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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


durch diese der nötige Schlaf verscheucht wird und die Schwierigkeit das Buch so lange zu halten, zu Körperstellungen führt, die schädlich wirken können. Ausdrücklich möchte ich jedoch erklären, daß Schülern und Schülerinnen das Lesen im Bette gewiß zu untersagen ist, die haben im Bett nur zu schlafen! –

Um nun auf unsern eigentlichen Gegenstand zurückzukommen, so sei noch erwähnt, daß es auch Personen giebt, die über Blendung durch solche helle Gegenstände klagen, welche ein gesundes Auge niemals blenden, z. B. durch ein weißes Tischtuch, durch weiße Gardinen, durch ein silbernes Messer, durch helles Pferdegeschirr etc. Diese Art der Ueberempfindlichkeit der Netzhaut ist rein nervöser Natur. Sie wird besser vom Nervenarzt als vom Augenarzt behandelt.

Schon längst hat man gegen Blendung blaue und graue Gläser angewendet. Das weiße Licht enthält bekanntlich rote, orange-gelbe, gelbe, grüne, blaue und violette Strahlen. Welche von diesen Strahlen das Auge mehr reizeu, läßt sich von vornherein gar nicht entscheiden. Aber der Sprachgebrauch ist hier wichtig; wir sprechen von einem „brennenden“ Rot und „schreienden“ Gelb, von einem „schreienden Blau“ hat jedoch noch niemand etwas gehört. Gelbe Beleuchtung im Cirkus oder beim Ballett ist gewiß nicht so angenehm wie das Blau des Himmels. Daß nicht die Helligkeit als solche, sondern die Farbe einen Einfluß auf das Auge ausübt, beweist der Truthahn und der Stier, die nicht durch das hellste Tuch, sondern durch ein rotes Tuch gereizt werden.

Böhm, der in einer Stickereianstalt, in welcher auf Seidenstoffe von den verschiedensten Farben gestickt wird, Untersuchungen anstellte, fand, daß unter allen Farben Gelb und Apfelgrün für die Augen am ermüdendsten sind, während Blau von allen Arbeiterinnen als die angenehmste Farbe bezeichnet wurde.

Ueber die Ausdauer bei verschieden gefärbten Lichtquellen liegen keine Versuche vor. Sie würden auch ungeheure Zeit in Anspruch nehmen, da jedes Auge bei jeder Lichtquelle mit frischen Kräften anfangen und bis zur Ermüdung fortarbeiten müßte.

Blaue Gläser löschen einen Teil der gelben und roten Strahlen aus, welche das weiße Licht enthält. Sie wurden von Gräfe mit Vorliebe verordnet und die bedeutendsten Augenärzte haben sie seit Jahrzehnten angewendet, ohne je Schaden beobachtet zu haben, im Gegenteil, meist wurde bei schwachen Augen eine längere Arbeitsdauer dadurch erzielt. Die blauen Gläser werden durch Zusatz von Kobalt-Oxydul erzeugt und sind in fünf Helligkeitsstufen zu haben.

Eine Zeitlang glaubte man, daß die blauen Gläser fast nur blaue Strahlen durchlassen und gab lieber graue Gläser, von denen man annahm, daß sie alle Farben gleichmäßig schwächten. Die grauen Gläser, auch „London-smokes“ oder „Rauchgläser“ genannt, haben ebenfalls verschiedene Stufen, meist werden auch hier 5 Helligkeitsgrade unterachieden.

Allein schon vor 7 Jahren habe ich gezeigt, daß, wenn man 2 bis 6 graue Gläser aufeinander legt und durch sie eine Flamme betrachtet, diese immer herrlicher purpurrot erscheint, daß also gerade die schädlichen roten Strahlen durch die grauen Gläser weniger geschwächt werden als durch die blauen, bei denen erst 5 bis 6 aufeinandergelegte Gläser aus einer blau erscheinenden Flamme eine blau-violette machen. Bei einfachen Gläsern ist es aber ganz belanglos, ob man grau oder blau nimmt, man kann es getrost dem persönlichen Ermessen des Betreffenden überlassen, ob er eine blaue oder eine graue Brille nehmen will.

Bei starkem Bogenlichte oder bei Sonnenbeobachtungen werden mit Ruß geschwärzte Gläser oder die allerdunkelsten Nummern 4 und 5, bei Schneeflächen und Sonnenschein die mittleren Nummern 2 und 3 vorzuziehen sein. Ich halte es namentlich bei Gletschertouren nicht für ratsam, die dunkelsten blauen oder grauen Gläser zu nehmen, da die allgemeine Helligkeit dadurch zu sehr herabgesetzt und ein Fehltritt begünstigt wird. Die Schutzgläser dürfen aber nicht klein und queroval, sondern sie müssen groß, am besten muschel- oder uhrglasförmig sein, weil sie dann an das Auge gerückt werden können, ohne die Wimpern zu streifen.

Bergsteigern, die kurzsichtig sind, empfehle ich, ihr gewöhnliches Concavglas, das sie für die Ferne brauchen, blau oder grau in Nuance 3 färben zu lassen, da eine Muschelbrille, über die Concavbrille gesetzt, beim Steigen lästig ist, und ein Kneifer über oder unter der Concavbrille niemals recht sitzt. – –

So hätten wir die Verhütungsmaßregeln der Blendung durchgesprochen.

