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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„sind nur Modulationen einer und derselben himmlischen Melodie – – die Sonnenstrahlen kommen als Wärme zu uns und verlassen uns auch als solche. Aber zwischen ihrer Ankunft und ihrem Weggang entstehen daraus die mannigfaltigen Kräfte unseres Planeten; und sie sind ohne Ausnahme eigentümliche Formen der Sonnenkraft oder ebensoviele vorübergehende Verwandlungen, welche sie auf ihrem Wege von ihrem Ursprung zum Unendlichen durchmacht.“

Somit huldigten die alten Aegypter bereits einer vollständig richtigen Vorstellung, als sie auf den Sonnentempel in Philä die Worte als Inschrift setzten: „Sie (die Sonne) ist es, welche alles gemacht hat, was ist; und nichts giebt es, das ohne sie jemals gemacht worden wäre.“

Wir schließen diesen Aufsatz mit den begeisterten Worten des französischen Naturforschers Onimus:

„Die moderne Wissenschaft ist das schönste der Gedichte – – der menschliche Geist befindet sich im Angesicht der Entdeckungen und Verallgemeinerungen der modernen Wissenschaft, wie Rumford sagt, ohne Aufhören im Angesicht eines Wunders, welches selbst Miltons Phantasie in Schatten stellt. Es ist so großartig und erhaben, daß derjenige, welcher sich ihm hingiebt, einer gewissen Charakterstärke bedarf, um nicht geblendet zu werden. Die Winde, die Flüsse, alle Erscheinungen der Natur wie der Kunst sind die Kinder eines Teiles der Sonnenkraft. Derselbe Sonnenstrahl, welcher auf unssere Erdkugel fällt, erzeugt, ehe er in der Form der Wärme in den Weltraum zurückkehrt, den befruchtenden Tau, die duftende Blume mit ihren glänzenden Farben, den Baum, welcher heute die Luft von Kohlensäure reinigt und morgen unsere Maschinen treibt oder uns widerstandsfähig gegen die Unbilden der Witterung macht. Ja, alles dieses stammt aus der nämlichen Quelle ebenso wie alle Erzeugnisse menschlicher Civilisation. Sonnenkraft ist die Kraft, welche mir gestattet, mich zu bewegen und zu empfinden, ebenso wie die Bewegung des Blutes in meinen Adern oder die Beweguug meines Armes, welcher in diesem Augenblick meine Feder führt, oder der Gedanke, welchen ich wiederzugeben versuche, oder das Vergnügen, welches ich empfinde, indem ich diese Arbeit mit den Worten meines Vaters schließe: ,Ueberall Verwandlung – nirgendwo Vernichtung. In der organischen wie in der physischen Welt, in den lebendigen wie in den toten Körpern ist ununterbrochene Bewegung. Vollkommene Ruhe giebt es nicht. Alles verwandelt sich, und aus dem Schoß des Staubes erblüht ununterbrochen neues Leben.“


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Die Sklaven.

Novelle von Ernst Eckstein.

 (1. Fortsetzung.)

Als Lucius Menenius zu Anfang der zweiten Nachtwache heimkam – Cajus verweilte noch etwas länger bei dem lebenslustigen Gastgeber – fand er die beiden Kammersklaven, die er zu seinem persönlichen Dienst bestellt hatte, auf den Ruhebänken vor dem teppichverhangenen Eingange fest entschlummert.

Die jungen Leute, zwei straffe Sigambrer, Zwillingsbrüder, hatten während der musikalischen Vorträge im Xystus nach altgermanischem Brauch eifrig gebechert, zumal der Tag außerordentlich heiß war.

Lucius Menenius, der wohl wußte, daß er, wenn’s galt, auf diese zwei blondmähnigen Löwen da unbedingt zählen konnte, war in derartigen Ausnahmefällen nachsichtig wie ein gütiger Philosoph. Er wehrte den Fußfolgern, die bei dem Anblick der beiden Schläfer Miene machten, sie unsanft zu wecken, und hieß sie die Fackeln löschen und alsbald ihre Lagerstatt aufsuchen.

„Seid unbesorgt!“ sagte er lächelnd. „Drinnen brennt ja die Ampel, und von den Feldzügen gegen die Parther bin ich wohl Schlimmeres gewöhnt, als mir ’mal eigenhändig die Schuhe zu lösen. Nein, geht nur! Ich danke Euch! Jeder nach seinem Amt! Ich will nicht, daß meine Leute mir hinterrücks nachsagen: der Alte mißbraucht uns! Euch Spitzbuben kennt man!“

„Herr,“ stammelte einer der Fußfolger, der die liebenswürdige Scherzhaftigkeit dieses Tones nicht gleich begriff, „ich beteure Dir …“

„Rebellisches Volk!“ lachte Menenius. „Ob Ihr gehorcht! Zudem geh’ ich noch gar nicht zu Bett. Ihr kennt ja meine Gepflogenheit, erst noch ein Weilchen zu lesen. Marsch! Weckt mir die beiden Flachsköpfe nicht! Ein Skandal! Ich werde befehlen, daß ihnen künftighin mehr Wasser unter den Wein gemischt wird! Freilich, er lockt, der süße dunkelrote Kampanier! Gute Nacht, Kinder!“

„Friede und Schlaf und allen Segen der Gottheit über Dein Haupt!“ sagten die Fußfolger.

