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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Seleucius von Alexandria trat ins Freie und bestieg seine Sänfte, die mit zahllosen anderen vor dem Vestibulum wartete, während der Jüngling nach dem menschenerfüllten Empfangsraum zurückschritt. Vergeblich kämpfte er wider die Bangigkeit an, die ihm seit heute früh schon das Herz beklemmte. Ruhig und friedsam in seiner leuchtenden Milde lehnte Menenius zwischen den Säulen und sprach mit dem Proprätor Aulus Tibullus. Und wieder vernahm Cajus den teuren Namen der Mutter. . . . Dieser Name verkörperte ihm das ganze reine makellose Familienleben, das hier inmitten der sonst so verderbten Weltstadt so herrlich emporgeblüht war. Und nun stand er, der Sohn dieses Vaters und dieser Mutter, allen Grundsätzen der Religion, des Rechts und der Ehre zum Trotz, im Begriff, eine Missethat zu begehen, die darum nicht minder schwer in der Schale des göttlichen Zornes wog, weil seine Mitschuldige in unerhörter Leichtmütigkeit ihm entgegenkam . . .

Ein paar Augenblicke noch schwankte er. Noch war es ja Zeit, noch konnte er, wie Selencius spöttisch ihm vorgeschlagen, zurücktreten. Gleich danach aber siegte der Drang seiner unseligen Leidenschaft. Er hatte die schöne Vestalin Rutilia vor etwa sechs Wochen bei den großartigen Kampfspielen gesehen, die der Quästor Camillus im Flavischen Amphitheater zum besten gab – und sofort war er in unauslöschlicher Liebe entbrannt. Alle die zahlreichen Hindernisse, die einer so strafbaren und gefahrvollen Neigung im Wege standen, hatte der schlaue Seleucius glücklich hinweggeräumt. ... Und nun sollte sich Cajus, da er am Ziele war, jämmerlich abschrecken lassen? Er sollte das aufgeben, was er in so verzehrender Inbrunst erstrebt hatte? Lieber das Schlimmste!

Er schüttelte mit Aufbietung aller Kraft die peinvollen Anwandlungen dieser Minute ab. „Lieber das Schlimmste!“ wiederholte er sich, die Fäuste ballend.

Bei der Rastlosigkeit seines Gemüts aber litt es ihn fürder nicht in der Nähe des Vaters. Er verließ heimlich das Haus, noch ehe sich das Atrium völlig geleert hatte, und sandte dann zwei Stunden nach Mittag einen Boten mit einer Wachstafel, auf der die Worte standen: „Ich speise beim Quästor Camillus.“

In der Gesellschaft dieses humorvollen Mannes fand er noch am leichtesten Balsam für seine Ungeduld und Ablenkung von dem heimlichen Bohren und Nagen seines Gewissens.

(Fortsetzung folgt.)


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Das Ornament im Kunstgewerbe.

Von Georg Buß.

Wer an reich besetzter Tafel sitzt, gerät in Gefahr, sich zu überessen. Unser Kunstgewerbe macht gegenwärtig den Eindruck, als sei dieser wenig erfreuliche Zustand der Ueberladung bei ihm eingekehrt. Seinen Jüngern sind im Laufe der seit fünfundzwanzig Jahren sich vollziehenden Reformbewegung die Ornamente aller Stilepochen und des Orients in so überschwenglicher Menge vorgesetzt worden, daß jegliches Gerät unter ihren Händen zum Ornament oder zu einem Mosaik von Ornamenten geworden ist. Man ist mehr und mehr in die verfehlte Auffassung geraten, daß ein wesentliches Kennzeichen einer kunstgewerblichen Leistung in reicher ornamentaler Ausstattung bestehe, und ihre Unterstützung hat diese Anschauung in einem Zeichenunterricht gefunden, der sich fast ausschließlich auf eine überlieferte Ornamentik zuspitzt und mit dem Vorführen zahlreicher, aus dem Organismus losgerissener Ornamentbrocken wenig imstande ist, das Verständnis des Schülers dahin zu fördern, daß das Ornament nur schmückendes Beiwerk sein darf, welches sich dem Ganzen selbstlos unterzuordnen und die Schärfe der Konstruktion nicht zu beeinträchtigen hat. Tritt ein solcher Schüler in die Praxis, so sucht er seinen Schatz angelernter Ornamente nach Möglichkeit anzuwenden, denn – „wir sind ja kunstgewerblich!“

Was diese Sucht zu ornamentieren uns gebracht hat, ist ein prunkvoller Reichtum und eine erhebliche Verteuerung kunstgewerblicher Leistungen, so daß die solideren sich schon wieder fast nur an die Kaufkraft der oberen Zehntausend wenden, während das mäßig bemittelte Bürgertum mit Gegenständen „beglückt“ wird, bei welchen der Handwerker bezw. Industrielle die Kosten für das Ornament wieder herauszuschlagen sucht durch Minderwertigkeit des Materials und der technischen Arbeit.

