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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Die Tempelinsel Philä.

(Zu den Bildern S. 549 und 553.)
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[W]elche Fülle von gewaltigen Baudenkmälern wurde im Laufe der Jahrtausende in dem schmalen Thale des heiligen Nilstromes errichtet und wie groß sind die Schätze des Wissens, die aus uralten Gräbern, aus dem Schutt der Ruinen in den Papyrusrollen ans Tageslicht gebracht werden! Fürwahr, die Denkmäler der Kunst und des Wissens, welche die alten Aegypter uns vermacht haben, die Pyramiden, Obelisken und Tempel sind ein hehres Eigentum der gesamten gesitteten Menschheit, und diese hat die Pflicht, das pietätvoll zu erhalten, was Fluten barbarischer Völker geschont und was Naturgewalten im Laufe von Jahrtausenden zu zerstören nicht vermocht haben.

Und doch droht einem Teil dieser Denkmäler, den herrlichsten Tempeln ein jäher Untergang. Durch ein geplantes großes Kulturwerk sollen sie unter Wasser gesetzt – weggeschwemmt werden!

Wer heute eine Reise den Nil hinauf unternimmt, der pflegt die Stromfahrt zu beendigen bei dem Städtchen Assuan, das mit seinen schmucken Häusern, umrahmt von grünen Palmen, einen recht freundlichen Anblick gewährt. Man sieht noch die braunen Fellahs Aegyptens, die phlegmatischen Türken und bedächtigen Kopten; aber die Mehrzahl bilden hier bereits die Nubier, Beduinen und Neger aus dem Sudan.

„Syene“ hieß diese Stadt im Altertum. Das Wort stammt von dem ägyptischen „Sun“, d. h. Eingang in das Land, denn Syene war ursprünglich eine Festung und in ihm lagen die streitbaren Männer, welche die vorgeschobenen Posten der ägyptischen Kultur vor den räuberischen Nubiern schützen sollten. Rings glüht in der heißen Sonne der dunkelrote Granit, der „Syenit“, aus dem die berühmtesten Bauten Altägyptens, alle großen Obelisken errichtet wurden. Aber die eigentliche Hauptstadt dieses Gaues war nicht die Festung Syene, sondern die benachbarte Stadt Abu, die auf einer Insel im Nile lag, auf unserem Bilde von Assuan S. 553 zum Teil noch sichtbar. Abu bedeutet so viel wie Elfenbeinstadt und wurde darum von den Griechen „Elephantine“ genannt. Es hatte vor Jahrtausenden etwa dieselbe Bedeutung wie Chartum vor dem Aufstande des Mahdi in unserem Jahrhundert; es war der Marktplatz, an welchem zwei Welten sich berührten. Hierher kamen die Wilden des Sudan, um Elfenbein und andere Schätze Innerafrikas gegen Erzeugnisse der ägyptischen Kultur auszutauschen. Von Abu aus gingen jene merkwürdigen civilisierenden Einflüsse in das Herz des Dunklen Weltteils, die noch heute nicht verwischt sind, da Geräte, Waffen und Schmuck vieler innerafrikanischer Stämme in ihrer Gestaltung so sehr an ägyptische Formen erinnern.

