Seite:Die Gartenlaube (1894) 580.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Einkehr fürchteten, mit dem Jauchzen bacchantischer Feste ihr Echo weckten. Wenn ich später hier an meiner Arbeit saß und die Bäume aus fremden Zonen leicht im Abendwinde flüsterten, dann wurden die Geister des Ortes lebendig in der sinkenden Dämmerung. Seidene Schleppen rauschten über den Kies und auf den Treppen klapperten die zierlichen Stöckelschuhe; die Grotten mit ihren ängstlich ins Epheu sich duckenden Nymphen hallten wieder von feurigen Liebesworten, von französischem Geplauder, von seichten Compliments und leichter Médisance. Dann wird es plötzlich still. Der „Läufer“ eilt den breiten Mittelweg herab und meldet, daß die Herrschaften soeben zu „arrivieren“ geruhten, und schon steigt Serenissimus, zierlich mit zwei Fingern die Hand der neuen Favoritin haltend, halb Würde, halb Huld auf dem feisten, glatten, rosigen Rokokogesichte, die Freitreppe hernieder, während ringsum der schillernde Hofstaat sich beugt und neigt wie ein Kornfeld im wehenden Sommerwinde. Bunte Lichter flammen auf, und die hohen Mauern ringsum scheinen sich höher zu recken, denn was sie jetzt umschließen, ist geschaffen, um Tag für Tag an der Freudentafel des Lebens zu sitzen, und muß in seinem Genusse selbst vor den Blicken derer bewahrt werden, die geboren wurden, um durch ihrer Hände Arbeit denen hier drinnen die Tage der Freude und der Feste zu sichern.

Ich bin seitdem heimisch geworden in dem alten Garten mit seinen verschwiegenen Mauern. Manche unvergeßliche Stunde frischer, fröhlicher Arbeit habe ich hier verlebt mit meinen lieben kleinen Freunden und der guten Schwester Marie. Hier, wo einst eine privilegierte Kaste sich ängstlich abschloß von dem Volke, das von ihr gedrückt und ausgesogen wurde und dessen Berührung sie doch wie einen Pesthauch mied und verabscheute, hier hat jetzt die christliche Liebe den Kindern der Stadt ohne Unterschied von Rang und Reichtum einen herrlichen Tummelplatz bereitet. Hand in Hand mit dem Sprossen des Millionärs zieht hier das Kind des Bergmanns leichten Herzens seinen Reigen. Und unten im kleinen Schlößchen, wo damals „Madame“ mit einem liederlichen Hofe vom Schweiße des Volkes praßte, da werden heute die Armen gespeist; eine warmherzige Frau schafft dort mit einem Stabe fleißiger Gehilfinnen am riesigen Herde und stellt jahraus jahrein ein kräftiges schmackhaftes Gericht auf die sauberen Tische, dem Arbeiter um ein Billiges, dem Armen für „Gottes Dank“. Wo früher die irdische Liebe ihre Feste feierte, da thut jetzt die himmlische Liebe ihre ernste soziale Arbeit. Ja, von all den Zeugen der entschwundenen Fürstenherrlichkeit hat dieser Liebesgarten den weitesten Weg abwärts gemacht und doch den besten. Denn ich glaube, wenn jetzt den hellen Morgen über die bunte Kinderschar unter den alten Kastanienbäumen ihr Spiel treibt, und wenn an einem schönen, sonnigen Sommertage die armen Kinder im Freien an den langen Tafeln sitzen und ihren Hunger stillen, dann werden die alten Baumriesen über ihnen, die so manches gesehen und gehört haben, für das Bild von heute die eleganten Watteauschen Figuren vergangener Tage sich nicht zurückwünschen und die Musik des Kinderjubels und das fleißige Klappern der Eßlöffel in den Blechnäpfen nicht tauschen wollen gegen das verklungene Flötenspiel arkadischer Schäfer und das Guitarrengeklimper höfischer Spaßmacher. Diese alten fremden Bäume sind die letzten Zeugen jener „guten alten Zeit“; aber, wenn sie reden könnten, würden sie uns bezeugen, daß jene Zeit alles war, lustig, interessant, malerisch, vielleicht auch alt, aber sicher nicht gut, und daß die Gegenwart besser ist, als die Pessimisten sie schelten. Aug. H. Plinke. 

Aus A. Hendschels Skizzenbuch „Scherz und Ernst“.

Der Krokodilwächter. (Zu dem Bilde S. 577.) Der rohe Kampf ums Dasein beherrscht die Tierwelt, und auch in den sogenannten Tierfreundschaften ist der Egoismus, das Nützlichkeitsprinzip maßgebend. Die Herden auf der Weide locken Kerbtiere an, welche sich auf der Haut der Tiere ansiedeln und für diese zur Plage werden. Die Stare, namentlich die Hirtenstare, merken es, sie wissen wohl, daß dort, wo es Herden giebt, Kerbtiere vorhanden sind, und sie fliegen den Herden zu, säubern das Vieh von den Schmarotzern und werden infolgedessen als Befreier von einer lästigen Plage für Rinder und Schafe geduldet. Der afrikanische Kuhreiher (nicht zu verwechseln mit unserem Kuhreiher) leistet den Büffeln und Elefanten dieselben Dienste und wird geduldet, selbst wenn er zudringlich wird. Auf demselben Grundsatz ist die anscheinende Freundschaft zwischen dem Krokodil und dem regenpfeiferartigen Vogel, dem Krokodilwächter, begründet. Dieses Verhältnis war schon den alten Naturforschern bekannt, und Plinius erzählt: „Wenn das Krokodil mit gähnendem Rachen auf dem Lande liegt, fliegt der Vogel Trochilus herbei, schlüpft ihm ins Maul und reinigt dasselbe. Das thut dem Krokodil wohl und es schont daher den Vogel, ja es öffnet den Rachen weiter, damit er sich nicht drückt, wenn er heraus will. Dieser Vogel ist klein, nicht größer als eine Drossel, hält sich in der Nähe des Wassers auf und warnt das Krokodil vor dem Ichneumon, indem er herbeifliegt und es teils durch seine Stimme, teils durch Picken an der Schnauze aufweckt.“

