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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Verschworenen in den Michailowschen Palast, wo der Zar damals residierte, überraschten ihn in seinem Schlafgemach, schienen aber anfangs nur entschlossen, ihn zur Abdankung zu zwingen, bis entweder der Widerstand Pauls oder die Furcht und der persönliche Haß einzelner Verschworenen eine tragische Wendung herbeiführten.

Als nach den Befreiungskriegen, nach dem Sturze der Napoleonischen Herrschaft, die deutsche Jugend der Universitäten sich auflehnte gegen die freiheitsfeindlichen Beschlüsse der Kabinette und gegen die Ueberwachung durch auswärtige diplomatische Sendlinge, da war die Bewegung der Geister so mächtig geworden, daß ein religiös schwärmerischer und patriotisch begeisterter Student zum Dolche griff, um die Achterklärung, die auf einen dieser Agenten geschleudert worden war, zu vollziehen. Wie in früheren Jahrhunderten ein Abgesandter der Feme sein Opfer aufsuchte, um ihm den Todesstoß zu geben, so wanderte der junge Theologe Karl Ludwig Sand von Jena nach Mannheim, wohin sich der russische Staatsrat August von Kotzebue kurz vorher begeben hatte, und stieß ihn dort am 23. März nieder. Die That erregte ungeheueres Aufsehen, man verurteilte den Thäter, aber man bemitleidete ihn. Kotzebue hatte sich in der letzten Zeit als besoldeter russischer Agent im höchsten Grade verhaßt gemacht. Schon beim Wartburgfest hatten die Studenten Kotzebuesche Schriften dem Scheiterhaufen überantwortet, auf dem mißliebige und geächtete Werke verbrannt wurden. Sand stieß sich gleich nach der That den Dolch in die Brust, erlag aber der schweren Verwundung nicht; am 20. Mai 1829 endigte er zu Mannheim auf dem Schafott.

In demselben Jahre wurde in Frankreich ein politischer Mord begangen, welcher geeignet schien, der ganzen Dynastie der Bourbons, die seit 1815 wieder die Krone dieses Landes trug, den Todesstreich zu versetzen. König Ludwig XVIII. hatte keine Kinder, sein Bruder, der spätere König Karl X., zwei Söhne, von denen der älteste, der Herzog von Angoulême, kinderlos war, so daß die ganze Hoffnung der Dynastie auf dem zweiten, dem Herzog von Berry, ruhte, der nur eine Tochter hatte. Als der Herzog am 13. Februar 1820 aus der Oper kam, wurde er von einem gewissen Louvel, einem Sattler des königlichen Marstalls, mit einem großen Messer erstochen. Der Mörder hatte die That aus fanatischem Haß gegen das bourbonische Regiment vollbracht. Louvels Berechnung erwies sich übrigens als verfehlt; die Herzogin von Berry gebar nach dem Tode ihres Gatten einen Thronerben, Heinrich V., der allerdings nie den Thron besteigen sollte.

Wo sich wie in Frankreich Revolutionen und Staatsstreiche in rascher Folge ablösten, da mußten auch die Attentate auf die Staatsleiter sich öfters wiederholen. Am meisten war das unter der friedlichen Regierung Louis Philipps der Fall, die eine größere Masse von Zündstoff aufhäufte als selbst die Regierungen der volksfeindlichen Bourbonen. Nicht weniger als acht Mordanfälle sind auf den „Bürgerkönig“ gemacht worden, ohne daß ein einziger sein Ziel erreicht hätte.

Am raffiniertesten durch die Art der dabei verwendeten Höllenmaschine und am furchtbarsten in seiner Wirkung war das Attentat Fieschis am 28. Juli 1835. Bei der fünften Feier des Julifestes ritt der König zur Musterung der Nationalgarde und der regulären Truppen mit großem Gefolge die Boulevards entlang, als aus einem kleinen Hause sich eine Explosion entlud, ein ganzer Hagel von Flintenkugeln, welche dicht hinter dem König den Marschall Mortier und eine ganze Anzahl weiterer Personen des Gefolges – im ganzen 18 – töteten und über 20 verwundeten. Dem König streifte eine Kugel die Stirne, eine zweite verursachte eine Quetschung des linken Arms, eine dritte durchbohrte den Hals seines Pferdes. Die neue Höllenmaschine bestand aus einer Verbindung von angeblich mehr als hundert Flinten (nach anderen Zeugnissen sollen es nur 24 gewesen sein), die hinter einem Fensterladen angebracht waren und gleichzeitig losgefeuert wurden. Der Urheber des Attentats war der Korsikaner Fieschi, ein ziemlich verkommener Abenteurer, der bei dem unglücklichen Landungsversuch Murats an der neapolitanischen Küste sich beteiligt hatte, dafür zum Tode verurteilt, aber wieder begnadigt worden war, später wegen Urkundenfälschung zehn Jahre im Zuchthaus gesessen hatte und zuletzt aus einer Anstellung bei der Polizei wegen Veruntreuungen entlassen worden war. Er wurde sofort ergriffen und dann samt zwei Spießgesellen hingerichtet.

