wohnenden Baron. Die Stimme klang dunkel: aber der Aussprache nach war die Dame eine Deutsche. Gabriele sah in ein Paar großer grauer Augen; dann verschwand der Zug.

Wer war die Dame? Sie erschien ihr bekannt. Aber sie konnte sich nicht auf die frühere Begegnung besinnen. Leises Rauschen spülte das Grübeln hinweg. Es drang aus der tiefen von alten Bäumen überwölbten Schlucht, wo die Salzquellen der Erde entstiegen. Jetzt waren die Badehäuser geschlossen, die lauschigen Wege vereinsamt. Gabriele brach einen Zweig blühenden Flieders aus dem Boskett und drückte das Gesicht in die duftenden Trauben. Tiefe Stille herrschte, nur das Wasser brauste und plätscherte. Und die Quelle murmelte von einem Jahrtausend, während dessen sie Segen gespendet hatte – von den grauen Tagen, da das umwohnende Volk im rauhen Bärenfell sich andächtig vor ihr neigte, von der Zeit, da die erste Mauer um sie gezogen wurde, da die neu gegründete Stadt den am Salzborn dienenden Hallknecht als Wappenbild erkor. Aus den Winkeln der von Abenddämmerung umwobenen Gebäude schwebten die Geister der alten Stadt an die langsam Hinwandelnde heran und raunten in ihrer Sprache, die Alltagsmenschen nicht verstehen, ihr zu von dem Salzgericht, das hier gehalten wurde, von den Sölden[1] dort, wo die weißgeschürzten Sieder um die brodelnden Pfannen hantierten.

Beim Schein einer schwankenden Laterne las sie den Straßennamen „Kräme“. Alt wie das Haus da mit den vorspringenden Stockwerken, dem steilen spitzen Ziegeldach! Das war gewiß dereinst das behagliche Heim eines Pfannherrn, der Feuer und Rauch zu Frankenhausen erhalten mußte, wenn er Miteigentümer des Salzwerkes sein wollte. Diese tiefe Fensternische mochte vielleicht sein Lieblingsplatz gewesen sein, wo er saß, mit pelzverbrämter Schaube angethan, geruhig sich des Bewußtseins getröstend, daß selbst ein Bibelwort die Unentbehrlichkeit dessen anerkannte, was er förderte. Aus der rundbogigen Pforte trat allabendlich zu dieser Zeit sein Töchterlein, dem das blonde Haar wie ein Mantel unter dem goldenen Schappel herabwallte, und zündete ein Lämpchen an vor St. Wolfgang, dem Schutzpatron des Salzwerkes, der damals unter der noch erhaltenen steinernen Krönung stand. Und auch allabendlich zu dieser Zeit sprang der junge Salzschreiber in seinen Schnabelschuhen über den die Straße durchrauschenden Bach, um dem hochmögenden Herrn zu berichten, wie viele Gespanne in den Herbergen Salz begehrten. Es durfte ja beileibe nicht mehr gekocht werden, als man gewißlich abzusetzen vermochte. Gestattete die ehrsame Jungfrau ihm heute, ein kurzes Weilchen mit ihr zu sponsieren? Warum sonst stocherte sie so lange an dem Lämpchen herum, bis er herankam? Nein, heute wie immer, wenn er seinen Gruß bot, richtete sie sich hoffärtig auf und rauschte davon, daß die Silberglöckchen, die sie als Patrizierin am Saume der lasurblauen Schleppe tragen durfte, ihm in die Ohren gellten, er sei noch weit von den hohen Graden eines Salzgräfen[2] entfernt, dem sie ebenbürtig war. Bei St. Wolfgang, er wollte ihr den Hochmut heimzahlen! Zum letztenmal überschritt er die Schwelle. Hinfüro schickte er an seiner Statt den geringeren Bornschreiber!

Gabriele fuhr plötzlich aus ihren Träumereien auf. Sprang dort nicht wirklich eine schlanke Männergestalt über den murmelnden

  1. Sölde = Haus, auf dem das Recht haftete, eine gewisse Menge Salz zu sieden.
  2. = Salzgraf, höchster Vorgesetzter eines Salzwerks.
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