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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Das Predigerkloster.     

Heimstätten der Nürnberger Meistersingschule zur Zeit des Hans Sachs.
 Schulhaus zu St. Lorenzen.

Der Hinweis auf den großen Maler Albrecht Dürer, der, auch aus dem Handwerkerstande hervorgegangen, in der Zeit von Nürnbergs höchster Blüte dort gleichfalls seiner Kunst obgelegen hat und mit dem Sachs die schönsten Züge seines Charakters teilte, darf uns aber nicht zu der Vorstellung verleiten, daß der Aufschwung der bildenden Kunst in Nürnberg, dessen unvergängliche Denkmäler wir in den Meisterwerken von Albrecht Dürer, Adam Krafft, Peter Vischer und Veit Stoß bewundern, ohne weiteres der deutschen Poesie zugute gekommen wäre. Wie die Gedichte und Dramen des Hans Sachs in Bezug auf Kunstvollkommenheit nicht an die Werke dieser bildenden Künstler heranreichen, so hatte sich der Poet keineswegs der gleichen Gunst der Zeitumstände wie sie zu erfreuen. Jene gelangten unter dem Einfluß der Renaissance und des Humanismus zu ihrer Größe – dieser zu der seinen unter dem Einfluß der Reformation. Die unmittelbare Wirkung des Humanismus entfremdete die Poesie in Deutschland der eigenen Sprache und dem eigenen Volkstum und machte sie zum Privilegium der Latein und Griechisch schreibenden Gelehrten, die voll Ueberlegenheit und Verachtung auf das dichterische Treiben der Meistersinger und Schwankdichter ihrer Zeit herabsahen. Auch im Rat der Stadt Nürnberg saßen Patrizier von humanistischer Bildung, denen Dürer reiche Förderung zu danken hatte, von diesen Humanisten aber hat Hans Sachs nie Förderung, vom Rat seiner Vaterstadt nur Maßregelungen erfahren.

Erst die Reformation, welche gleich dem schlichten sächsischen Bergmannssohn, der ihr mächtigster Führer war, aus der Tiefe des Volkes entsprang, machte in Deutschland die Poesie wieder volkstümlich, aber auch nur in den schlichten Formen, welche dem Volke geläufig waren. Unter dem Aufschwung des bürgerlich kritischen Geistes, den sie in jeder Richtung hervorbrachte, wurde die kräftige und deutliche Aeußerung des Gedankens, der Drang nach Wahrheit und Bekenntnis der Wahrheit in so ausschließlicher Weise zur Hauptsache in der Litteratur, die sich nun ans Volk in seiner weitesten Ausdehnung wandte, daß der Kultus der schönen Form darüber vernachlässigt wurde. Als einen solchen, dem besten Kern des Volkes entsprossenen Bekenner des protestantischen Geistes und des von diesem geweckten bürgerlichen Selbstbewußtseins in allen Gewissenssachen muß man Hans Sachs auffassen, um ihm gerecht zu werden. Und seine Bedeutung begreift man erst ganz, wenn man die Bedeutung erwägt, die der Verbreitung dieses Geistes gerade dadurch erwuchs, daß er ihn den schlichten, derben Formen einflößte, in denen damals die Poesie beim Volke beliebt war, daß er die Nutzanwendung der Reformation auf das bürgerliche Leben nicht nur ernst, sondern – wie es oben in Goethes Gedicht heißt – „schwankhaft“ vorzutragen verstand. Die verkünstelten Strophengedichte, die er als „Meistersinger“ zum Vortrag in der Nürnberger Meistersingschule brachte, waren zwar das Werk eines eifrigen Strebens nach Formvollendung, blieben aber in ihrem Wesen und Kern von echter Poesie sehr weit entfernt; als echter lebensfrischer Poet dagegen bewährte er sich zu allermeist in seinen Schwankgedichten und dramatischen Schwänken; sie wandten sich ans Volk und drangen ins Volk; in ihnen bethätigte er sich als der große Volksdichter, als den wir ihn noch heute feiern und lieben.

Hans Sachs als Meistersinger.
Nach einem Tafelgemälde aus dem 17. Jahrhundert.

Am 5. November 1494 ward Hans Sachs als Sohn eines ehrsamen Schneidermeisters in einem bis jetzt noch nicht festgestellten Hause der damaligen Koth-, jetzt Brunnengasse bei der Lorenzkirche geboren. Obgleich für das Handwerk bestimmt, ließ ihn sein Vater vom siebenten bis zum fünfzehnten Jahre die lateinische Schule besuchen, was einen guten Grund für seine spätere Bildung legte. Dann erlernte er die Schuhmacherei. Hans Sachs muß sich in dem erwählten Berufe hervorgethan haben, denn schon nach zwei Jahren, als Siebzehnjähriger, durfte er sich auf die Wanderschaft begeben. Und da sah er sich in unserem deutschen Vaterlande nun recht tüchtig um. In Oesterreich und in Tirol war er, wandte sich dann vom Main aus an den Rhein und besuchte die Kaiserstadt Aachen, zog dann weiter durch Westfalen und Niedersachsen, hatte in Lübeck Gelegenheit, Vergleiche zwischen dieser mächtigen Seehandelsstadt und seiner nicht minder rührigen Vaterstadt im Binnenlande anzustellen, und lenkte über Leipzig und Erfurt seine Schritte der Heimat zu. Von der fünfjährigen Wanderschaft hat der aufgeweckte Jüngling, der regen Geistes und klaren Auges in die Welt schaute, einen reichen Schatz von

Kenntnissen und Erfahrungen heimgebracht, von dem er bis in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 733. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_733.jpg&oldid=- (Version vom 20.9.2023)