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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Schlosse Tucser ein Aufsehen erregender Unglücksfall ereignet. Man beschäftigte sich dort eifrig mit spiritistischen und hypnotischen Kunststücken, denn die Tochter des Schloßbesitzers Fräulein Ella v. Salamon stand im Rufe eines höchst begabten Mediums. Eines Tages wurde das Fräulein von einem Laien hypnotisiert und sollte als „Hellseherin“ über das Lungenleiden des schwer erkrankten Bruders des Hypnotiseurs nähere Angaben machen. In großem Erregungszustande entledigte sie sich der ihr gestellten Aufgabe; aber nachdem sie in gebrochenen Lauten erklärt hatte, daß das Schlimmste zu erwarten sei, sank sie mit einem heiseren Aufschrei vom Stuhle und war nach einigen Augenblicken tot. Es ist dies der erste Todesfall, der sich während der Hypnose ereignete, und man fragt sich, ob die Hypnose für sich ihn herbeigeführt haben könne, oder ob die Todesursache in der heftigen Gemütserregung, in welche die „Hellseherin“ versetzt wurde, zu suchen sei. Ein berühmter Fachmann, Prof. v. Krafft-Ebing, war geneigt, auf Grund der ersten Mitteilungen über diesen Vorfall, sein Urteil dahin zusammenzufassen, daß die ungeschickt von einem Laien unternommene Hypnotisierung und die suggestiv hervorgerufene heftige Gehirnerregung mit dem Tode in ursächlichem Zusammenhange stehen, daß aber eine durchaus krankhaft veranlagte, abnorm auf Reize reagierende Persönlichkeit im Spiele war, ein Wesen, das auch durch einen heftigen seelischen Schreck in wachem Zustande vom Tode hätte ereilt werden können. Einem sachverständigen Arzte wäre ein derartiger Unglücksfall nicht begegnet, meint Prof. v. Krafft-Ebing und fügt hinzu, daß Laien nicht hypnotisieren sollen, daß man mit der Hypnose nicht spielen und keine das Gemüt heftig bewegende Suggestionen geben darf.

Dieser Unglücksfall sollte aber für weitere Kreise auch in anderer Beziehung als Warnung dienen. Man sollte sich dabei erinnern, daß Gemütserregungen auch ohne Hinzutreten der Hypnose und Suggestion schwere Gesundheitsschädigungen und selbst den Tod verursachen können. Bekannt ist die Thatsache schon, aber leider nicht in vollem Umfange gewürdigt, denn wie häufig wird mit dem Erschrecken anderer Scherz getrieben! Nur selten hat der Spaßmacher eine Ahnung von den Folgen, die sein übel angebrachter Scherz nach sich ziehen kann. Der Unfug, mit Gespenstern zu spielen kommt z. B. in der Kinderstube oft genug vor; nur die wenigsten dürften aber wissen, daß vor nicht langer Zeit ein Mann des Todschlags angeklagt wurde, weil er, indem er einem Knaben als Gespenst erschien, dessen Tod durch Schreck veranlaßt hatte. Während des Bombardemeuts von Straßburg erkrankten viele Personen durch plötzlichen Schreck, der durch Einschlagen von Granaten in unmittelbarer Nähe erregt wurde; die Geretteten aus dem Ringtheaterbrande in Wien trugen vielfach nervöse und seelische Störungen davon. Furchtbar pflegt die Erregung des Gemüts den Menschen während der Erdbeben mitzuspielen. Ueber das Erdbeben auf der Insel Chios, das im Jahre 1880 gegen 14000 Häuser zerstörte und 3541 Menschen tötete, schrieb ein Arzt auf Chios, Dr. Schwarz: „Die heftigen, oft wiederholten Gemütsbewegungen haben viele nervöse Erkrankungen hervorgerufen. Mit Bedauern muß ich mitteilen, daß der größte Teil des jungen weiblichen Geschlechtes nach dem Beginne der Erdbeben erkrankte, und zwar teils an Epilepsie, teils an Krämpfen. Nach der ersten schrecklichen Katastrophe verließ die Mehrzahl der Bewohner die Stadt Chios; es blieb aber immer noch eine ziemliche Anzahl zurück. Wenn ein Menschenkenner jetzt diese elenden, mehr bläulich als rötlich gefärbten Antlitze erblickt, so muß ihn wundernehmeu, daß Furcht und Schrecken eine solche Verwandlung bewirken können.“

Wir wissen alle aus Erfahrung, daß schon bei leichteren Graden eines plötzlichen Erschreckens der Atem stockt und das Herz für einen Augenblick still steht. Der Schreck wirkt hemmend auf die Nervencentren, welche die Atmung und den Blutkreislauf regeln, und diese Hemmung kann so gewaltig sein, daß Atmung und Herz für immer stillstehen und in einem Augenblick der Tod eintritt. Eine Frau erschrak über einen neben ihr vom Straßendamme herabstürzenden Wagen und brach in demselben Augenblick tot zusammen; ein Pascher wollte über den Fluß setzen, als eine Patrouille der Grenzwächter auf seine Genossen ein heftiges Feuer eröffnete; voll Schrecken erreichte er noch das Ufer, stürzte aber dort, ohne die geringste äußere Verletzung, tot nieder.

Zumeist tritt in solchen Fällen der Tod durch Lähmung oder selbst Zerreißung des Herzens ein und ereilt auf diese Weise in der Regel Leute, die bereits herzkrank waren, obwohl auch ganz gesunde Personen in gleicher Art vom Schreck getötet werden können.