Aber nicht bloß auf den Menschen erstrecken sich die Bemühungen, das Auge vor Blendung zu schützen, zum Glück nimmt sich unsere Zeit auch des Auges der Tiere an. Bis vor kurzem stieß man in Deutschland noch auf die abscheuliche Sitte, Singvögel zu blenden. Man brannte besonders den Finken und Nachtigallen die Augen mit einem glühenden Eisen oder Draht aus, damit die armen Tierchen in ihrem Bauer nicht flattern, sondern still sitzen sollten und durch keinen äußeren Eindruck verhindert würden, zu allen Zeiten und an allen Orten ihren Lockgesang anzustimmen. Erst vor 6 Jahren ist durch Reichsgesetz verboten worden, mit Hilfe geblendeter Lockvögel andere Vögel zu fangen. Für den Regierungsbezirk Breslau freilich ist schon früher durch das Feld- und Forstpolizeigesetz vom 1. April 1880 jenes barbarische Verfahren unterdrückt worden. Leider besteht diese Fangweise aber noch in Italien, Spanien und anderen Ländern fort; hoffen wir, daß auch dort ähnliche Schutzgesetze wie in Deutschland erlassen werden.

Freuen wir uns, daß wir in einem Jahrhundert und in einem Staat leben, welcher die Grausamkeit der Blendung bei Menschen und Tieren verabscheut, und wenden wir alles auf, um das Auge, dieses edelste Organ, in seiner Schönheit und in seiner raumdurchdringenden Kraft zu erhalten!



Blätter und Blüten.

Der versunkene Garten. (Zu dem Bilde S. 568 und 569.) Wer kennt sie noch, die alten Fürsten von Nassau-Saarbrücken, die einst in des Reiches Westmark ihren lustigen Hof hielten? Was an Staub und Asche übrig ist von ihrem Gottesgnadentum, das ruht in den Gewölben der alten Stadtkirche von Saarbrücken und in der Gruft des schönen gotischen Stiftes von St. Arnual, das über das weite grüne von Waldhügeln umhegte Saarthal zur Stadt herüberschaut. Eine einzige halbvergessene Sage geht noch im Volke um von dem Letzten seines Stammes, der „das Gänsemädel von Fechingen“ frisch von der Weide hinweg in goldener Karosse zu seinem Schlosse entführte, wo die Schöne wundersam schnell das Regieren erlernte und den rebellischen Hofstaat leichter nach ihrem Willen zwang als die schnatternde Herde, die sie am heimischen Dorfbache zurückgelassen hatte. Sonst aber ist der Ruhm des stolzen Geschlechtes mit ihm dahingegangen und von aller Herrlichkeit der Rokokoresidenz ist nichts geblieben als die geraden Straßen der alten Stadt und die weiten, quadratischen Plätze, wo symmetrische Paläste in allen Schattierungen des Verfalles von dem versunkenen Glanze träumen und düster, wie neidisch auf den verschnörkelten Bau einer Barockkirche starren, die einzig von dem allgemeinen Schicksale der „Encanaillierung“ bewahrt ist. Denn eine neue Zeit ist mit gewaltigem Hauche über die kleine Residenz des vergessenen Duodezstaates gekommen. Auf den Schloßberg, von dessen einstiger Vornehmheit kaum noch ein Schatten übrig ist, und wo das Gras lustig zwischen den spitzen Pflastersteinen wuchert, schaut fernher vom Halberge das neue schloß des „Eisenkönigs Stumm“ herab, und in der Stadt selbst rücken Kasernen und Fabriken den Resten des alten Regimes gar scharf zu Leibe. Diese Gegensätze zwischen dem Heute mit seiner zielbewußten Arbeit, seinem unbarmherzigen Ernst und dem Einst mit seiner lustigen, sorglosen, malerischen Liederlichkeit schaffen in Saarbrücken Bilder von eigentümlichem Reize für den, der Auge und Herz dafür hat. Hier breitet sich die Vorstadt aus mit den kleinen Häusern einer schwer um das tägliche Brot ringenden Bevölkerung; links klettert die Straße, die weiterhin zu den „Spicherer Höhen“ führt, mühsam die Bergsteile hinan, rechts dehnen sich weite Gärten, die von einer hohen geheimnisvollen Mauer gegen die Außenwelt abgeschlossen sind. Vielstimmiger Kinderjubel klingt herüber – das lacht und lacht, und ich denke, wo man einen Blick auf jauchzende Jugend gewinnen kann, da lohnt es, zwischen Arbeit und Arbeit und Sorge und Sorge ein Weilchen inne zu halten und aufatmend in das Stückchen Himmel zu schauen, das aus glücklichen Kinderaugen hervorlacht. Mit dem Skizzenbuche des Malers in der Hand, das so oft schon auf schwierigem Boden mir als „Berechtigungsschein“ gedient hat, will ich es auch hier einmal wagen. Leise drücke ich die schwere Flügelthür auf und vor mir entfaltet sich ein entzückendes malerisches Bild: ein Kindergarten. Von der hohen Treppe sehe ich hernieder auf das kleine Volk, das lachend, singend und springend den weiten, von Kastanien beschatteten Kiesplatz erfüllt, behütet und regiert von einer Kaiserswerther Schwester und ihrer jungen Gehilfin. Welch’ eigenartiger Platz! Geradeaus führt eine breite, von schönen, halbzerschlagenen Rokokovasen flankierte Freitreppe zu dem langsam sich senkenden Garten hernieder und weiterhin zu einem zierlichen Schlößchen mit Kuppeldach und runden Fenstern, das im Schatten uralter, fremdländischer Bäume wie verzaubert zu schlafen scheint und über dem noch etwas von jener koketten Grazie liegt, um derentwillen wir jene Zeit grausamer Despotie aus der sicheren Entfernung der Gegenwart zu lieben pflegen.

Das ist der „Versunkene Garten“ und das „Verwunschene Schloß“, eine jener „Eremitagen“ und „Solituden“, die so getauft wurden, weil keine Eremiten in ihnen hausten, und die, welche die Einsamkeit und die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_579.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2022)