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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Um fremde Schuld.

Roman von W. Heimburg.
     (9. Fortsetzung.)

Guten Morgen, Fräulein,“ sagte Herr Hübner, als er mich ins Zimmer der Base gebracht hatte, „wohl bekomm’ die kalte Fahrt! Ich hatt’ ja keine Ahnung, daß Sie zu unserer Base wollten. Hätt’ freilich auch nichts weiter thun können, als Sie daher bringen. Nur nicht gleich zu nahe an den Ofen,“ warnte er; dann ging er.

Und nun nahmen mich ein paar alte und doch so linde Hände in Empfong, die drückten mich auf das Sofa und zogen mir die Lederstiefel von den kalten Füßen und große Filzschuhe dafür an, ach so weich und warm! Und während ich schon halb wieder im Schlafe lag, wurde mir ein Kissen unter den Kopf geschoben und der Mantel ausgezogen, dann schluckte ich warme kräftige Brühe und dazwischen hörte ich die besorgte Stimme der Base und eine andere tröstende Stimme. „Ei, Kälte macht müde, Base, und sie ist die ganze Nacht gefahren.“

Dann sagte die Base: „Aber wie sie sich verändert hat! ’s ist gar nicht mehr das runde Kindergesicht.“

„Man kann nicht ewig ein Kind bleiben. Lassen Sie sie schlafen, Base, das Beste ist der Schlaf.“

Und ich schlief. Ich wachte erst auf, als es schon ganz dämmerig war; ach, und wie traut war das Erwachen! Der Feuerschein des Ofens spielte auf weißen, von dunklem Holzwerk durchquerten Dielen. durch die Fenster sahen hohe verschneite Tannen herein; an der weiß getünchten Wand über der geschweiften Kommode mit den blitzenden Messingschlössern tickte eine altmodische Uhr und im Lehnstuhl am Ofen saß die Base und spann. Ich rührte mich nicht, sondern ließ den wohligen Zauber voll über mich ergehen. Endlich trippelte sie durchs Zimmer, beugte sich zu mir nieder und lauschte, ob ich noch schlafe.

„Base,“ sagte ich, „ich bin ausgerissen! Sie haben mir ja erlaubt, zu kommen, und daß ich’s nur gleich gestehe, geborgt habe ich auch von Ihnen – zwanzig Mark, ich bringe nur achtzig mit aber, sehen Sie, ich konnte mir von niemand Geld geben lassen zu dieser Reise.“

„Ich weiß schon, ich weiß alles, Anneliese, wenn Sie nur nicht krank werden!“

„I Gott behüte! Aber woher wissen Sie denn, daß – –“

„Es ist eine Depesche gekommen.“

„Ich gehe nicht wieder zurück, Base!“ rief ich, mich mit einem Ruck aufrecht setzend.

„Nein, nein!“ beruhigte mich die alte Frau, „Sie sollen sogar vorläufig hier bleibeu, Fräulein Anneliese; da steht’s: ‚Meine Tochter wünscht für einige Zeit in Langenwalde zu bleiben. Bitte, ihr den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen. Koffer folgen. Wollmeyer.‘“

Ich starrte wortlos in das Gesicht der Base, das nur noch undeutlich zu erkennen war. Was wollte er nur? Sollte ich bleiben – oder nicht?

„Base,“ sagte ich endlich, „so geht es nicht; ich muß weiter, „ich kann nicht bleiben. Wissen Sie nicht eine Stelle für mich auf Gottes weiter Erde, wo ich Herrn Wollmeyer nicht wieder zu begegnen brauche? Ich bin hierher geflüchtet, aber nur um Rat von Ihnen zu holen und um eine vorläufige Hilfe – –“

„Was um Gotteswillen ist denn geschehen?“ fragte sie, und nun brauste das ganze Leid der letzten Tage über meine Lippen wie ein Sturzbach. Sie unterbrach mich nicht, sie stand regungslos vor mir und hörte zu.

„Ich habe mir das alles gedacht, Anneliese,“ war das einzige, was sie sagte, als ich geendet hatte.

„Und was soll ich thun, Base?“

„Bleiben Sie nur vorläufig ruhig hier, Anneliese, ganz ohne Bange und Furcht. Hier geschieht Ihnen nichts,“ sagte sie einfach. „Wir werden ja sehen, was weiter folgt. Seien Sie aber ganz ruhig; er thut vorläufig gar nichts, glauben Sie mir. Denken Sie doch: um der Mama willen dürfen Sie jetzt nicht fort in die Welt – das sehen Sie doch ein?“

„Und wenn er herkommt – mit Brankwitz!“

„Er kommt nicht!“ erklärte sie bestimmt. „Vorläufig bleiben Sie hier, und wir reden nicht von der Soche. Sie müssen erst wieber anders aussehen.“

