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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Ich weiß es nicht,“ antwortete der Prinz, mit dem Benehmen eines eigensinnigen Kindes ihm den Rücken zuwendend.

„Ich bitte um die in unsern Kreisen als anständig anerkannten Formen,“ tönte es scharf an sein Ohr.

Der Russe fühlte, wie er die Herrschaft über sich verlor.

„Ich verweigere jede Auskunft!“

„Gut. Dann fordere ich von Ihnen, daß Sie unauffällig den Verkehr im Hause meines Bruders abbrechen und Berlin sobald als möglich verlassen.“

„Mit welchem Rechte?“ fragte der Russe höhnisch.

„Mit dem Recht eines Ehrenmannes, der den guten Rnf einer Dame verteidigt!“

Prinz Sissi ward bleich; dann plötzlich vollständig wechselnd, selbst aus seinen Zügen jede Spur der Wut verwischend, die noch soeben unter den Beleidigungen Hermanns in ihm kochte, sagte er langsam. „Sie sind der beste Mensch, der mir je vorgekommen ist!“

Hermann verbeugte sich, spöttisch lächelnd und doch einen Augenblick fassungslos. „Ich danke Ihnen für Ihre günstige Meinnug! Was ist Ihre Antwort auf meine Frage? Ja oder Nein?“

„Und wenn ich Nein sage?“

„Dann werde ich Sie zwingen, mir zu willfahren.“

„Wie in aller Welt?“

„Wenn Ihnen das noch nicht genügt, was ich Ihnen ins Gesicht gesagt habe, so werde ich es vor Zeugen wiederholen und Sie unmöglich machen, falls Sie dem keine Folge geben. Ich werde vor nichts zurückschrecken!“

„Ach, Sie wollen sich mit mir schießen oder mich totstechen? Sehr gut! Aber ich werde mich nicht mit Ihnen schlagen!“

„Durchlaucht! Die Faust zu brauchen ist gemein aber –“

Nicht mehr Herr seiner Sinne, stand Hermann vor dem Fürsten. Dieser sah ihn noch immer so ruhig an wie vorher, ohne eine Spur von Erregung im Gesicht. Eine Sekunde lang glaubte Hermann, einem Verrückten gegenüber zu stehen.

Der Russe betrachtete die Nägel seiner rechten Hand und meinte dann. „Sie können thun, was Sie wollen. Ich lasse mir nie Vorschriften machen, am wenigsten von Personen, die nicht dazu befugt sind. Aber die eine Versicherung gebe ich Ihnen: ich werde mich durch nichts in der Welt zu einem Duell mit Ihnen zwingen lassen, weil – nun, weil Sie mir zu gut zum Totschießen sind und ich mir selbst zu nichtig.“

Hermann hatte entwaffnet den Kopf gesenkt.

„Uebrigens – halten Sie mich für niedrig genug,“ begann der Prinz wieder, „daß ich für einige tausend Thaler mir gegen eine Frau wie Ihre Schwägerin unziemliche Freiheiten herausnehme?“

Hermann antwortete nicht. Er griff langsam, wie im Traum, nach Mütze und Handschuhen und verließ ohne Gruß das Zimmer. In dumpfem Brüten, das keinen klaren Gedanken aufkommen ließ, gelangte er in seine Wohnung. Dort raffte er sich endlich soweit auf, um an seinen Bruder schreiben zu können. Er teilte diesem die Unterredung mit, bot ihm die Summe zur Tilgung der Schuld an und beschwor ihn bei seiner Ehre, Lore ein volles Geständnis abzulegen. Dann könne noch alles gut werden.


„Eine Dame wünscht Ew. Durchlaucht zu sprechen,“ meldete der Zimmerkellner.

Prinz Sissi sprang auf. Es war dämmerig im Zimmer, in dem er träumend gesessen hatte.

„Wer ist es?“ fragte er kurz.

„Die Dame wollte ihren Namen nicht nennen.“

Im Halbdunkel sah der Prinz eine schwarze Frauengestalt ins Zimmer treten. „Ich bitte um Verzeihung! Entschuldigen Sie einen Augenblick, bis ich Licht angezündet habe.“ Während er das Streichholz anbrannte, zerbrach er sich den Kopf, wer das wohl sein könnte.

„So, ich bitte nochmals um Entschuldigung! Mit wem habe ich die Ehre?“

Er näherte sich mit einer Verbeugung der noch immer an der Thür Stehenden, deren Gesicht ein dichter Schleier verdeckte. Der ganzen Haltung und Kleidung nach mußte es eine Dame der Gesellschaft sein.

„Sie werden erstaunt sein, Durchlaucht, mich in diesen Ihren Räumen zu sehen!“

„Frau von Weßnitz!“ preßte er in maßlosem Erstaunen hervor, Lore groß anstarrend, während sie langsam den Schleier zurückschlug.

