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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Künstlern zu sehen. Es ist kein Zufall, daß New York und London sich aus Deutschland die Künstler kommen lassen, die ihnen Wagner vorsingen und vorspielen sollen, und daß gerade in New York eine Wagnersaison mit amerikanischen Künstlern keinen Erfolg hatte!

Man muß gestehen, daß z. B. eine Lohengrinvorstellung, in welcher ein Belgier den Lohengrin, eine Amerikanerin die Elsa, eine Engländerin die Ortrud, ein Rumäne den Telramund singt, etwas sehr Eigentümliches ist. Man braucht auch noch kein Kirchthurmspolitiker zu sein um gerade für Bayreuth einem Theaterzettel mit deutschen Namen den Vorzug zu geben vor einem von kosmopolitischem Grundton.

Ernest van Dyck, G. Kaschmann, D. Popovici, M. Takàts, Zoltan Doeme – nebenbei ein Name von befremdender Unbekanntheit – Lillian Nordica, Maria Brema, das ist eine ganze Reihe von Ausländern. Ernest van Dyck zwar möchte beinahe als naturalisierter Deutscher gelten, wenigstens ist er dem Geheimnis der deutschen Seele so nahe gekommen als möglich.

Sehr bezeichnend ist es auch, daß Madame Nordica die guten Bayreuther zum erstenmal mit Primadonnenallüren bekannt macht, wenigstens ist die Stadt voll von ihrer großartigen Lebensweise und ihren Toiletten, während unsere große Rosa Sucher mit einer bürgerlichen Einfachheit auftritt, die bestrickend wirkt.

Richard Wagner mit seiner Frau und seinen Freunden Heinrich v. Stein und Paul v. Jannkowsky.

Die Leser finden von den Genannten nur die hervorragendsten auf der beigegebenen Bildertafel S. 517. Da es unmöglich war, die Porträts aller Mitwirkenden zu bringen, so war für die Auswahl entweder der künstlerische Ruf der Persönlichkeiten maßgebend, wie bei Madame Nordica, der großen Künstlerin Maria Brema, Popovici und Kaschmann; oder die Stellung der Betreffenden zu Bayreuth; eine ganze Reihe von Künstlerindividualitäten fühlt sich mit Bayreuth durch inneren Beruf, Bildungsgang und Ergebenheit aufs engste verbunden. Der einzige Novize für Bayreuth ist, außer den schon genannten ausländischen Künstlern, Willy Birrenkoven, der stimmbegabte, rühmlich bekannte Hamburger Tenorist. Die Wiener Hofoper stellt vier Namen allerersten Ranges: Hans Richter, der neben Levi am längsten bei den Festspielen dirigiert, dann van Dyck, Theodor Reichmann und Karl Grengg. Das Karlsruher Hoftheater, von dem ich nicht ohne eine gewisse künstlerische Andacht reden kann, hat auch vier Mitglieder geschickt: den Dirigenten Felix Mottl, der mit seinem starken feurigen großzügigen Wesen wohl als der treueste Träger Wagnerscher Ueberlieferung anzusehen ist und in Bayreuth neben Frau Wagner selbst stets den Mittelpunkt der Arbeit bildet, dann Fritz Plank, den Unvergleichlichen, Pauline Mailhac sowie Emil Gerhäuser, eine der verheißungsvollsten jüngeren Kräfte der deutschen Bühne. Aus Weimar ist ein Brautpaar gekommen: Richard Strauß, der junge Kapellmeister mit dem genialen, schöpferischen Kompositionstalent, und die vornehme, gemütvolle Sängerin Pauline de Ahna. Von Dresden ist diesmal nur Therese Malten erschienen und von München nur der Generaldirektor Hermann Levi. Als alleiniger Darsteller des Tannhäuser ist Wilhelm Grüning genannt, wenngleich man gestehen muß, daß es einen vollkommenen Tannhäuser zur Zeit in Deutschland nicht giebt, darf man doch hinzufügen, daß der Heldentenor der Hannöverschen Oper für die gewaltige Gestalt wenigstens die mächtige Kraft des Organs mitbringt.

