Seite:Die Gartenlaube (1894) 684.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

zu dem elenden Schleicher und Giftmischer paßt! Beim Herkules, eher hätt’ ich mir träumen lassen, Du könntest den breitnasigen Küchengesellen, der sich da gestern verbrüht hat, zum Adonis erwählen! Ein Gaukler und Komödiant, der sich mit seinem Firlefanz überall aufspielt und das Vertrauen stiehlt wie der Marder die Vögel! Und dazu noch ein grämlicher unfrischer Tropf, hoch in den Dreißigen . . .“

„Einunddreißig, wenn Du erlaubst!“ sagte die junge Sklavin, der dieser eine Punkt wichtiger schien als die maßlosen Schimpfereien, mit denen sich Geticus an den Charakter ihres Geliebten wagte. „Einunddreißig im vorigen März!“

„Auch das ist um zehn Jahre zu alt für Dich – dazu noch bei dieser Blutlosigkeit und Oede! Jämmerlich! Ein Gesicht wie ein Leichnam! Kein Hauch darin, der von Leben und Liebe spricht!“

Afra wiegte bedächtig den Kopf. Ein Zug von Mitleid spielte um ihren Mund. „Wie Du Dich erbosest, Geticus,“ sagte sie gleichmütig. „Laß es doch meine Sorge sein, ob Ninus alt oder jung, schön oder häßlich ist! Du redest ja so doch nur aus Groll- und Bitternis. Innerlich bist Du Dir vollständig klar darüber, daß unter sämtlichen Hausgenossen keiner mit Ninus sich messen kann. Ninus ist stattlich und edel wie ein Senator, dabei die Güte und Liebe selbst und ein richtiger Mann, kein thörichter Knabe, der sich vom Sturm der Leidenschaft hin und herrütteln läßt. Er hat Selbstbeherrschung gelernt und beherrscht dadurch andere. Von seinen Talenten, von seinem großen Verdienst um das Haus des Menenius will ich hier gar nicht reden . . .“

„Da steckt’s!“ rief Geticus. „Das bißchen Gelehrsamkeit, und weil er’s verstanden hat, sich bei Lucius Menenius gehörig einzuschmeicheln, das hat Dir den Kopf verdreht. So sind die Weiber! Ein Schauspieler trägt immer den Sieg davon, wo er mit einem ehrlichen Menschen zusammentrifft!“

„Du ehrlicher Mensch!“ erwiderte Afra spöttisch. „Ich bitte Dich, sei doch künftighin lieber ein Schauspieler wie dieser Halbbarbar! Dann wird Dich Lucius Menenius nicht einsperren, sondern mit Thränen im Auge Dich in die Arme schließen und Dir die Freiheit schenken, auch ohne daß Du den Umweg über die Leichtfertigkeiten des Sohnes nötig hättest . . . Ja, staune Du nur! Zum kommenden Saturnalienfeste wird Ninus, der Gaukler, nicht nur den Freibrief erhalten, sondern das volle römische Bürgerrecht!“

„Unmöglich! Wofür?“

„Du kannst noch fragen? Besinne Dich doch! Ninus allein, wie Du weißt, hat die verzehrende Sucht unserer Gebieterin richtig erkannt und die Kranke geheilt, während die übrigen Aerzte, sogar der berühmte Chaldäer des Quästor Camillus, ratlos im Finftern tappten! Das bißchen Gelehrsamkeit hat ihr das Leben gerettet – und den Menenius vor der Verzweiflung bewahrt. Und wie bescheiden, wie schlicht bleibt Ninus trotz alledem! Geh’ und bitt’ ihm Deine Gehässigkeit ab! Mich aber sollst Du nicht wieder anreden, wenn Du in dieser kläglichen Mißgunst verharrst! Merk’ Dir das, Geticus!“

Sie warf ihm einen empörten Blick zu und schritt achselzuckend an ihm vorbei. Der letzte Schimmer der Abendsonne lag breit und goldig über den Buchsbaumhecken und spielte in tanzenden Lichtern auf den schneeweißen Armen, die aus der krokusfarbigen Tunika warm und wonnig hervorblühten. Das schön geknotete Haar mit den beiden Metallreifen, die rotverschnürten Sandalen, die zierlich geformten Knöchel – alles schien herrlicher, holder, lebendiger . . .

Geticus verschlang dieses Bild mit brennenden Augen. Als sie verschwunden war, schüttelte er mit einem furchtbaren Schrei die geballte Faust. „Fluch ihm!“ knirschte er durch die Zähne. „So lang’ ich noch atme, niemals – – und müßt’ ich die Welt aus den Angeln heben!“

(Fortsetzung folgt.)


Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Deutsche Städtebilder.

Arolsen.
Von J. Schwabe.
Mit Zeichnungen von Olof Winkler.

Großmächtige volkreiche Gemeinwesen mit stolzen Straßen und Palästen, mit wogendem Verkehr, Mittelpunkte der Kunst, des Handels, der Industrie, Musterstätten hygieinischer Fürsorge, Schauplätze tausendjähriger Geschichte – von Städten solcher Art pflegten sonst wohl Bilder in diesen Blättern entworfen zu werden. Gewaltiges Vorwärtsdrängen, ein reges, hastiges, modernes Leben dort – wie ganz anders das Bild, das wir heute dem Leser vor Augen zaubern möchten! Als zögen wir ein in Dornröschens verzaubertes rosenumranktes Schloß, so liegt sie vor uns, Deutschlands kleinste Residenz, so still und weltentrückt und so schön umsponnen wenn nicht von Rosen, so doch von grüner Wälder traulichem Kranz.

Das Rauchstift mit dem Rauchdenkmal.

Klein und bescheiden sind hier die Häuser der Bürger, vereinzelt nur unterbricht ein menschlicher Schritt, eines Wagens Gerassel die ländliche Stille der Straßen, hier haben die Menschen noch Ruhe und Zeit zum beschaulichen Genießen eines in seinen Grenzen zufriedenen Daseins. Große welterschütternde Ereignisse verknüpfen sich nicht mit dem Namen Arolsen, nur Idyllen und Geschichtchen genrehaften Gepräges haben seine Mauern zu erzählen. Hie und da freilich entfaltete auch hier sich lautes festliches Treiben, just wie im Märchenschlosse Dornröschens, aber nicht bloß einmal kam ein Königssohn aus der Fremde, sich aus dem altertümlichen Schlosse die Braut zu holen. Für kurze Wochen erfüllte da prunkendes Leben, rauschende Hochzeitslust die Stadt und das Fürstenhaus – dann aber wurde es wieder still und einsam wie zuvor. Und jetzt rüstet sich unser Arolsen abermals zu einem Feste, nicht, um einer Tochter seines Fürstenhauses das Geleite auf einen fremden Thron zu geben, sondern den Landesherrn selbst mit seiner jungen Gewahlin willkommen zu heißen.

Es ist erst sehr kurze Zeit her, daß der Pfiff der Lokomotive zum erstenmal in den traumhaften Märchenzauber dieses Fleckes Erde hineintönte, daß Arolsen durch eine Eisenbahn mit der übrigen Welt in Verbindung gesetzt wurde. Von der Linie Kassel-Elberfeld bei Warburg abzweigend, führt die Nebenbahn in einer kleinen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_684.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2023)