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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

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Die Sklaven.

Novelle von Ernst Eckstein.

 (3. Fortsetzung.)

Afra stand wie eine versteinerte Niobe auf dem sonnüberstrahlten Parkweg. Alles rings um sie her war so unheimlich still geworden. Der Wind selbst in den Zweigen der hundertjährigen Ahornbäume klang wie gedämpft. Was hier geschehen war, schien die Unmöglichkeit selbst, und doch sah sie es greifbar vor Augen: Geticus, der wahnwitzige Mörder, tot auf dem Kies, das Gesicht grausig entstellt, die Fäuste geballt, die Stirne von Blut überströmt und dort, den matt hingesunkenen Kopf wider die Bank geschmiegt, schwer atmend, der unglückliche Menenius!

Menenius atmete noch. Und jetzt zuckte er mit der Schulter und bewegte den linken Arm und schien sich aufrichten zu wollen.

Diese Wahrnehmung brachte das junge Mädchen sofort zur Besinnung. Wie ein Wirbelwind flog sie an Lucius Menenius vorüber und schrie in den Xystus hinein, daß die Kolonnen von ihrem Angstrufe widerhallten.

Der Erste, der auf sie zukam, war Nonus Quintilius, der alte Klient. Ihm folgte Ninus, dessen Hilfe ja hier am nötigsten war, und die eben zum Ausgang gerüstete schleifengeschmückte Coronis nebst einigen Kammersklaven. Der Worte unfähig, geleitete Afra die tödlich Erschreckten nach dem Schauplatz der unheimlichen That.

„Geticus . . .“ brachte sie endlich über die Lippen. „Er überfiel ihn . . . der Bube!“

Nun kniete sie neben Lucius Menenius nieder und schluchzte, die Hände ringend. „Ach, mein geliebter Herr! Sprich nur ein Wort! Ein einziges Wort nur, das uns verrät, ob Du noch bei Bewußtsein bist!“

„Gutes Kind!“ hauchte Menenius.

Von allen Seiten strömten die Unfreien jetzt in den Park. Zu Dutzenden umstanden sie, Statuen gleich, den Verwundeten. Geticus, ihr Mitsklave, war der Mörder! „Weh uns, wir alle werden die Missethat büßen!“ Diese Empfindung prägte sich unverkennbar auf den ratlos verstörten Gesichtern aus. Hier und da indes malte sich deutlicher noch das herzinnigste Mitleid. Welch eine Laune des Schicksals! Ein so gütiger und gerechter Herr ward hier vom Lose jener Tyrannen ereilt, die ihre Sklaven wie Tiere behandelten! Er, der Beste, Edelste und Vollkommenste! Er, der treusorgende Vater auch für den Geringsten!

Manch eine drohende Faust hob sich voll Wut gegen den toten Geticus, dessen Frevel so unverständlich, so gegen alle Natur schien.

Einzelne maßen mit unsicheren Blicken den Park, als dächten sie, sich dem drohenden Unheil durch die Flucht zu entziehen. Aber wie aussichtslos war die Flucht eines Sklaven in dieser tausendfach überwachten Weltstadt, wo jeder Freigeborene ein Interesse daran besaß, daß man des Flüchtlings sofort habhaft wurde; wo es neben den zahllosen Polizeisoldaten noch Privatunternehmer gab, die aus dem Einfangen der Entflohenen ein hoch bezahltes Gewerbe machten! Und das alles kam ja so plötzlich! Die Ungeheuerlichkeit des Vorfalls wirkte so lähmend! Kurz, sie verharrten alle wie regungslos, bis auf zwei blutjunge Griechen, die sich am Leichnam des Geticus langsam vorbeischlichen, im Strauchwerk verschwanden und dann, von rasender Angst gehetzt, die Mauer des Parks überkletterten, wo sie alsbald von einigen Schergen des Stadtpräfekten, die eben des Wegs kamen und bei dem Anblick dieser verhetzten Gesichter Verdacht schöpften, angehalten, zur Rede gestellt und verhaftet wurden.

Während der Leibarzt die knieende Afra langsam hinwegschob und mit Hilfe des Heliodorus und des Proviantmeisters den Verwundeten nach dem Schlafgemach trug, hatte sich Nonus Quintilius, der Vermögensverwalter des Hausherrn, hastig entfernt. „Ich gehe den Cajus holen!“ sprach er mit dumpf bebender Stimme.