„Sie können sich denken, daß mich nur ganz ungewöhnliche Vorkommnisse zu diesem Schritt veranlassen konnten.“

Lores Antlitz war ernst und bleich; um den sonst so weichen feinen Mund zogen sich zwei tiefe Falten.

„Bitte, wollen Sie Platz nehmen, gnädige Frau!“

„Nein, ich danke. Was ich zu sagen habe, spricht sich besser stehend. Mein Schwager war heute bei Ihnen?“

Jetzt wußte der Prinz alles. Dieser Tollkopf wollte also um jeden Preis seinen Entschluß durchsetzen!

„Mein Schwager hat den Inhalt Ihrer heutigen Unterredung meinem Mann mitgeteilt und dieser hat es für seine Pflicht gehalten, mir alles zu gestehen.“

„Ich habe nicht das Recht, seine Handlungsweise mit dem Namen zu bezeichnen, den diese verdient.“

Lore lächelte schmerzlich. „Wenn mein Mann nicht unmittelbar nach diesen Mitteilungen auf geheimen Befehl unverzüglich nach Paris hätte reisen müssen, so würde ich natürlich nicht an seiner Stelle hier stehen,“ sagte Lore mit tiefer Stimme, durch die merkbar die Erregung ihres Inneren hindurchklang.

Der Prinz verbeugte sich. Wie schön sie war!

„Was in meinem Innern vorgegangen ist nach jenem Geständnis meines Mannes, das geht niemand etwas an. In mir stand sofort der Entschluß fest, daß ich keine Minute ungenutzt verstreichen lassen dürfe, die Schmach dieses ganzen Verhältnisses von meiner Person und dem Namen meines Mannes fortzuwaschen. Meinen edelmütigen Schwager zu Hilfe zu rufen, verbot mir mein Stolz. Er hat, bei Gott, genug gethan!“

„Frau von Weßnitz!“ tönte es an ihr Ohr mit weicher, fast demütiger Kinderstimme.

„Bitte, lassen Sie den gerührten Ton, Prinz! Bleiben wir sachlich! Wie hoch beläuft sich die Schuld meines Mannes?“

„Das sagen Sie mir?“ rief der Prinz und warf sich empört in einen Stuhl.

„Nun ja! Ich will Ihnen übrigens keinen Vorwurf machen – ich selbst habe gefehlt. Aber mir stand niemand zur Seite, und jede Frau kann schwach sein, wo sie glaubt, eine selbstlose Verehrung zu finden.“

„Und daran glauben Sie nicht mehr, Lore?“

Sie antwortete nicht. Eine Weile war es unheimlich still zwischen den beiden.

„Ich weiß es nicht,“ preßte sie endlich hervor, während sie die Hand, wie nach einer Stütze suchend, gegen den Thürpfosten stemmte.

Plötzlich stand er dicht vor ihr und ihre Hand nehmend, diese kalte zitternde Frauenhand, führte er sie zu einem Sessel.

„Bitte, setzen Sie sich!“

„O, es ist so viel, was ich in den letzten Stunden durchlebt habe!“ Wie gebrochen sank sie auf den Stuhl. Dann, mit einmal sich hoch aufrichtend, sagte sie mit harter Stimme. „Bitte, Prinz, die Höhe der Summe!“

Dieser ging langsam zum Schreibtisch, schloß ein Schubfach auf, blätterte in einigen Papieren, und dann mehrere Zettel zusammenfassend, trat er auf Lore zu.

„Hier sind die Schuldscheine Ihres Mannes, die er mir gegen meinen Willen aufgedrungen hat!“

Lore streckte die Hand aus. Da knisterte es in seinen Fingern – mit einer schnellen Bewegung riß er die Papiere in Fetzen, langsam fielen die Schnitzel über den Teppich.

Zuerst verstand Lore gar nicht die Bedeutung dieser Handlungsweise, ihre Blicke hafteten irr auf seinem Gesichte, in dessen Zügen ein wilder Kampf zu toben schien. Aber nur ein Augenblick, dann hatte sie begriffen.

„O, das ist häßlich!“ schrie sie auf, die Hände wie zur Abwehr ausstreckend.

Als habe den Prinzen ein Blitzstrahl getroffen, so knickte er zusammen und warf sich auf die Knie. „Lore, bei Gott, das ist zuviel!“ stöhnte er. „Hab’ Mitleid mit mir, mit meiner Seele, die Dir gehört! Habe ich jemals mehr gewollt, als Deine Gegenwart genießen, Deine Stimme hören, Dein Antlitz sehen? Ist ein Wort über meine Lippen gekommen, das Dir gesagt hätte, wie ich Dich liebe, seit Jahren, bis zum Wahnsinn? Und nun – was habe ich nun Häßliches gethan?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_551.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2022)