Fast ebenso häufig wie Louis Philipp wurde der dritte Napoleon von mörderischen Angriffen bedroht, besonders im Anfange seiner Regierung. Der „Mann des 2. Dezember“ war in seiner Jugend ein Schwärmer für die Freiheit und Einheit Italiens gewesen, ganz wie später die Anhänger Mazzinis, und als der Kaiser nicht hielt, was einst der Prinz verheißen, da galt er in den Augen der früheren Brüder als strafwürdiger Abtrünniger; mancher mochte auch wohl noch hoffen, daß Bedrohung seines Lebens ihn zu einem entscheidennen Schritt zu gunsten des „jungen Italiens“ drängen könnte. Kurz, die Zahl der italienischen Femboten ist keine geringe. Keiner aber hat so schreckliche Arbeit gemacht wie der Graf Orsini – auch er freilich traf das gesuchte Opfer selbst nicht, wie er gewünscht hatte. Das Bombenattentat Orsinis vom 14. Januar 1858 ist das blutigste, das je gegen ein gekröntes Haupt verübt worben ist. Man zählte 141 Tote und Verwundete, darunter 30 von der Polizei. Einer der Verwundeten hatte sich in eine Apotheke begeben und dieselbe rasch wieder verlassen; bald darauf fragte ein Fremder ängstlich nach ihm – es war Gomez, der Diener des Grafen Felice Orsini, der sich inzwischen in sein Versteck zurückbegeben hatte, dort aber verhaftet wurde. Orsini zeigte eine so edle Begeisterung für die Freiheit seines Vaterlandes, daß man den Mörder, der über hundert Unschuldige dem Tode geweiht hatte, fast darüber vergaß.

Aus der italienischen Einheits- und Freiheitsbewegung war dieses Attentat hervorgegangen, und wie es in der Natur solcher Zeiten staatlicher Umwälzungen liegt, hat auch in Italien selbst der politische Mord seine blutige Rolle gespielt. Von dem Ende des Grafen Rossi zu Rom und dem des Herzogs Karl III. von Parma ist schon oben in anderem Zusammenhange die Rede gewesen. Rein politischer Natur war das Attentat des Soldaten Milano auf König Ferdinand II. von Neapel am 8. Dezember 1856. Hier sollte ein tief verhaßter Gegner der Einheitsbestrebungen getroffen werden. Milano, der den König nur am Schenkel verwundete, erreichte mittelbar doch seinen Zweck. Ferdinand wollte von der Wunde kein Aufhebens machen, und durch ihre Vernachlässigung zog er sich ein schweres Leiden zu, dem er nicht ganz 21/2 Jahre nachher erlag.

Mit der italienischen Bewegung hing auch das Attentat auf Kaiser Franz Josef von Oesterreich am 18. Februar 1853 zusammen. Kurz vorher waren dem großen Komplott in Mailand viele österreichische Soldaten zum Opfer gefallen; es waren revolutionäre Aufrufe Mazzinis und Kossuths erschienen, und aufgehetzt von diesem gemeinsamen Ansturm auf die schwarzgelbe Monarchie, war der junge Ungar Libenyi auf den Kaiser, der auf dem innern Wall der Stadt Wien spazieren ging, mit einem großen Messer eingedrungen und hatte ihn im Nacken verwundet. Der Mörder wurde von dem Adjutanten des Kaisers und einem zufällig hinzukommenden Wiener Bürger zu Boden geworfen. Die Wunde war nicht ganz ungefährlich. Der Mörder wurde zum Tode verurteilt und gehenkt.

Als die italienische Einheit schon fest begründet und auf ihren Gründer, König Viktor Emanuel II., dessen Sohn Humbert gefolgt war, machte ein radikaler Fanatiker, der Koch Passanante, am 17. November 1878 in Neapel einen Mordanfall auf den König; doch der mit im königlichen Wagen sitzende Minister Cairoli lenkte den Dolch des Mörders ab, so daß der König nur eine leichte Verletzung erhielt, Cairoli aber schwerer am Beine verletzt wurde. Passanante wurde zum Tode verurteilt, aber zu lebenslänglicher Zwangsarbeit begnadigt.

Die deutsche Revolution von 1848 hat zwar blutige Aufstände, Kämpfe, Belagerungen und militärische Hinrichtungen in großer Zahl aufzuweisen, doch kein politisches Attentat im eigentlichen Sinne. Erst als König Wilhelm I. den preußischen Thron bestiegen, entsprang aus der Enttäuschung eines überspannten Gemüts ein Mordplan. Der junge Student Oskar Becker glaubte eine weltgeschichtliche Sendung zu erfüllen, als er am 14. Juli 1861 in der Lichtenthaler Allee in Baden-Baden auf den König beide Läufe eines scharfgeladenen Terzerols aus nächster Nähe abfeuerte, wobei der Fürst nur unbedeutend verwundet wurde; Becker wollte die That mit seiner Ueberzeugung begründen, der König sei den Umständen nicht gewachsen und nicht fähig, die Einigung Deutschlands herbeizuführen. Er wurde zu zwanzigjährigem Zuchthaus verurteilt, 1866 aber auf Fürsprache des Königs von Preußen von der badischen Regierung begnadigt.

Als dann König Wilhelm nach unvergänglichen Großthaten die deutsche Kaiserkrone trug, da schoß der Klempnergeselle Hoedel

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