Die Thatsachen sind wahr, und jeder, der an den Nilufern längere Zeit weilt, kann. sie bestätigen. Der kritische Naturforscher der Neuzeit deutet sie aber ein wenig nüchterner. Der Krokodilwächter traut nicht ganz und gar dem Krokodil. Er besucht es, denn es bildet für ihn eine reichbesetzte Tafel; es sind ja auf demselben immer allerlei genießbare Wassertierchen zu finden. Der Vogel kennt genau alle Eigentümlichkeiten seines Wirtes und verkehrt mit ihm anscheinend ganz vertraulich, so daß er selbst die Mahlzeitbrocken, die dem Ungetüm zwischen den Zähnen stecken blieben, fortpickt; aber der kecke Bursch ist stets auf seiner Hut und weiß sich im Augenblick der Gefahr rechtzeitig zurückzuziehen. Sein kleines Herz schlägt auch nicht für das Krokodil. Der Vogel hat die Gewohnheit, laut zu schreien, wenn er einen neuen Gegenstand, einen Menschen oder ein Tier nahen sieht. Das thut er immer, gleichviel ob er auf dem Krokodil sitzt oder auf einer Sandbank spaziert. Sitzt er aber auf dem Krokodil, so wird dieses durch das Geschrei geweckt, es merkt die Gefahr und taucht in die sichere Flut.

Neugier. (Zu dem Bilde S. 565.) Schwer, sehr schwer ist die Versuchung, die in Gestalt dieses versiegelten Briefchens an unsere neugierige Kammerzofe herangetreten ist. Sie ahnt den Absender und sie ahnt den Inhalt – aber was gäbe sie nicht für die Gewißheit! Vergeblich dreht und wendet sie das Schriftstück nach allen Seiten, vergeblich biegt sie den zusammengefalteten Bogen auseinander, um einen Einblick in das Innere zu gewinnen – umsonst. Der erfahrene Schreiber, der wohl seine Leute kennen mochte, hat es zu gut verstanden, seine hochwichtigen Zeilen jedem unberufenen Auge zu entziehen. Und so bleibt sie ungestillt, die heiße Sehnsucht unserer Donna; denn daß diese sich von ihrer Neugier verleiten lassen würde, das Siegel zu erbrechen und den Brief zu öffnen, das wollen wir ihr denn doch nicht zutrauen!


Kleiner Briefkasten.

Bitte. Es sind uns in der letzten Zeit wieder verschiedene Gesuche um Vermittlung von Fahrstühlen für arme Kranke zugegangen. Wir richten daher, um diesen Wünschen so weit als möglich entgegenkommen zu können, an unsere Leser die herzliche Bitte, uns durch Ueberlassung entbehrlicher Fahrstühle behilflich zu sein. Gewiß steht da und dort ein solches Möbel unbenutzt, und seine Besitzer erwerben sich, indem sie es für arme Kranke zur Verfügung stellen, nicht bloß ein Verdienst um ihre Mitmenschen, sondern schaffen sich auch noch einen Ballast aus dem Hause.

E. G. in Basel. Besten Dank für Ihre freundlichen Mitteilungen.

Frau M. B. in Leiden. Wir freuen uns, zu sehen, daß der Artikel über die deutsche Frauenbewegung auch in Holland Beachtung fand. Ein darin vorkommender kleiner Irrtum aber ist zu berichtigen: Frau Loeper-Housselle wohnt zwar in Ispringen, ist jedoch an keiner dortigen Schule thätig, sondern widmet sich ganz den Angelegenheiten des „Deutschen Lehrerinnen-Vereins“ und der Herausgabe seiner Zeitschrift.


Inhalt: Die Brüder. Roman von Klaus Zehren (7. Fortsetzung). S. 565. – Neugier. Bild. S. 565. – Lustiges Volk. Bild. S. 568 und 569. Die Handschuh-Stuhlwirkerei. Von Max Lindner. S. 572. Mit Abbildungen S. 572 und 573. – „Up ewig ungedeelt!“ Novelle von Jassy Torrund (3. Fortsetzung). S. 574. – Krokodile und Krokodilwächter. Bild. S. 577. – Auge und Blendung. II. Von Professor Dr. Hermann Cohn. S. 578. – Blätter und Blüten: Der versunkene Garten. Von Aug. H. Plinke. S. 579. (Zu dem Bilde S. 568 und 569.) – Der Krokodilwächter. S. 580. (Zu dem Bilde S. 577.) – Neugier. S. 580. (Zu dem Bilde S. 565.) – Aus A. Hendschels Skizzenbuch „Scherz und Ernst“. Bild. S. 580. – Kleiner Briefkasten. S. 580.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_580.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)