Bei weitem seltener kommt es vor, daß auch der Gegensatz vom Schrecklichen, eine plötzliche freudige Ueberraschung in derselben Weise dem Beglückten einen jähen Tod bringt. Eine Mutter glaubte, daß ihr Sohn bei einem Unglück getötet sei, der Totgeglaubte erscheint plötzlich vor ihr und mit einem Aufschrei sinkt sie tot in seine Arme. Die Eltern eines jungen Mädchens wollteu in die Heirat mit seinem Herzenserwählten aus Standesrücksichten nicht einwilligen; das Mädchen kränkelte infolgedessen und litt an „gebrochenem Herzen“; die Eltern gaben nach und wollten ihrem Kind eine freudige Ueberraschung bereiten. Der Weihnachtsabend war gekommen, man führte die Haustochter zum glänzenden Christbaume und neben diesem stand der Geliebte – ihr Christgeschenk. Die bereits durch Liebeskummer Erschöpfte konnte das Uebermaß des Glückes nicht ertragen; auch sie stürzte tot zu Boden.

Außer diesen blitzschnellen verderblichen Wirkungen heftiger Gemütserregungen kennt man auch langsamere, aber gleichfalls verhängnisvolle. Wie Gewissen und Furcht den Menschen töten können, möge nur an einem Beispiel gezeigt werden, das von Professor Bollinger in München beschrieben wurde. Ein Bauernknecht hatte in der Erregung einen Mitknecht derart verletzt, daß dieser nach tagelangem Krankenlager starb. Im Gefängnis wurde der Schuldige von Angst und Gewissesbissen geplagt, aß wenig, machte aber sonst den Eindruck eines völlig gesunden Menschen. Da kam der Tag, an welchem er vor den Geschworenen erscheinen mußte. Er wurde unwohl, und als er den Gerichtssaal betrat, sah er so schlecht aus, daß der Arzt seine sofortige Ueberführung ins Krankenhaus anordnen mußte. Die Arme und Beine waren blau und kühl, der Puls kaum zu fühlen. Im Krankenhause dauerte der Zustand fort und trotz aller ärztlichen Hilfe starb der Knecht nach kaum 24 Stunden.

Erschütternd ist auch die Wirkung des Heimwehs, das sich zu einer wirklichen körperlichen, mit Fieber verbundenen Krankheit entwickeln kann. Hat es diesen Grad erreicht, so hilft kein Arzneimittel mehr dagegen, unerbittlich führt es zum Tode und nur durch die Rückkehr in die Heimat kann Heilung erzielt werden.

Aus diesen und ähnlichen Beispielen kann man bereits ersehen, wie groß die Macht ist, die Geist und Gemüt auf den Körper ausüben. Seit uralten Zeiten hat man darum mit Recht in den Zuständen des Gemüts auch nach Ursachen von Gesundheit und Krankheit geforscht. In neuester Zeit hat man noch andere Wechselbeziehungen zwischen geistiger Thätigkeit und den Verrichtungen des Körpers entdeckt. Indem man Leute in Hypnose versetzte, konnte man bei ihnen durch Suggestion oder Erweckung bestimmter Vorstellungen die mannigfaltigsten Veränderungen in den Funktionen der Körperorgane, die sonst von Einflüssen des Willens unabhängig sind, hervorrufen. Fieber, blutige Male auf der Haut u. dergl. traten bei ihnen in der vom Hypnotiseur angegebenen Weise ein. Auf dieselbe Weise konnte man auch vermittelst der Suggestion eine Reihe nervöser Krankheitserscheinungen zu mehr ober weniger vollständigem Schwinden bringen. Man überzeugte sich ferner, daß zum Erwecken der Suggestion die Mitwirkung eines Hypnotiseurs nicht immer nötig ist, daß empfindliche Menschen sich selbst bewußt oder unbewußt die verschiedensten Dinge suggerieren können, und fand schließlich, daß Suggestionen auch ohne Zuhilfenahme des hypnotischen Schlafes in wachem Zustande verwirklicht werden.

Kann nun die Macht der Suggestion derart gesteigert werden, daß sie sogar den schlimmsten Ausgang, den Tod, herbeiführt? Wie unglaublich dies auch auf den ersten Blick erscheinen mag, man muß die Möglichkeit selbst dieser unheimlichen Wirkung der Suggestion zugeben. Professor v. Krafft-Ebing hält diese Behauptung aufrecht und führt folgenden Beweis für die Richtigkeit seiner Anschauung an. Eine höchst sensitive und hypnotisch in tiefen Somnambulismus versetzte Kranke seiner Klinik bekam unter der Selbstsuggestion, sich vergiftet zu haben und zu sterben, so bedenklichen Verfall der Kräfte, daß er sie in Hypnose versetzen und in diesem Zustande von ihrer Selbstsuggestion befreien mußte. Hier zeigte sich in klassischer Weise die Macht seelischer Einflüsse auf das körperliche Leben. Dieses Beispiel steht nucht vereinzelt da. Eine von dem Arzte Bertrand behandelte Somnambule hatte sich den Tod für einen bestimmten Zeitpunkt angesagt und siechte in bedenklichster Weise dahin. Bertrand suggerierte ihr nachdrücklich, daß das Vorausgesehene nicht eintreten würde, von da an stellten sich die erschöpften Kräfte wieder ein. Dr. A. A. Liebault hat in seinem Werke „Der künstliche Schlaf und die ihm ähnlichen Zustände“ eine Reihe von

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