„Ach, Base, wenn ich in solcher Ungewißheit lebe, da werde ich nicht gesünder.“

„Ungewißheit? Keine Spur! Sie meinen wohl, ich helfe Sie verheiraten an den? Nein, Anneliese, eher –“ und sie trat einen Schrizt näher zu mir und ihre Stimme bebte eigentümlich, „eher thue ich etwas, das . . . das –“ Sie brach ab. „Aber das wird nicht nötig sein,“ murmelte sie, „er überlegt sich’s!“

„Sehen Sie, Base,“ sprach ich weiter, „der Brankwitz, der liebt mich ja gar nicht, er sagt’s nur so, er hat irgend einen andern Grund, warum er mich heiraten will. Er denkt wahrscheinlich, ich bekäme dereinst Wollmeyers ganzes Geld.“

Sie schüttelte den Kopf. „Gott weiß, was er denkt, aber nebenbei haben Sie ihm auch gefallen. Wenn er hätt’ nach Geld freien wollen, da hätt’ er’s gewiß schon lange thun können. Es giebt genug Mädchen, die sein ,von‘ teuer bezahlen würden.“

„Base, ich bitte Sie!“ flüsterte ich, peinlich berührt.

„Was denn?“

„Base, ich muß Ihnen noch ’was erzählen – ich wäre sicher nicht davongelaufen, aber – ja, Sie können mir gewiß Näheres berichten: in welcher Beziehung steht denn nur Wollmeyer zu Herrn von Brankwitz?“

Die alte Frau seufzte. „Weshalb, Fräulein Anneliese?“

„Ich habe gehört, wie Frau Sellmann sagte, ihr Bruder solle ihm nur drohen mit – mit was, das weiß ich eben nicht – dann würde mein Stiefvater schon alles dransetzen, daß ich einwillige.“

Sie sah plötzlich totenblaß aus, die alte Frau, und ihre Lippen preßten sich fest aufeinander.

„O, es ist da irgend etwas, etwas Unheimliches, erzählen Sie mir’s, Base!“

„Es ist nichts,“ antwortete sie heiser.

„Ja, o ja! Ich bin kein Kind mehr – sagen Sie es mir!“

„Nein, Anneliese, ich kann nichts sagen, und wenn ich’s könnte, ich thät’s nicht verraten. Und sehen Sie, es giebt Sachen – Sachen – ach, Gott behüte und bewahre Sie davor und jeden andern Christenmenschen!“

„Sind denn Wollmeyers und Brankwitzens verwandt?“

„Nein, nein! Aber liebes Fräulein Anneliese, fragen Sie nicht weiter! Es kann eine Last schon sehr schwer sein, wenn einer sie trägt, tragen mehrere daran, so wird sie immer schwerer, immer schwerer, und was einer noch schleppt, darunter erliegen zwei. So ist’s hier. Lassen Sie mich’s allein weiter tragen, lieb Kind, Sie sind ja noch viel zu jung, Sie würden es auch gar nicht verstehen. Quälen Sie mich nicht, Annelieseken!“

„Base, ist’s denn etwas Schlechtes? Kann ich dadurch gezwungen werden. den schrecklichen Menschen zu heiraten?“

„Nein, nein, um fremder Schuld willen sollen Sie nicht leiden,“ sagte sie, „ich bin noch da, Annelieseken, und so lange ich lebe, da werden Sie nicht der Preis – der – ach, was schwatz’ ich denn, es ist ja gar nichts, nein, gewiß nicht! Seien Sie ruhig, Sie können hier so sicher sein wie in Abrahams Schoß!“

„Nein, das glaube ich Ihnen nicht!“

„Jawohl, das können Sie glauben. Alte Geldgeschichten werden sie gemeint haben, die Brmnkwitzens, zwischen Kaufleuten kommt so ’was vor, wissen Sie. Dem Brankwitz seinem Vater hat einmal die Mühle gehört, damals, als Wollmeyer verkaufen mußte, und dann hat Wollmeyer sie zurückgekauft und da hat’s etwas gegeben wegen Mein und Dein, was weiß ich! Kommen Sie, Anneliese, essen Sie, Sie werden hungrig sein!“ Und sie strich mir das wirre Haar aus der Stirn, redete von allem Möglichen, schraubte dabei die Lampe höher und trug mir ein Abendbrot herbei, so zierlich und nett, daß auch der gesättigtste Mensch Appetit bekommen hätte, und der Thee duftete aus der alten Zinnkanne, die so blank wie Silber gescheuert war. Dann brachte sie mich zu Bett wie ein kleines Kind; das Bett war ein Himmelbett und stand im Nebenraum, einem großen dreifenstrigen Zimmer mit altmodischen Fichtenmöbeln und getäfelter Decke, und die Wäsche roch ganz fein nach Lavendel, und ein Nachtlicht brannte,

damit ich mich nicht fürchten sollte, und eine riesenhafte kupferne Wärmflasche war da in den schneeweißen Kissen, die ich gleich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_758.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2022)