Hand in Hand mit dieser Ueberladung geht das Bestreben, jedem Ding und, weiter gefaßt, jeder Einrichtung ein bestimmtes historisches Stilgepräge mit Hilfe der herkömmlichen Ornamentik aufzudrücken. Es hat sich für bessere Einrichtungen geradezu eine feste Schablone gebildet, nach welcher die Wahl des Stils für die einzelnen Zimmer getroffen wird; man speist in deutscher Renaissanceumgebung, trinkt den Thee im japanischen oder englischen Gemach, huldigt den Wissenschaften in barocken Bibliothek- und Arbeitszimmern, bewährt sich als Mann oder als Frau von Welt in dem Rokokosalon und schläft und macht Toilette im Rokoko-, Zopf- oder Empireschlafzimmer. Der Herr Dekorateur oder Tapezierer kommt und gieht der Einrichtung die höhere Weihe, daß sie auch „stilvoll“ erscheine; er arbeitet mit einer Unmenge von Stoffen, legt sie in malerische Falten über Spiegel, Sofas, Betten, Thüren und Fenster, baut Baldachine auf, breitet ein halbes Dutzend orientalischer Gebetteppiche und etliche Tiger- oder Bärenfelle über den Boden, wirft über das Chaiselongue in genialem Wurf eine farbenreiche Decke, daß sie über den Boden schleppt, und bedenkt leider nicht, wie durch diesen textilen Aufwand ein wahres Staubnest geschaffen wird und dem Zimmer Luft und Licht, die ersten Bedingungen eines gesunden Wohnens, verloren gehen. Sich für einen solcheu Ateliergeschmack, welcher die Benutzbarkeit und die gesunde Wohnlichkeit der Räume geringer anschlägt als den theatralischen Aufputz, zu begeistern, geht nicht an. Aber er macht sich leider in bedauernswertester Weise breit und beeinflußt, besonders durch seine Herrschaft auf den Ausstellungen, den Geschmack des weniger urteilsfähigen Publikums.

Dringt man tiefer in die Einrichtungen ein, betrachtet man die einzelnen Möbel, so ist das Ergebnis noch weniger erfreulich, als es auf den ersten Blick scheinen mochte. Im Speisezimmer ist insbesondere das Büffett ein wahrer Ausbund ornamentaler Ueberschwenglichkeit geworden. Eine übertriebene Häufung kleiner und kleinster scharfkantiger und an den Ecken spitz vorladender Profile in Verbindung mit einem erstaunlichen Aufwande von Säulen, Pilastern, Karyatiden, Konsolen, Nischen, Balkönchen, Galerien, Giebeln, Spitzen und geschnitzten Füllungen – so stellt sich das Möbel dar, ohne daß doch in den meisten Fällen seine Wirkung eine angenehme wäre, denn es fehlen die ruhigen Flächen und nur zu oft die feinen Verhältnisse im Aufbau. Dieser zwecklose, in der Konstruktion nicht begründete Ornamentenschwall regt geradezu zum Spott an, denn wer soll ernst bleiben, wenn sich die Säulen oder Karyatiden, welche scheinbar mit höchster Anspannung ihrer Kräfte das Gebälk tragen, beim Oeffnen irgend einer Thüre um ihre Achse drehen und die Architektur scheinbar lebendig wird. Man empfindet, hier wird Täuschung angestrebt, während das Wesen jeder echten und tüchtigen Kunst die lautere Wahrheit sein soll. Diese Täuschung ist auf einen groben Effekt berechnet und mindert die Benutzbarkeit eines solchen Möbels derart herab, daß sich mit Fug und Recht von Paradebüffetten reden läßt. Der untere Kasten liegt so tief, daß die Hausfrau bei seiner Benutzung auf den Knien herumrutschen muß, der obere so hoch, daß sie eines Stuhles bedarf, um in die höchsten Gefache hineinzulangen. Werden größere Gegenstände, wie Karaffen, Flaschen oder Terrinen, auf die Platte gestellt, so laufen sie Gefahr von den oberhalb sich öffnenden Thüren umgestoßen zu werden. So steht als gewaltiges „Prachtmöbel“ das Büffett im Speisezimmer da, ohne großen Nutzen zu gewähren und vorwiegend bestimmt zum Schaustellen etlicher Prunkgeräte.

Diese Prunkgeräte – auch bei ihnen spielt der ornamentale Karneval eine Rolle, und es blitzt und blinkt die Bronze oder das cuivre-poli oder das Silber infolge der übermäßigen reliefierten Ornamentik mit tausend Glanzlichtern. So stehen diese Prunkgeräte in den Nischen und auf den Eckbrettern des Büffetts, auf den Borten an den Wänden und über dem Paneelsofa, als meist unbenutzbare, nur zum Anschauen bestimmte Ausstattungsstücke da, welche mit der Zeit dem Beschauer langweilig werden, weil sie nicht durch häufigen Gebrauch in innige Beziehung zu ihm treten.

Aehnlich dem Büffett erscheint das Paneelsofa – mit einer senkrecht und hoch aufsteigenden Lehne, welche auf die Biegung des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 706. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_706.jpg&oldid=- (Version vom 26.3.2023)