Oberhalb von Elephantine verändert sich der Charakter des bisher ruhigen Stromes. Riesenmassen von Granit durchsetzen sein Bett und erscheinen von weitem als schwarze in der Sonne schimmernde Hügel. Hier schäumt und braust der nördlichste oder erste Nilkatarakt. Die ältesten Aegypter wußten nicht, was hinter jenen schäumenden Wasserwirbeln lag, und so entstand die Sage, daß an jener Stelle der Nil aus der Unterwelt an das Tageslicht trete, um Aegypten seiner Segnungen teilhaftig werden zu lassen. Kein Wunder also, daß diese Stätte zum Sitz einer besonderen Götterverehrung wurde. Jenseits von diesen Stromschnellen liegen einige Felseneilande, die mit Tempeln bedeckt wurden. In dieser Gegend soll ja die milde Göttin Isis gewohnt haben. Als der finstere Typhon ihren Bruder und Gemahl, den lichten Osiris, getötet und seinen Leib in vierzehn Stücke geteilt und zerstreut hatte, soll Isis diese teuren Reste gesammelt und auf den Inseln bei der ersten Stromschnelle bestattet haben. Hier trauerte sie um ihren Gatten und Bruder, und die Thränen, die sie vergoß, fielen in den Nil und wuchsen zu der überschwemmenden Flut an, welche sich befruchtend über das Thal von Aegypten ergoß. Das Andenken der Isis und des Osiris wurde also schon in altersgrauer Zeit an diesen Stätten verherrlicht und düstere Tempelruinen stehen noch heute auf den Felseneilanden Bige und Konosso. Am berühmtesten ist jedoch die Insel Philä. Hier, in einer wunderbaren landschaftlichen Umgebung, ließ einer der letzten Pharaonen, Nectanebus I., im 4. Jahrhundert v. Chr. der Isis Tempel und Altäre errichten. Die Ptolemäer, die nach dem Tode Alexanders des Großen das Land beherrschten, setzten diese Arbeiten fort, führten die mächtigen Thortürme oder Pylonen auf und errichteten die herrlichen Säulenhallen. Auch die römischen Kaiser haben sich noch durch Bauten verewigt. Unsere Abbildung S. 549 zeigt links im Vordergrund die Ruinen des mächtigen Isistempels, im Hintergrund rechts die des sogenannten „Kiosks“, eines ebenfalls der Isis geweihten Tempelpavillons aus der römischen Kaiserzeit. Viele von diesen Herrlichkeiten sind in Schutt und Staub gesunken; was aber erhalten blieb, ist immer noch von unbeschreiblicher Wirkung, denn hier vereinen sich wunderbare Schönheit der erhabenen Natur und menschliche Kunst zu einem harmonischen Ganzen. Noch viele farbige Gemälde bergen sich in den Ruinen, viele Inschriften und vermutlich auch Papyrusrollen, die noch erforscht werden sollen … aber wird dies wohl möglich sein? Diese Wunderwelt soll ja der zerstörenden Gewalt des Wassers preisgegeben werden!

Nützlichkeitsgründe sind [e]s, die Philä mit jähem Untergang bedrohen. Es ist allgemein bekannt, daß Aegypten den Ueberschwemmungen des Nils seine Fruchtbarkeit verdankt. Aber die weitverbreitete Ansicht, daß der Nil von selbst das ganze Land unter Wasser setze und es zu einem See umgestalte, aus dem nur Dorfhügel wie Inseln hervorragen, entspricht, wie Adolf Erman treffend bemerkt, nicht der Wahrheit, wenigstens nicht für Ueberschwemmungen durchschnittlicher Höhe. Vielmehr muß Menschenhand ernstlich daran arbeiten, wenn das Wasser alle Felder erreichen soll. Es müssen vom Strom aus große Kanäle gezogen werden, aus denen dann wieder kleine Rinnsale das Wasser auf die Felder führen. Und da es nicht an Aeckern fehlt, die zu hoch gelegen sind, als daß die Flut sie erreichen könnte, so müssen diese durch Schöpfapparate künstlich bewässert werden. Die Bewässerung bildet somit für Aegypten die zweifellos wichtigste Lebensfrage.

Sechzehn Ellen forderte das Aegypten der griechischen Zeit als Höhe einer gesegneten Ueberschwemmung, und auf einer alexandrinischen Münze ist ein „Genius der sechzehnten Elle“ dargestellt, wie er seinem Vater Nil sein Füllhorn überreicht. Heute, nachdem sich der Boden Aegyptens durch die jährliche Schlammablagerung erhöht hat, ist ein bedeutend stärkeres Steigen erforderlich, wenn das Land eine volle Ernte genießen soll. Andererseits ist die Verwaltung auf Grund eingehender Studien zu der Ueberzeugung gelangt, daß die gegenwärtigen Bewässerungsanlagen nicht genügen. So ist der Gedanke reif geworden, die Wasserverhältnisse von neuem zu regeln und dabei die Ueberschwemmungen vom Zufall unabhängig zu machen. Zu diesem Zwecke will man in Nubien die Nilwasser durch riesige Dämme stauen und so ein gewaltiges Reservoir, einen neuen See oberhalb Aegyptens schaffen, von dem das Wasser durch Schleusen nach Belieben abgelassen werden könnte. Das wäre allerdings eine Kulturarbeit ersten Ranges und der Vorteil für Aegypten unberechenbar.