Sie hatten die Handlampe auf dem steinernen Postament hinter der Säule angezündet und ihre Fackeln mit dem Asbesttuche ausgedrückt. Nun schritten sie durch den Schlundgang ins Peristyl und erklommen auf schmaler Holzstiege das Obergeschoß, wo sich die Wohnungen der Sklaven befanden.

Lucius Menenius trat in sein Schlafgemach. Hier herrschte eine erquickliche Temperatur. Den ganzen Tag über war das Zimmer verhangen gewesen. Nach Sonnenuntergang hatte Afra den Vorhang zurückgeschoben und das einzige Fenster geöffnet, das, ein kleines vergittertes Viereck, dicht unter den Balken der reich kassettierten Decke lag. Ein kühlender Luftzug strömte durch den behaglich eingerichteten Raum und bewegte das Licht der Ampel, die an drei silbernen Ketten über dem Einfußtische zu Häupten des Lagers hing.

Auf der Tischplatte stand eine Metallschüssel mit Früchten, eine etrurische Kanne mit einem citronenduftigen Trank, der noch frisch sein mußte – denn das Gefäß war mit Tau beschlagen und ein Ebenholzkästchen mit der vergoldeten Aufschrift „DELICIAE MEAE“. Unter diesen „deliciae“, dieser „Wonne“ des Lucius Menenius waren seine vier Lieblingsschriftsteller gemeint, deren Hauptwerke er in prächtig ausgestatteten Exemplaren hier aufhob: Ennius, Tacitus, Plato, Homer.

Vor dem Kästchen aber, auf einer waasergefüllten Schale, prangten die herrlichen Rosen Afras, deren köstlicher Duft, nicht stark und betäubend, sondern nur wie ein träumerisch sanfter Hauch, ihm leise entgegenwehte.

Ein Lindenholztäfelchen barg sich halb zwischen den Blüten. Menenius zog es hervor und las da in schlanken rötlichen Buchstaben:

„Erstlinge seines Geheges, begrüßen wir fromm den Gebieter,
0 Fleh’n der Unsterblichen Huld heiß auf den Teuren herab.
Himmlische Gnade bedeutet der Nachtgruß blühender Rosen:
0 Schenk’ ihm das Beste, o Zeus! Keiner verdient es wie er!“

Menenius nickte gerührt. Er kannte die Handschrift. Es war nicht das erste Mal, daß die dankbare Afra ihn mit solchen Aufmerksamkeiten erfreute, ihn und seine geliebte Gattin, die jetzt fern am Gestade von Bajä volle Genesung suchte. Das reizende Kind! Und wie hübsch sie die wohlklingenden Verse da zusammengefügt hatte! Wirklich, das blonde Geschöpf mit den großen nachdenklichen Augen war ein Stück von einer Dichterin!

Lucius Menenius warf die Toga von seinen Schultern und setzte sich auf die Bettstatt. Noch einmal überlas er die Verse, langsam und andachtsvoll. Kam es ihm nur so vor oder lag wirklich in diesen Worten ein tieferer Sinn verborgen? Frauengemüter haben ja oft etwas Rätselhaftes und Ahnungsvolles.

Mit halblauter Stimme sprach Lucius Menenius das letzte der beiden Disticha vor sich hin:

„Himmlische Gnade bedeutet der Nachtgruß blühender Rosen:
0 Schenk’ ihm das Beste, o Zeus! Keiner verdient es wie er!“

Und plötzlich versank er in eine wehmütig ernste Stimmung. Das Festmahl beim Quästor Camillus war heiter gewesen, fast übermütig. Ein geistreicher Deklamator hatte die Gäste mit launigen Epigrammen und witzsprühenden flott gedrehten Satiren ergötzt. Menenius selbst neigte durchaus nicht zur Düsterkeit, wenn er auch mäßig war und nicht jeden Kelch ungestüm bis zur Hefe genoß. Jetzt aber fühlte er ein heimliches Weben und Rauschen wie vom Walten des Schicksals.

Das nächtliche Haus mit seinen Höfen und Säulengängen lag in schweigsamer Finsternis. Von der Schwelle her klangen die regelmäßigen Atemzüge der beiden Sigambrer. Verschlafen regte sich der kaum noch plätschernde Strahl des Alabasterbeckens im Peristyl. Sonst alles lautlos und feiernd, müde gleichsam von den Gluten des Tages, der heiß und wolkenlos über der Weltstadt dahingezogen …

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_702.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2023)