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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


gelten! Wer von allen diesen Herren hätte sich um ein armes Mädchen gekümmert! Wie schade, daß der Bruder lebte! Wie vorteilhaft, wenn er nie wieder auftauchte! Konnte man dem Schicksal durch zweckmäßige Maßnahmen nicht etwas in die Hände arbeiten?

Fräulein von Rohan teilte ihre Gedanken und Wünsche andeutungsweise dem oben bereits erwähnten Herrn von Ruvigny mit, der unter ihren Verehrern in erster Reihe stand. Sofort griff dieser die Idee einer Entführung Tankreds auf. Was Margarete nur schwankend in Erwägung gezogen hatte, war nach Ruvignys beredten Darlegungen eine erlaubte, ja notwendige Maßregel der Lebensklugheit. Zwei seiner Freunde, die beide als Kapitäne im Heere dienten, nahmen mit Freuden die Entführung in die Hand. Das Fräulein sagte wohl, es werde nur einen Fürsten heiraten, aber man konnte nicht wissen, wie sie sich einmal entschied. Vielleicht belohnte doch die Hand der reichen Erbin den Glücklichen, der ihr das reiche Erbe erst gesichert hatte.

Den Vorbereitungen, welche nun zur Entführung Tankreds getroffen wurden, blieb das Fräulein von Rohan ganz fern; ihre Freunde handelten für sie, ohne ihre Ruhe durch Fragen und Erörterungen zu stören. Vermöge einer Willkür und eines Mißbrauchs, die in civilisierten Ländern heute nicht mehr möglich wären, erschien einer der Kapitäne mit einer Abteilung maskierter Soldaten zu Anfang des Jahres 1638 vor dem Schlosse Préfontaine und brachte den Schloßherrn durch Drohungen und durch die Auszahlung einer beträchtlichen Summe Geldes dahin, den damals in seinem achten Lebensjahre stehenden Tankred auszuliefern. Ruvigny ließ den Knaben erst nach einem Kloster Montreuil schaffen, dessen Oberin eine Verwandte Ruvignys war, und brachte ihn darauf persönlich nach einem Schlosse bei Calais. Der andere Kapitän, ein Herr von La Sauvetat, der bei einem den Holländern zu Hilfe geschickten Regimente stand, holte das Kind von Calais wieder ab und übergab es einem Dorfschullehrer im nördlichen Holland. Herr von La Sauvetat bezahlte ein bescheidenes Pensionsgeld, das jedoch nicht aus seiner, sondern aus Fräulein von Rohans Tasche floß. Tankred wurde angewiesen, fortan auf den Namen Karl zu hören. Er mußte die Frau des Lehrers „Mutter“ nennen und wurde ganz so erzogen, unterrichtet und gekleidet wie die Dorfkinder.

Wohl sträubte sich der Knabe gegen diese Aenderungen; er sagte, er habe früher seidene Kleider und einen schönen Wagen gehabt; aber nach einigen Wochen erlahmte sein Widerstand. Daß er ein Sohn des herzoglichen Hauses Rohan war, wußte er selbst nicht. Er glich einem armen Dorfjungen, und niemand in der ganzen Provinz kümmerte sich darum, ob er das echte oder das angenommene Kind des Lehrers sei. Von einem Familiennamen, der dem Knaben zugelegt worden wäre, verlautet aus dieser Zeit nichts. Dem Lehrer war die Abstammung seines Zöglings ebenfalls unbekannt; er sah in ihm nur einen von Herrn von La Sauvetat unterhaltenen Pensionär und stellte keine weiteren Fragen.

Die Entführung Tankreds war somit glücklich gelungen; es galt nun, die Herzogin von Rohan von allen Nachforschungen ein für allemal abzubringen. Von den verbündeten Freunden des Fräuleins von Rohan angestiftet und unterwiesen, sandte Herr von Préfontaine einen seiner Söhne an die Herzogin nach Paris mit dem Vorgeben, daß Tankred plötzlich schwer erkrankt sei; sie möge unverweilt einen tüchtigen Pariser Arzt senden, der den Knaben in Behandlung nehme. Sogleich kam die Mutter dieser Aufforderung nach; in Durchkreuzung der Pläne ihrer Gegner selbst an das Krankenbett ihres Kindes zu eilen, mußte sie, wie jenen sehr wohl bekannt war, auch jetzt vermeiden, wen sie nicht das so lange mit Erfolg gehütete Geheimnis der Abstammung Tankreds gefährden wollte. Der Arzt, den sie mit der dringenden Bitte, für die Rettung des Knaben sein Möglichstes zu thun, nach der Normandie sandte, stieß unterwegs infolge der von den Verbündeten getroffenen Vorkehrungen auf einen ihm entgegen gesandten Boten des Herrn von Préfontaine: die Weiterreise sei unnötig geworden, ließ der treulose Schloßherr bestellen, denn der Knabe sei bereits verstorben. Die Richtigkeit dieser Angabe in Zweifel zu ziehen, hatte der Arzt keinen Grund, und so sparte er sich weitere Reisebeschwerden und weiteren Zeitverlust und kehrte mit der Nachricht vom Tode des Knaben nach Paris zurück. Auch die Herzogin hegte keinerlei Argwohn. Nie war ihr, wenn ihr auch ihre Tochter innerlich fern stand, der Gedanke gekommen, daß diese fähig sein könnte, ein Verbrechen gegen den eigenen Bruder anzustiften oder zu begünstigen.