Diese Absicht jedoch beschäftigte sein erregtes Gemüt erst in zweiter Linie. Wichtigeres für die Interessen des Staates und der Gesellschaft, Bedeutsameres schwebte ihm vor. Er, als ein Freigeborener, hatte von dem Gesetz, das so bedrohlich über den Häuptern der Sklaven schwebte, nichts zu befürchten. Um so mehr lag ihm die Sühnung dieser unglaublichen Missethat und die Bestrafung derer am Herzen, die sich vielleicht mit Geticus heimlich verschworen hatten, jedenfalls aber der gröbsten Versäumnis gegen die Hauptpflicht der Unfreien schuldig waren. Diese Hauptpflicht bestand darin, das ruchlose Vorhaben ihres Mitsklaven rechtzeitig zu entdecken und die That zu vereiteln. Von der Anschauung, diese Vereitlung sei bei redlichem Wollen jederzeit möglich, ging ja die Gesetzgebung aus, wenn sie die Gesamtheit der Sklaven für das Verbrechen des Einzelnen mit so barbarischer Härte verantwortlich machte. Afra zumal schien dem Klienten durchaus nicht so unbeteiligt. Wer, beim Herkules, konnte denn wissen, ob nicht ihre Verzweiflung elende Schauspielerei war? Nonus Quintilius, ein ehrlicher aber beschränkter Mensch, hatte gegen das Mädchen ein Vorurteil. Afra, im Uebermut ihrer Jugend, war unvorsichtig genug gewesen, den wackeren Vermögensverwalter manchmal zu hänseln, besonders seitdem sie wahrgenommen, daß er ihr ab und zu einen zärtliche Blick zuwarf. Der Klient verschmerzte das nicht. Auch für den Leibarzt hegte er keinerlei Sympathie. Als eingefleischter Latiner, der seine Ahnen bis in die Zeit des ersten punischen Krieges zurückführte, konnte sich Nonus Quintilius nicht mit dem Umstand befreunden, daß hier ein Grieche – dazu noch ein Mann aus Kleinasien – so plötzlich ins Haus geschneit kam und sich alsbald in der Gunst des Menenius den vornehmsten Rang sicherte. Auch hielt der Klient sich insgeheim überzeugt, der Leibarzt sei ein durchtriebener Ränkeschmied, der mit den Isispriestern und Mathematikern am nämlichen Seil ziehe. Die Vorgänge heute morgen im Atrium, das unverhoffte Erscheinen des Isispriesters, sein kurzes Zwiegespräch mit Menenius, die eigentümliche Art, wie sich Selencius mit Cajus benahm – alles das war dem Klienten Beweis für die Richtigkeit seiner Vermutung. Einem Asiaten jedoch, der gegen den eigenen Herrn intrigierte, war das Verwerflichste zuzutrauen, selbst eine Blutthat. Geticus spielte vielleicht nur die Rolle des Werkzeugs. Diese Verschwörung mit all ihren Einzelheiten mußte enthüllt werden! Und dann freie Bahn für den zermalmenden Gang des Gesetzes!

So hatte sich Nonus Quintilius denn aufgemacht, um die Soldaten der Stadtwache zu holen. Das Haus sollte umzingelt, sämtliche Sklaven in Haft genommen, der Folter unterworfen und schließlich dem schmählichen Tod überantwortet werden. So heischte es die Gerechtigkeit und die staatserhaltende Klugheit; Nonus Quintilius wollte sich nicht bis ans Lebensende den Vorwurf machen, etwas versäumt zu haben, was für die Sicherheit der Gesellschaft und ihrer Ordnung notwendig schien.

Zweihundert Schritte nur von dem Hause des Lucius Menenius befand sich ein Standplatz der Sänftenträger, die hier für wenige Silberstücke zu mieten waren. Nonus Quintilius wählte sich rasch ein leichtgezimmertes Langbett, das vier stämmige Aethiopier auf die lederbekleideten Schultern nahmen.

„Lauft! Rennt! Fliegt!“ rief er den Leuten zu. „Ich zahle Euch dreifach!“ Die krauslockigen Schwarzen sprengten dahin wie jagende Hirschhunde. Nach sechs Minuten waren sie schon am Ziel. Nonus Quintilius setzte den Polizeikommandanten des Viertels mit hastig hervorgestoßenen Worten von dem Verbrechen in Kenntnis. Die nötigen Maßnahmen wurden alsbald angeordnet. Quintilius hatte nachdrücklich betont, daß hier Gefahr im Verzug sei.

Hierauf ließ der Klient sich mit der gleichen Geschwindigkeit nach dem Vicus Adoricus tragen, wo Cajus Menenius ahnungslos bei dem Quästor Camillus zu Tisch lag. Mitten aus dem vergnüglichen Uebermute des Mahles heraus rief er den Sohn an das Schmerzenslager, vielleicht an das Sterbebett seines Vaters.

Es war ein erschütternder Augenblick, als Cajus, im faltigen Umwurf, das Haupt noch mit Rosen bekränzt, von persischer Koston-Salbe und griechischem Wein duftend, zu Nonus Quintilius ins Ostium trat und hier die furchtbare Botschaft vernahm. Kein Wort brachte er über die Lippen; Totenblässe umflorte sein marmorstarres Gesicht. Die Hand griff mit der Unsicherheit eines Gelähmten nach dem Blumengewinde und zog es langsam aus dem Gelock herab. Das war nun zu Ende für ewig! Ach, und nie, nie würde der Sohn sich verzeihen, daß er geschwelgt und gejubelt hatte, während sein Vater unter dem Dolche des Mörders dahinsank! Dies alles lag in der einen trost- und hoffnungslosen Gebärde.

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