Gegenwärtig schwillt der Strom erst in der zweiten Hälfte des Juli mächtiger an; vom Ende September bis Ende Oktober bleibt dann der Wasserstand im wesentlichen gleichmäßig auf seiner höchsten Stufe, um dann schneller und schneller zurückzugehen.

Im Januar ist der Strom bereits ganz in seinem alten Bett, aber auch in diesem nimmt er noch bis in den Sommer hinein ab. Steigt das Wasser nur um ein Zehntel zu wenig, so vermag es die Kanäle nicht mehr zu füllen, die es nach den höher gelegenen Aeckern führen sollen, und Mißwachs und Hungersnot sind die Folge. Alle diese Uebelstände könnten durch das geplante Nilreservoir wohl beseitigt werden, man könnte das Wasser zu jeder Zeit verteilen. Es wurde berechnet, daß in der Provinz Giseh allein gegenwärtig 2000 Hektar Land Sommerernten ergeben, nach der Schaffung des Reservoirs würden es 24 000 Hektar thun!

Die Ingenieure der ägyptischen Regierung arbeiteten nun im Laufe der letzten Jahre verschiedene Pläne aus, die dann einer internationalen Kommission, in welcher Vertreter Englands, Frankreichs und Italiens sich befanden, zur Begutachtung unterbreitet wurden. Der erste Vorschlag ging dahin, die Wüste bei Wadi Raiyyan in einen See zu verwandeln, er mußte aber wegen technischer Schwierigkeiten verworfen werden. Ebenso mußte die Errichtung eines Dammes bei Selsele als unausführbar bezeichnet werden, und es blieb die engere Wahl zwischen der Errichtung eines Dammes bei Kalabsche, etwa 30 km oberhalb Philä, oder bei Assuan. Wegen der Weite und Tiefe des Stromes bei Kalabsche erschien den Mitgliedern der Kommission die Ausführung des Planes an jener Stelle zu schwierig und zu kostspielig und die Mehrzahl entschloß sich, die Errichtung des Nildammes bei Assuan zu empfehlen. Würde dieser Plan zur Ausführung gelangen, so würden die Tempelruinen von Debot, Kersassi, Tafe, Kalabsche, Dakke, Ofedina und Philä durch die Stauung monatelang unter Wasser gesetzt und in kürzester Zeit zerstört werden. Man hat dabei Philä derart retten wollen, daß man vorschlug, die Tempel abzutragen und auf einem anderen trocken gebliebenen Orte wieder aufzustellen. Daß dadurch der geschichtliche Wert der Ruinen, der an die eigenartige Ortschaft gebunden ist, gänzlich verloren gehen würde, dürfte wohl keinem Zweifel unterliegen. Aus diesem Grunde erklärte sich der französische Kommissar Boulé gegen den Nildamm von Assuan, da Philä nicht preisgegeben werden dürfe. In Deutschland erhob Georg Ebers seine Stimme für die Erhaltung der denkwürdigen Stätte. Auch in England machte sich eine starke Bewegung in demselben Sinne geltend und in einer an den ägyptischen Premierminister gerichteten Adresse wird dieser ersucht, dahin zu wirken, daß der Damm bei Kalabsche errichtet und Philä erhalten werde. Man hat dabei berechnet, daß die Ausgaben nicht wesentlich größer und der Nutzen gleich groß sein würde wie bei der Errichtung des Dammes bei Assuan. Und wenn größere technische Schwierigkeiten vorhanden sein sollten, so ließen sie sich gewiß überwinden: soll doch der Technik der Neuzeit das Wort „unmöglich“ nicht bekannt sein! – Hoffen wir, daß diese Vorstellungen Gehör finden und die Wunderblume der Wildnis, die Tempelinsel Philä, der Nachwelt erhalten bleiben wird. St.     




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