Beinahe wäre jedoch die Wahrheit schon jetzt an den Tag gekommen. Ein Gerücht, welches von der Entführung Tankreds durch maskierte Soldaten ungewisse Kunde gab, drang aus der Normandie bis zur Herzogin. Sie sandte darauf einen langjährigen Diener ihres Hauses ab, um an Ort und Stelle Nachforschungen anzustellen. Aber der Diener kam mit dem Bescheide zurück, daß das Gerücht irrig sei, und daß das Kind, von dessen Entführung man fabele, im Grabe ruhe. Daß der Diener nur deshalb so aussagte, weil die verbündeten Gegner durch den täglich im Hause der Herzogin verkehrenden Herrn von Ruvigny seine Absendung erfahren und ihn bestochen hatten, das ahnte die Herzogin nicht. Ueber den in ihren Augen nun nicht mehr anzuzweifelnden Verlust des einzigen Sohnes tief betrübt, schickte sie einen Boten mit der Todesnachricht an ihren im Feldlager am Oberrhein weilenden Gemahl.

Der Herzog von Rohan hatte, bevor diese Botschaft ankam, ebenfalls von jenem Gerücht erfahren, welches von der Entführung Tankreds durch maskierte Soldaten meldete. Er schrieb darüber in großer Bestürzung an die Herzogin und erbat sich genauere Nachricht; er sei überzeugt, sagte er in dem Briefe, daß nur der Kardinal Richelieu die Entführung ins Werk gesetzt haben könne. In der That ließ ja die Verwendung von Soldaten viel eher den Schluß zu, daß die Staatsgewalt, als daß eine Vereinigung von Privatpersonen die Hand im Spiele gehabt habe. Kurz darauf traf jener Bote mit der Anzeige ein, daß Tankred an einer plötzlich ausgebrochenen Krankheit schnell gestorben sei. Der Herzog, der noch nichts Näheres wußte, verband in seinem festgewurzelten Argwohn gegen den Kardinal beide Nachrichten dahin, daß der Tod seines Sohnes ebenso wie die Entführung durch Richelieu veranlaßt sein müsse. Einige Tage später fand die Schlacht bei Rheinfelden statt, in welcher der Herzog durch zwei Schüsse schwer verwundet wurde. Auf dem Krankenbett schrieb er an seine Gemahlin noch einen kurzen Brief, worin er erklärte, der Kummer um seinen Sohn verzögere die Genesung. Als er sein Ende nahe fühlte, bestimmte er durch ein Testament, daß seine Tochter, die er ja nun für sein einziges Kind halten mußte, den ganze Besitz seines Hauses erben sollte, soweit er nicht durch ausdrückliche hausgesetzliche Bestimmungen wegen Mangels eines männlichen Nachkommen an Seitenlinien fiel. Am 13. April 1638 starb der Herzog und wurde in Genf begraben.

Des Herzogs Ueberzeugung, daß der Kardinal Richelieu in die Schicksale des Kindes eingegriffen habe, war sicherlich unbegründet, aber sie war geeignet, die Aufmerksamkeit der Herzogin von den wirklich schuldigen Personen auch fernerhin abzulenken.

Im Jahre 1641 brachte Herr von La Sauvetat den nun elfjährigen Tankred nach Leiden und übergab ihn einem Kaufmann Namens Potheuck. Fräulein von Rohan, die nun reich war, scheint jetzt ein höheres Pensiousgeld bezahlt zu haben als früher, denn Tankred besuchte die höheren Schulen in Leiden. Man plante, ihn später nach Ostindien einzuschiffen.

Inzwischen wurde Fräulein von Rohan nicht nur von einer stattlichen Schar von Freiern, denen sich ein Prinz von Savoyen und ein Prinz von Lothringen zugesellt hatten, sondern auch vom königlichen Hofe aus gedrängt, sich endlich zu einer Heirat zu entschließen. Einer der Freier, ein Herr von Chabot, erfreute sich der Fürsprache des Herzogs von Orleans und des Prinzen von Condé und auf deren Verwendung hin auch der Königin Anna und des Kardinals Mazarin, der im Jahre 1642 nach Richelieus Tode die Führung der Staatsgeschäfte übernommen hatte. Auch persönlich wußte sich Herr von Chabot bei dem Fräulein in Gunst zu setzen, und so trug er über seine fürstlichen Mitbewerber den Sieg davon. Trotz des Widerspruchs der Herzogin von Rohan, ihrer Mutter, die an dem geringen Herkommen und noch mehr an dem katholischen Glaubensbekenntnis des Herrn von Chabot Anstoß nahm, heiratete sie ihn im Juni 1645; vor der Trauung ging sie die Verpflichtung ein, die der Ehe etwa entstammenden Kinder im katholischen Glauben aufwachsen zu lassen. Der Hof zeigte sich von diesem Entschlusse sehr befriedigt, und es wurde ihr im Namen König Ludwigs XIV., der im Jahre 1643 als fünfjähriger Knabe den Thron bestiegen hatte, das Recht zugesprochen, auch als Frau den herzoglichen Titel und Namen der Rohans zu führen. Dafür grollten ihr die Protestanten; entzog sie ihnen doch durch ihre

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