Und so ist denn alles versammelt, und in emsiger, geheimnisvoller Arbeit bereitet sich die Künstlerschar vor, dem Unsterblichen von Bayreuth so gerecht zu werden, als es ihrem heißen Bemühen nur irgend gelingen kann. Seine frühen Werke, „Lohengrin“ und „Tannhäuser“, werden verkörpert werden und sein letztes, der „Parsifal“. So werden wir im Geist den ganzen Weg wandern, den jede Menschenseele geht, die kleine sterbliche mit zagenden halb unbewußten Schritten, die große Künstlerseele mit kühnem Stolz: den Weg von romantischen Träumen zu wildem Lebensdrang und von da durch reinigende Kämpfe zum religiösen Erlebnis, das von der Tragik des Daseins befreit!

Ihm, der still hinter seinem Hause Wahnfried schläft, unter der dunklen Marmorplatte, die von tiefstem Grün umschattet ist, ihm ist geworden, was wenigen Unsterblichen ward, dahinzugehen, als er sein letztes, sein reifstes, sein erlösendes Wort gesprochen.


Meine Hyacinthen.

Von Julius Stinde.

Sie gehören alle sechs dem Mittelstande an; der Gärtner verkaufte sie ohne Stammbaum und hochtrabende Namen durcheinander, wie sie da waren. Er nannte das „im Rommel“ und gab sie zu ermäßigtem Preise weg. „Sie sind dritter Klasse,“ sagte er, „aber es sind auch ausgezeichnete Zwiebeln darunter, bloß fehlt ihnen der Name.“ – „Es geht manchem so, der sein Leben über dritter Klasse fährt,“ erwiderte ich, „ausgezeichnet von Charakter, befähigt, tüchtig, und doch nicht von solchen geschätzt, denen ein wenig äußerer Glanz die Augen blendet, daß sie nur ihn sehen und nichts weiter. Es giebt unglaublich viele geistig Augenschwache.“

„Merkwürdig,“ sagte er, „heutzutage kommen Krankheiten auf, von denen man früher nie etwas hörte. Die Wissenschaft schreitet eben zu mächtig vor. – Nehmen Sie diese weiße Zwiebel, die ist fest und rund, die wird großartig blühen.“

„Das wäre nichts Besonderes,“ entgegnete ich, „denn was ist gegenwärtig nicht ‚großartig‘? Das dritte Wort in der Unterhaltung heißt ‚großartig‘. Sogar einen Zwerg von ungewöhnlicher Kleinheit, der neulich in einem Radschlag-Theater auftrat, fand das Publikum ‚großartig‘.“

„Und war er denn nicht großartig?“

„Nein, er war klein geartet. Mir persönlich ist freilich dies Wort eben so widerlich wie der Moschusgestank, mit dem sich Vertreterinnen des schönen Geschlechtes verpesten, um zu beweisen, daß ihnen ein Sinn fehlt, nämlich der Geruchsinn, aber es hat doch wiederum viel für sich, denn ein Volk, das jeden Quark großartig findet, das ist leichtlich zufrieden gestellt und nimmt kritiklos hin, was ihm geboten wird. Das ist das rechte Volk für König Schund, unter dessen Scepter sich das Ende des Jahrhunderts willig beugt. Ich sage ihnen, nicht nur der Schund ist großartig, sondern daß er auch noch großartig gefunden wird, das ist das Großartige.“

Der Mann machte ein Gesicht, als wenn er mir einen Arzt wünschte, und er hatte auch recht. Er handelte mit Blumenzwiebeln und ich hielt ihm eine Vorlesung über ein Zeichen der Zeit, das weder seine Zwiebeln, noch seine Anschauung über die Welt und was damit zusammenhängt, berührte. Er war glücklich, ebenso zu empfinden, ebenso zu urteilen, sich derselben Ausdrucksweise zu bedienen wie alle Menschen, die er kannte. War es recht, dies Glück zu stören, sein seelisches Gleichgewicht durch das Hinzuthun von Zweifel ins Schwanken zu bringen, zumal in einer Zeit, in der das Evangelium der Gleichheit als die Erlösung von allem Uebel gepredigt wird? Diese wird gekommen sein, wenn alle Menschen gleich empfinden. Gleiches Empfinden erzeugt gleiches Begehren, gleiches Wünschen, gleiches Entsagen. Dann ist die goldene Zeit angebrochen, die großartige Zeit.

Und solches Wunder bewirken die Naturgesetze. Wie sie das anstellen, ist noch nicht ganz klar und deshalb ist es geboten, die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 525. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_525.jpg&oldid=- (Version vom 16.9.2023)